Peters exotische Reisen. B. Born. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: B. Born
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738040012
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auserkoren hatte. Ich redete mir ein, dass es sowieso ausgebucht sei, was vielleicht sogar stimmte.

      Wir traten in den ‚Red Lion Pub‘, der auch im Besitz der Brauerei stand und der, obwohl massiv dafür geworben wurde, kein ‚Adnams‘-Fass am Hahn hatte, nicht mal ein anderes Bitter, sondern nur ‚Bitburger‘, also ein, wie es in England genannt wird, ‚Lager‘, das wegen des im Vergleich zu Deutschland anderen Gasdrucks oder anderen Gasgemischs, praktisch schaumlos ins Glas kommt, einen chemischen Beigeschmack hat und Kopfschmerzen verursacht. Dem Lütten zuliebe blieben wir und ich bestellte ein Guinness und eine Tüte Chips, die mir Emil sofort aus der Hand riss und verputzte.

      Mit dem nächsten Bus gondelten wir über matschige Landstraßen zurück nach Lowestoft. In unserem Zimmer hatte die Fernbedienung tatsächlich neue Batterien erhalten, aber ein Wackelkontakt war die eigentliche Ursache für das Problem. Ich schaffte es, zu einer Sendung über Wale umzuschalten, Tiere die Emil und mich begeisterten, mich, seit ich das Buch ‚Leviathan‘ von Philip Hoare gelesen und das mich veranlasst hatte, Melvilles Moby Dick nochmals im Orignal zu lesen. Ich döste ein.

      Für das Abendessen beschlossen wir auf keinen Fall wieder ins ‚Habours Inn‘ zu gehen, da es uns wirklich nicht so zugesagt hatte. Aber außer türkischen und chinesischen ‚Take-aways‘ war nichts zu finden. Das ‚Fish and Chips‘ - Restaurant am Platze hatte nur tagsüber auf und eine Kneipe mit dem Schild ‚families welcome‘ auf dem South Pier war gerade dabei zu schließen. Pech, denn die wär‘s vermutlich gewesen.

      Die Abendbeleuchtung des modernen Springbrunnens setzte ein, eine dieser schrecklichen Kleinstadtattraktionen, wie man sie auch zuhauf in Deutschland vorfindet. Die Wasserstrahlen wurden mit einem Mechanismus unterbrochen und schienen einen Moment zu schweben, bevor sie nieder-platschten.

      Verzweifelt, willigte ich schließlich ein, dass wir uns bei einem KFC-Imbiss (Kentuky Fried Chicken) anstellten. Es war ein ‚drive in‘ und auch draußen in den Autos saßen die Hungrigen Schlange. Immerhin durften Menschen ohne Auto auch etwas essen und dafür gab es sogar einige angeschraubte Tische mit angeschraubten Stühlen. Da ich noch nie in einer Fast-Food-Kette gegessen hatte, stellte ich mich reichlich blöd an, das musste jedenfalls der Typ in der lächerlichen Uniform gedacht haben, als ich naiv ein 'sukkulentes' (bevorzugtes Schlagwort der Firma) Brustfilet bestellte. Jedenfalls fragte der Bursche allerlei Dinge, ob diese Größe oder diese, wie groß die Portion Pommes Frites dazu, Soßen, Salat, etc. Ich wollte Ketchup dazu, auch hier musste ich mich festlegen, wie viele Tütchen. Die Salate waren absurderweise ebenfalls alle mit Hühnerfleisch angemacht und ich verstand die Unterschiede nicht. Der Angestellte schüttelte den Kopf, ich bezahlte und bekam eine Nummer. Als sie auf einem fettverschmierten Computerdisplay endlich angezeigt wurde, überreichte mir ein teigiger Kerl ein Tablett, auf dem eine überdimensionale braune Papiertüte stand. Die trug ich an unseren Tisch, auf dem noch die Essensreste der Vorgänger klebten und an dem Emil aufgeregt gewartet hatte. Von hier hatten wir einen Blick auf die endlose Autoschlange an der Essensausgabe für die Autofahrer. So begafften wir immer ungefähr fünf Minuten die Insassen eines Autos und sie uns, bis sich das nächste vor die Scheibe schob. Ich fühlte mich dabei in meiner Ansicht bekräftigt, dass Menschen durch Autos keineswegs beweglicher, sondern starr und steif werden. Die Prothese 'Auto' lässt ihre Bewegungen verkümmern und den Bewegungsradius immer kleiner werden. Autofahrer sind unflexibel und verlernen ihr Leben zu organisieren, zum Beispiel Fahrpläne zu lesen oder Fahrkarten zu kaufen. Sie leben in einem Blech-Kokon einem ‚Innenraum‘. Das Empfinden von Autofahrern verschiebt sich auch dadurch. Sie werden lethargisch, bequem, langweilig und gelangweilt und fantasielos. Sie sind kränker als Nicht-Auto-Fahrer, haben kaputte Rücken und keine Abwehrkräfte, da sie immer 'drinnen' sind. Sie werden von der ganzen Warterei in Staus und an Ampeln feindlich gesonnen, reizbar, gewissenlos und aggressiv. Ihren Auto-Besitz der eine Verlängerung ihres Körpers ist, verteidigen sie um jeden Preis, wenn es sein muss mit Gewalt. Die Außenwelt ist für sie weiter weg als für Nicht-Auto-Fahrer, ein Fremdkörper, voller Aggressoren, die sein Eigentum wegnehmen oder beschädigen wollen. Autofahrer lassen ihre vermehrte schlechte Laune gerne heraushängen, denn sie sind gewohnt, dass man sie durch ihren Kokon nicht hören kann. Egoistisch und breit verschaffen sie sich und ihrem Gefährt Platz.

      Der Sohn verschlang die panierten Hühnerpressfleischstückchen mit einem Happs und ich musste noch mehr davon kaufen. Neben einer stolzen Rechnung, lag hinterher auch ein stolzer Müllberg zwischen uns, genau genommen war der ganze Tisch mit Pappkartons und Plastikschälchen, Plastikbesteck und ähnlichem vollgestellt und ich stapelte alles zurück in die Papiertüte, aber es passte gar nicht mehr hinein und sie platzte auf.

      Draußen, die Luft war gesättigt von fiesen Auspuffgasen, die selbst dieser Wind nicht schaffte, schnell genug zu verwehen, da teilte mir Emil mit, dass er unbedingt das Spiel ‚Chelsea‘ gegen ‚Rubin Kazan‘ sehen müsse, ein Europa-Liga Fußballspiel. Deshalb zogen wir die Hauptstraße hoch. Emil schwor Stein und Bein, tagsüber vom Bus aus vor einem Pub ein Schild mit einer Ankündigung für das Spiel gesehen zu haben. Woher sollte er auch sonst wohl von dem Spiel erfahren haben? Ach, wie mir manchmal dieser Fußballfanatismus zum Hals heraushing. Ich meine, es ist ja okay, wenn man sich für Fußball interessiert, aber bitte in Maßen, und warum musste das Lieblingsteam ausgerechnet Chelsea sein? Doch bloß, weil sie blaue Trikots trugen und Emils Lieblingsfarbe genau dieses Blau war. Was für ein Unsinn. Emil lag mit seiner Annahme goldrichtig und schnell fanden wir den Pub, der ‚Royal Oak‘ hieß. Das ‚l‘ war abgefallen und überhaupt war es eine nicht so vertrauenerweckende Spelunke. Als wir eintraten, hatte ich das Gefühl, was die Abendgestaltung anging, überrollt worden zu sein. Aber ich war auch stolz darauf, dass dieser Dreikäsehoch derart stur etwas durchsetzen konnte. Sofort kletterte er auf einen der Barhocker und stierte auf die Mattscheibe über der Theke, dann, nachdem er festgestellt hatte, dass es sich nicht um das Chelsea-Spiel handelte, nach rechts auf einen Fernseher über der Fensterscheibe und dann nach links auf einen Apparat in einer Ecke, neben dem es zu den Toiletten, einem Billardtisch und einem abseitig stehenden Tischchen mit Sofa ging. Diese Sitzecke fiel auf, weil sie überhaupt nicht zum Rest des eher schlichten Pubs mit dunklem Holzfußboden und reinem Holzmobiliar passte. Auf dem letzten Fernseher lief tatsächlich das gewünschte Spiel, wenn auch ohne Ton, wie all die anderen Spiele auch. Notgedrungen bestellte ich mir ein ‚London Pride‘, ein Bitter, was mir nicht so gut schmeckte und hier im Land des herrlichen ‚Adnams‘ eigentlich eine Beleidigung darstellte. Emil bestellte ich ein Mineralwasser ohne Kohlensäure mit Eiswürfeln und ohne Zitrone, was der Barmann, ein muskelbepackter Boxertyp ihm auf einem Bierdeckel zuschob. Außer uns gab es nur noch einen weiteren Gast, einen dürren Mann im Trenchcoat, der seinen Hocker direkt vor dem Fernseher mit dem Chelsea-Spiel aufgestellt hatte. Emil erklärte mir, dass auf den anderen Bildschirmen Tottenham und Newcastle spielten, was wohl stimmte, wenn ich die Abkürzungen am oberen Bildrand richtig interpretierte. Er erklärte mir, so als wäre ich eine völlig ahnungslose Gestalt, dass dies das Viertelfinale der Europa-Liga sei und sie alle zur gleichen Zeit spielen würden und in vorwurfsvollem Tonfall, dass man ja das vierte Spiel in diesem Pub nirgends sehen könnte, weil es ja nur drei Fernseher gebe. Ich war völlig perplex. Woher wusste er das nur alles? Es fiel ein Tor für Chelsea und Emil jubelte. Ich bestellte mir gleich noch mal ein Pint.

      Ein junger Mann, ein Gigolo-Typ, kam herein, mit zwei, für dieses Wetter mindestens spärlich bekleideten, Frauen, eine mit einer hochtoupierten Haarsprayfrisur, wie sie in den Fünfzigerjahren modern waren, die andere hatte eine schlichtere Langhaarfrisur, hinten kürzer als vorne, und ein Emma-Peel-Minikleid-Outfit, also in schrägen Farben: ein schrilles grün mit orangen Söckchen. Sie setzten sich auf das Sofa und der Gigolo mit Fönfrisur und halboffenen Hemd kaufte an der Bar bei George, wie er den Barmann nannte, holländisches Lager, die der Pub gerade im Angebot für ein Pfund das Fläschchen verhökerte. Die Frauen machten die ganze Zeit an sich herum, toupierten, zupften an ihren Rockzipfeln und bemalten sich die Lippen mit einer Farbe, die man mit einem Pinsel auftragen musste. Der Mann bestellte gleich noch einmal drei Wodka. Seufzend legte er seinen Arm um die beiden Frauen und küsste kurz erst die eine und dann die andere. Aber schnell unterhielten sie sich ernsthaft, und ich mutmaßte, dass der Typ ihnen irgendwelche Anweisungen für die Nacht gab, sprich, ich dachte vorurteilsbeladen, der Mann sei irgendwie der Zuhälter der beiden Frauen, was sich später aber als völlig falsch erwies.