Es geht gen Westen!
3. Tag: Williamsburg - Charles City (58 km) 334 km
Als ich aus dem Fenster des Motels schaute, schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Das versprach einen herrlichen Sommertag. Kal.-John, der neben meinem Zimmer Logis bezogen hatte, klopfte an die Tür, als mein Wecker in der Badestube, wo ich schon so gut wie ganz fertig war, erst 7.20 Uhr zeigte. Ich hatte eigentlich noch vor, einen Spaziergang zu machen, da schon alles in den Packtaschen verstaut war.
Als ich die Tür öffnete, stand Kal.-John mit seinem vollkommen fertig bepackten Rad vor mir. Auf meine Frage, wieso er schon so früh da sei, da wir erst um 8.00 Uhr in der Foundation sein sollten, sagte er mir, daß es schon drei Minuten vor 8.00 Uhr sei. Er zeigte mir seine Armbanduhr und ich sah auch auf meine kleine Armbanduhr am Arm. Und siehe da: Das stimmte. Mein Wecker hatte mich im Stich gelassen. Ich nun nichts wie flott meinen Sturzhelm auf den Kopf gesetzt, die Sonnenbrille vor die Augen geschoben, die Fahrradhandschuhe angezogen und ab ging es mit meinem bepackten Rad aus meiner Stube und mit Kal.-John zum Treffpunkt. Nach einer gründlichen Endreinigung des dortigen gastlichen Raumes und der sanitären Anlagen verließen wir fröhlich Williamsburg in Richtung Jamestown.
Auch heute befanden wir uns bei warmem Sonnenschein bis Jamestown auf dem Colonial Parkway. Es war ein Gedicht, wie schön der Park zu beiden Seiten von uns aussah. In Jamestown besuchten wir das Informationszentrum mit einer alten Glasbläserei und sahen uns auch einen 15 minütigen geschichtlichen Film über die Besiedlung dieser "Neuen Welt" an.
Was hatten diese Menschen hier bloß alles geleistet und ausgehalten! Hut ab vor ihnen.
Und weiter ging es gen Westen. Nach kurzer Zeit fragte mich ein Autofahrer:
„Wollt Ihr nach Oregon an die Pazifik-Küste?“
Ich staunte über seine Scharfsichtigkeit und nickte mit dem Kopf.
„Dann sehen wir uns ja in drei Monaten dort wieder; denn ich wohne dort. Take care!“
Winkend fuhr er davon. Lustig, was?
Es wurde immer wärmer. Herrlich ließ es sich radeln. Hauptsächlich befand ich mich in der Gesellschaft von Kal.-John und wechselweise auch anderen, die sich zu uns gesellten. Zeitweise bestand unsere Gruppe auch aus sechs oder sieben Mitgliedern.
Bei dieser Durchquerung wurde nicht gehetzt. Sarah sagte, daß wir hier kein Rennen veranstalten und auch nicht auf der Flucht seien. So lernte ich hier endlich das gemütliche Fahrradfahren kennen, wie ich es mir schon ewig gewünscht hatte. Trotz anfänglicher großer Bedenken, meinen Weggefährten auf die Nerven zu gehen, wenn sie zu schnell radeltn und vielleicht hin und wieder auf mich warten müßten, hatte ich das
Gefühl, voll integriert zu sein. Meine Bedenken fielen somit alle unter den Tisch. Ich war hier rund um die Uhr einfach glücklich.
In der Mittagszeit legten wir hinter der Chickhominy-Brücke eine Pause ein, um unser gestrichenes Brot und Obst zu essen. Ein einheimischer schwarzer Schmetterling mit blauen metallisch glänzenden kleinen Unterflügeln setzte sich zu Sarahs Füßen auf einem Stein nieder. Ich wunderte mich, daß er nicht wegflog, obgleich wir dicht in seiner Nähe standen.
Dann ging es weiter. Es wurde immer auf den Letzten gewartet, ohne daß jemand ungeduldig schaute. Die Strecke für heute war wieder kurz, so daß wir unendlich viel Zeit hatten.
Als wir in Charles City einliefen, hielten wir zuerst an einem Geschäft an der Straßenkreuzung und wollten Kaffee, Schokolade und Kuchen zu uns nehmen, also eine Kaffeepause machen.
N.-Y.-Bob kam später, weil er zuerst in einem anderen Eingang dieses Geschäftes Kaffee trinken wollte. Er sagte mir, daß ich mal dort hineingehen müßte, denn die Frau hinter dem Tresen sei auch eine Deutsche.
Ich also nichts wie hin. Evi, wie sie sich vorstellte, strahlte, weil sie mit mir in ihrer Heimatsprache sprechen konnte. Sie war eine hübsche junge Frau und Mutter von zwei Kindern von 10 und 6 Jahren. Wie ich an den Gesichtem deijenigen, die hier gerade bei ihr die ausgesuchten Waren bezahlen wollten, sah, waren alle Männer in sie verliebt. Das konnte ich völlig verstehen. Sie war vor 15 Jahren aus Bayreuth in die U.S.A. gekommen und seitdem hier völlig glücklich. Einmal im Jahr fuhr sie in ihre alte Heimat und machte mit ihrer dort wohnenden Mutter eine große Flugreise. Dieses Jahr ging es nach Hawaii. Sie gab mir ihre Adresse und bat mich, wenn ich wiederkommen würde, sie doch bitte zu treffen. Ich werde ihr schreiben. Statt einer heißen Schokolade, die ich hier nicht erhalten konnte, vernaschte ich ein Eis, das viel zu schnell den Weg alles Vergänglichen gegangen war.
Wir radelten weiter. Der Wald hier hieß Sherwood-Forest. Der erste Siedler, der hier etwas zu sagen gehabt hatte, mußte wohl aus England gekommen sein. Nach einer weiteren kleinen Strecke fanden wir in Adkins Store unser heutiges Tagesendziel. Sarah befand sich schon mit Miki und Ohio-John dort. Für heute war Camping angesagt. Gemeinsam stellten wir unsere Zelte auf. Dieses wurde die erste interessante
Nacht. Unsere Zelte standen neben einem Feuerwehrhaus. Den Gemeinschaftsraum und die Küche durften wir benutzen.
John erklärte mir die vorzügliche Beschaffenheit seiner Fahrradbluse. Da er eine so empfindliche Haut besaß und von den ultravioletten Strahlen sehr schnell verbrannt wurde, genoß er es, in dieser neuartigen Bluse zu radeln, ohne auch nur die kleinste Strahlung durch den dünnen Stoff zu spüren.
Das leuchtete mir ein. Er gab mir die Telefonnummer des alleinigen Herstellers in Seattle, die auf dem Abschnitt in der Bluse stand. Dort wollte ich anrufen und mir dasselbe in meiner Größe bestellen.
Während wir uns beide so unterhielten - ich in meinem holprigen und ungenügenden Englisch - kochten N.-Y.-Bob und Ohio-John neben uns. Ohio-John, ein hochintelligenter Student, hielt sich von Zeit zu Zeit die Ohren zu. Auch zuckte er mehrmals zusammen. Er litt förmlich unter meiner Aussprache.
„John, halte dir mal solange, wie ich hier sprechen muß, die Ohren zu, damit du das überlebst.“
Er nickte mir zu, sagte aber:
„Ist schon gut.“
Wenn meine Kameraden mit mir sprachen, übersetzte ich sofort in Gedanken alles, was ich verstand wörtlich - und das war nicht viel. Dadurch kam bei meiner Übersetzung ganz bestimmt sehr oft ein falscher Sinn heraus. Und meinen Kameraden machte es ebenso große Schwierigkeiten, das zu verstehen, was ich sagte. Meine Aussprache wich von der ihren sehr ab. Ich mußte lernen, lernen, lernen.
Zu N.-Y.-Bob gewandt, fragte ich:
„Ist mein Englisch so sehr schlecht?“
„Ich kann überhaupt kein Wort Deutsch. Und im Verhältnis dazu bist du sehr gut.“
Das baute mein Selbstbewußtsein wieder auf.
Per Telefon bestellte ich mir die gleiche Bluse von Kal.-John und ließ sie zu meiner nächsten Poststation senden. Als Alex das erfuhr- er litt auch unter einer sehr empfindlichen Haut - bestellte er sich auch eine.
Bald hatten wir uns frischgemacht und das sehr gut schmeckende selbst zubereitete Abendessen gegessen. Draußen stellte ich fest, daß sich eine sehr feuchte Landluft breitgemacht hatte und schloß von allen Zelten die Eingangsreißverschlüsse, um die Innenzelte so trocken wie möglich zu erhalten. Engl.-Bob kam zu mir heraus und erklärte, daß sich in dem Feuerwehrhaus eine Waschmaschine und eine Trockenschleuder befänden. Und weil unsere Wäsche bei der hohen Luftfeuchtigkeit nicht trocknen konnte, entschlossen wir uns, von allen die gewaschene Wäsche von der Leine zu nehmen und in den Trockner zu stecken.
Während ich hier in meinem Zelt auf dem herrlichen Schlafsack saß und bei Froschgequake und Grillenzirpen mein Tagebuch schrieb, hörte ich durch das geöffnete Hausfenster die Wäsche sich im Wäschetrockner bewegen. In meinem Zelt hatte ich noch 20 Grad Celsius.
Die anderen saßen im Gebäude und unterhielten sich. In dem Stimmengewirr konnte ich mich nicht konzentrieren und schreiben. Die Zeltlampe, die mir meine Kolleginnen gegen die