Peters exotische Reisen. B. Born. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: B. Born
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738040012
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erste Pub an dem wir vorbeikamen, hieß ‚Notleys‘. In einem Glaskasten neben dem Eingang wurde mit vielversprechenden Bildern für traditionelles Kneipenessen geworben. Wir gingen hinein. Innen erwartete uns ein affiges Sammelsurium, ein blutroter Teppich, sich damit beißende blaue und rote Blümchentapeten, schwarz spiegelnde Tische, mannshohe, auf römisch oder ägyptisch gestylte, Superkitsch-Figuren und an den Fenstern moderne Ledersessel, die so tief waren, dass selbst ich geradeso über die Seitenlehne gucken konnte und in denen man unmöglich eine Mahlzeit zu sich nehmen konnte. Kinder schon gar nicht. Wir erhoben uns also wieder, gingen an die Theke und schwangen uns auf Barhocker. Ich ließ mir ein ‚Adnams‘-Bitter zapfen, ein lokales Bitter-Bier, das ich schon aus London als ein ausgezeichnetes Bier kannte. Leider war es aber nur halb frisch, wobei festzustellen ist, dass der Frischegrad bei Bitter das A und O ist, denn es wird nach schon wenigen Tagen im angestochenen Fass fade und dann dauert es nicht mehr lange, bis es säuerlich und trübe wird. Am besten schmeckt Bitter, wenn das Fass ganz frisch geöffnet ist und die ersten fünf bis zehn Pints schon daraus verkauft worden sind (die allerersten Pints sind zu schaumig), dann ist man an einer Goldader und möchte wie ein Esel gar nicht mehr aufhören, das Zeug zu saufen.

      Auf einem der beiden den Raum bestrahlenden (besudelnden), von ihrer Größe kaum zu übertreffenden, Plasmafernsehern flimmerte ein Fußballspiel, welches hab‘ ich vergessen, vielleicht aus der schottischen Liga. Entspannend daran war, dass Emil zufrieden glotzte.

      Auch zur Abendessenszeit trafen komischerweise keine neuen Gäste ein, im Gegenteil alle noch verbliebenen Gäste machten sich nach und nach aus dem Staub, vielleicht an den häuslichen Fleischtopf, bis außer uns nur noch zwei Einheimische an der Theke hockten. Sie sprachen über Fußballwetten und die Quoten in den einzelnen Wettbüros. Dabei sahen sie sich nicht an, sondern zu unterschiedlichen kleineren Fernsehern, die über der Theke angebracht waren. Einer holte eine ganze Handvoll Wettscheine aus seiner Jacke und der andere mit einer Lederjacke erklärte ihm eiskalt, dass er ein Idiot sei, da er alles, was er gewettet habe, sich widerspreche und er so niemals etwas gewinnen könne.

      Da die Küche nicht so beliebt zu sein schien, schleuste ich Emil, in der Halbzeitpause hinaus und um die nächste Ecke, wo sich das ‚Habour Inn‘ befand. Auch dieser Pub war nicht der Hit, denn sie hatten nicht mal das lokale Adnams-Bitter anzubieten, man hatte das Schild zur Seite gedreht, was signalisierte, dass das Fass leer war. Aber immerhin gab es eine andere touristische Familie die gerade Essen bestellte.

      Also zog ich nach und kaufte an der Theke ‚Fish and Chips‘ – zwei Erwachsenen Portionen, denn für Kinder wurden nur Fischstäbchen angeboten.

      Das Essen war eine derbe Enttäuschung. Da musste ein Koch gedacht haben, er müsse eine moderne Variante dieses traditionellen Gerichts anbieten. Auf einem weißen rechteckigen Teller lagen auf einem dreieckigen Papierchen, zu einem Türmchen geschichtete, frittierte Kartoffelstücken. Daneben stand ein kleines Einmachglas mit dem dazugehörigen Gummiring im Deckel. Es enthielt zu Mus zermatschte Erbsen. An das Glas gelehnt war der panierte Fisch. Bei den Papierecken handelte es sich in Wirklichkeit um Backpapier, das wie Zeitungspapier bedruckt war. Auf unseren beiden Bögen war der gleiche Aufdruck: „the daily catch“ und „35p“, darunter zynischerweise ein Foto von einer Portion ‚Fish and Chips‘, wie diese früher zu bekommen war: in einer aus Zeitungspapier gedrehten Tüte.

      Völlig fassungslos von dieser absurden Präsentation machte ich mich daran, unter der fast verbrannten, steinharten, zentimeterdicken Panade den Fisch zu finden. Emil war aber so hungrig, dass er ratzfatz alles aufaß.

      Ich war da sehr viel gehemmter, beschäftigte mich nebenher auch mit dem Design des Pubs, der aus der Kategorie ‚modern‘, aber irgendwie an Hässlichkeit kaum noch zu übertreffen war und hielt mich an das Bitter, obwohl es abgestanden und viel zu ‚hopfig‘ war.

      Nach dieser Essenserfahrung musste ich Emil noch einmal ins ‚Notleys‘ schleusen, aber auch hier war nun das ‚Adnams‘-Fass alle und ich beschloss, dass wir den Abend beendeten und einfach nur zu Bett gingen.

      1 Zweiter Tag (Donnerstag, der 4. April)

      Beim Rasieren musste ich mich auf den versüfften Teppich knien, um in dem Spiegel, der auf dem Waschbecken hinter den Wasserhähnen angedübelt war, etwas erkennen zu können. Wie der Geruch verriet, war der Teppich an dieser Stelle besonders stark vom Urin der Männer verunreinigt, da, wie ich unterstellte, nur die wenigsten nachts den Weg zur Toilette eine Etage tiefer gefunden hatten. In meiner Haltung fühlte ich mich wie bei einem Gebet und der Einwegrasierer schrappte fies, denn aus Faulheit und weil mein Bartwuchs sehr gering ist, benutzte ich sie nicht nur einmal, sondern eher zehn Mal. Als ich auch noch Popel an der Wand neben dem Waschbecken entdeckte, brach ich angewidert ab, wischte den Rest Seife in ein Handtuch und sah aus dem Fenster, durch dessen Spalt ein Schwall eiskalte Luft strömte. Der Sturm hatte gegenüber dem Vortag noch an Stärke zugenommen. Der Strand war im Meer verschwunden. Wassermassen spritzten auf die Promenade. Ein mutiger Hundebesitzer rannte hindurch. Emil sah ‚Peppa Pig‘, eine animierte Kinderserie in der Kinderschweine und ihre Eltern es liebten, in Matschpfützen herumzuspringen und wozu Emil eigentlich zu alt war, aber wir hatten es wieder nicht geschafft, ein anderes Programm einzustellen.

      Das Duschen verschob ich dann auch, weil die Duschkabine unter Wasser stand und ich keine Lust hatte, im Dreckwasser anderer Pensionsgäste zu stehen.

      Beim Frühstück war es mir zuwider, die ekligen englischen Würstchen und den gebratenen, fettigen Schinken zu essen, aber Emil spachtelte zufrieden drauflos und so überwand ich mich, da ich dachte, dieses fette Zeug sei eine sinnvolle Grundlage, die alles beinhalte, was man zur Stärkung in dieser Landschaft und bei diesem Wetter benötige.

      Im Weggehen beanstandete Emil bei dem Wirt in der selben Art und Weise, wie ich es am Vortag mit der Heizung getan hatte, die Fernbedienung in unserem Zimmer, da er erkannt hatte, dass ich mich nicht um den Fernseher kümmern würde. Der Mann versprach sich das anzusehen.

      Die Anfahrt nach Southwold im Doppeldeckerbus war ein fantastisches Erlebnis. Wir waren die einzigen Passagiere, die oben saßen. Wir hatten uns nach ganz vorne gesetzt, natürlich rechts, also auf die ‚Nichtbaumseite‘ und über den Fahrer, eine Grundregel, die ich Emil immer wieder eingebläute, weil es in London auf der linken Seite in den letzten Jahren immer wieder Tote und Verletzte gegeben hatte, wenn herunter- oder abstehende Äste den linken Teil des Obergeschosses durchschlagen hatten. Über dieses Problem hätte mich eine Statistik interessiert, aber leider wurde es weitgehend totgeschwiegen. Jedoch gab es Anstrengungen das Problem in den Griff zu bekommen: so wurden an die Busse nachträglich Metallstangen angeschweißt, eine fragwürdige Maßnahme, da bei den Todesfällen Baumstämme oder Äste mit gewaltiger Wucht ganze Teile des Daches weggerissen hatten und diese Stangen die Busse nur vor kleineren Beschädigungen schützten. Auch wurden für die Busfahrer Warnschildchen mit der Aufschrift: ‚LOW TREES‘ angebracht (Scherzbolde beliebten das ‚Low‘ in ein ‚Love‘ zu ändern) und es wurden die Bäume regelmäßiger und großzügiger beschnitten. Trotzdem blieb ein Restrisiko.

      Die schwarzen Felder waren mit einem Schneematschfilm überzogen.

      Wir fuhren bis zur Endhaltestelle an den Pier von Southwold. Die aufgehängten Buchstaben des Wortes: Southwold Pier schlugen im Sturm hin und her, Sandspielzeug und Kinder-Fischernetze wurden zum Verkauf angeboten, darüber schmückte eine aufgemalte, gelbe Schlange mit zwei Köpfen die Scheiben. Wir liefen einige Meter gegen den Wind. Am Parkplatz standen eine ganze Reihe kleiner Strandhüttchen, die ordentlich und jedes mit einer anderen Bonbon-Farbe bemalt waren. Das blendete richtig. Schnell war der erbarmungslos dahinschießende eisige Gegenwind nicht mehr auszuhalten und wir drehten um und schlitterten über die glitschigen Holzbohlen des Piers. Durchgefroren betraten wir einen der Läden.

      Es war ziemlich düster. Ringsherum an den Wänden standen kuriose Maschinen, die absolut merkwürdige Dinge machten, wenn man sie mit Geld fütterte. So warf Emil 40 Pence in den Apparat: ‚Test your Nerve‘ mit einem Doberman ähnlichen Hundekopf aus Pappmaché hinter einem Zaundraht und dem Warnschild: ‚Break in. Make his day.‘ Dazu sollte Emil einen roten Knopf hinter einer Klappe mit Kettchen unterhalb des bedrohlich aussehenden Kopfes drücken. Aus dem Maul tropfte