Weiter ging die Runde. Neben einem der vielen Tische in diesem großen Saal stand ein jüngerer, großer, breitschultriger Mann mit braunen Augen und glattem, kurzem Haar, der mich liebenswürdig anlächelte und grüßte, als Sarah ihn mir als Michael aus Florida vorstellte. Neben ihm saß ein koreanisch aussehender, junger Mann mit vollem schwarzen Haar und dunklen Augen, der mir etwas schüchtern zulächelte, als er mich begrüßte. Er wurde mir mit dem Namen Michael aus Indiana vorgestellt. Es beschäftigte sich noch ein älterer kleinerer, schlanker Mann mit weißem kurzen Haar, weißem Bart und hellen Augen in der Nähe an seinem Fahrrad. Hierbei handelte es sich um Bob aus New York. Einer fehlte noch.
Während ich gerade auf dem Rasen des Vorgartens bei meinem Fahrrad stand, wurde ein junger, schlanker Mann mit blondem, glatten, kurzen Haar und einem schmalen Gesicht, aus dem zwei hochintelligente blaue Augen freundlich alles in seiner Nähe Liegende registrierten, von einer älteren Frau begleitet, zu unserem Treffpunkt gebracht. Er schob sein Reiserad mit den daran befestigten Packtaschen neben sich her. Er hieß auch John und kam aus Ohio. Die Frau an seiner Seite war seine Mutter.
„So, nun sind alle anwesend. Unser Teilnehmer aus Brasilien mußte leider aus Krankheitsgründen absagen, ebenso die beiden Holländer. Die zwei Letzteren starten in der zweiten Gruppe in der nächsten Woche. Und da wir zwei Bobs, zwei Michaels und zwei Johns in unserer Gruppe haben, schlage ich vor, daß wir bei diesen Freunden den jeweiligen Staat, aus dem diese kommen, vor deren Namen fügen. In diesem Sinne nennen wir sie Califomia-John und Ohio-John, Englisch-Bob und New-York-Bob und Indiana-Michael und Florida-Michael.“
Ein zustimmendes Gemurmel folgte.
Florida-Michael bot uns seinen Spitznamen, Miki, an. Der war kürzer.
„Da es heute der erste Abend für uns alle ist, schlage ich vor, daß wir gemeinsam zum Essen gehen, um uns ein wenig näher kennenzulemen. Was haltet ihr davon?“
Alle waren dafür.
Meine neuen Teamgefährten machten auf mich einen sehr kameradschaftlichen, unterhaltsamen und netten Eindruck. Von allen Anwesenden war ich die Kleinste und Leichteste.
Während wir uns in dem großen Raum unterhielten, in dem unsere Räder standen und unsere Packtaschen lagen, fegte draußen gerade ein Gewittersturm hernieder, der dicke Hagelkörner und scharfen Platzregen brachte. Er dauerte ziemlich lange, bis es wieder trocken wurde und die Sonne zwischen den Wolken ihren Weg zu uns herab fand.
Abends gingen wir gemeinsam zum Essen. In diesem Restaurant suchte ich mir Spaghetti mit einer ölhaltigen Soße aus. Aber was ich dann vor mir auf dem Teller fand, waren Spaghetti, die in Öl nur so schwammen. Ohio-John bestellte sich hier nichts, weil er sich anders ernährte als wir. Ganz genau bekam ich das auch nicht raus, nur soviel erzählte er, daß er ohne Fleisch, ohne Alkohol, ohne Zigaretten, fast ohne Fett, ohne Süßigkeiten, ohne Bohnenkaffee, ohne schwarzen Kaffee lebte. Überwiegend aß er frisches und getrocknetes Obst, rohes und gekochtes Gemüse, gutes Gebäck und trank Wasser.
Sarah erzählte uns, was alles auf uns zukommen wird und wie wir so einiges machen müßten. Von ihren Erläuterungen verstand ich höchstens ein Viertel, nahm mir aber vor, gut aufzupassen und den anderen alles abzuschauen.
„Dann“, so dachte ich, „wird schon nichts schief gehen.“
„Ab morgen wird von zweien gekocht. Täglich wird gewechselt. Um zu wissen, mit wem wer kochen muß, habe ich Lose vorbereitet, die sich hier in diesem Hut befinden. Jeder greift einmal hinein.“
Wir zogen Lose, die Sarah angefertigt hatte. Kal.-John war derjenige, mit dem ich für die erste Zeit Küchendienst hatte. Das war ganz lustig. Wir verstanden uns sehr gut.
Bei Strippenregen gingen wir wieder zurück in die Wesley-Foundation. Wir sollten alle mit unserer ersten Tages-Straßenkarte bei Sarah erscheinen. Sie hielt mit uns ihr „map-meeting“ und anschließend noch viele Verhaltensregeln für uns bereit und erklärte uns, was morgen und in den nächsten Tagen auf uns zukommen würde.
Anschließend packte ich alles zusammen, was ich für morgen früh zum Waschen und Anziehen brauchte. Wir sollten tatsächlich alle gemeinsam in dieser Nacht hier schlafen. Hundemüde breitete ich meinen Schlafsack in der einen Ecke dieses großen Raumes aus und legte mich schlafen, derweil die anderen leise weiter tagten.
Etwas dichter lag Ohio-John, der bei Taschenlampen-Beleuchtung schrieb.
2. Tag: Williamsburg - Yorktown - Williamsburg (57 km) 276 km
In der Nacht wachte ich auf und sah Sarah nicht mehr auf ihrem Platz liegen. Beim Frühstück fragte ich sie:
„Sarah, wo hast du denn diese Nacht geschlafen? Aufeinmal warst du nicht mehr auf deinem Platz.“
„Als ich aufwachte, schnarchte einer. Und da konnte ich einfach nicht wieder einschlafen. Deshalb stand ich gleich auf, nahm meinen Schlafsack und die Unterlage und wanderte die Treppe hinunter, um dort in einem anderen Raum zu schlafen.“
Ein Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. Wie sollte das noch werden? Die Zeltwände waren nicht schalldicht.
Nach dem gemeinsamen Gruppenfrühstück starteten wir mit den vollbeladenen Rädern. Ich schloß mich Michael, Miki und Ohio-John an. In der Stadt verfuhren wir uns natürlich, ehe wir den Colonial Parkway fanden, nur hatten wir unterwegs Ohio-John verloren, der umgedreht war, um auf eigene Faust den richtigen Weg zu suchen.
Wir radelten bei herrlichem Sonnenschein diesen einmalig schönen Parkweg nach Yorktown. Meine Schaltung wollte nicht auf den vorderen kleinen Zahnkranz springen. Es ging aber auch ohne.
Bei dem Freiheitsmonument sollten wir uns sammeln. Nur Kal.-John stand dort. Wir machten es uns gemütlich und fingen an, unsere morgens selbst gestrichenen Mittagsbrote zu verzehren.
Nach recht langer Zeit trudelten so langsam die anderen einzeln und in Grüppchen ein. Von hier radelten wir hinunter an den Strand und tauchten unser Hinterrad etwas in das Atlantikwasser als Beginn unserer Amerikadurchquerung. Natürlich wurde das bildlich festgehalten. Wir ersten vier Ankömmlinge starteten zur Heimfahrt, während die anderen in ein Cafe gingen. Auf dieser 23 km langen Parkwegstraße unter herrlichen Bäumen hindurchzuradeln, genoß ich. Dort sah ich die erste überfahrene Schildkröte, von der es in dem breiten von uns zu überquerenden Gebirgszug der Appalachen noch sehr viele geben sollte.
Mit Kal.-John blieb ich noch im Stadtzentrum von Williamsburg, um im Cafe Schokolade zu trinken und Kuchen zu essen. Dann wollte ich "nach Hause". Kal.-John meinte, daß wir die heutige Nacht im Motel verbringen sollten. Es würde die letzte Nacht in einem schönen weichen Bett sein. Das leuchtete mir ein.
In Williamsburg nahm ich mir kurzentschlossen ein Zimmer zu ebener Erde, in das ich natürlich mein Fahrrad samt Packtaschen schieben konnte. Die Taschen lud ich ab und fuhr auf dem Rad noch in das hiesige Fahrradgeschäft, um die Schaltung nachstellen zu lassen. Es mußte ein wichtiges Teil ausgetauscht werden; wurde mir erklärt. So ließ ich das Rad im Geschäft.
Zu Fuß holte ich vom Einkaufszentrum zwei Liter Wasser für den morgigen Tag, um danach wieder zum Fahrradgeschäft zu gehen und zu fragen, ob es nicht doch schon fertig sei (18.00 Uhr). Und es war fertig. Die Ehefrau desjenigen, der mein Rad in den Händen hatte, war eine Deutsche. Für sie war es eine große Freude, wieder in ihrer Muttersprache reden zu können. Sie hieß Elke und war aus Ellerbek gebürtig, einem Kieler Stadtteil. Ihr Steckenpferd glich dem meinen: „Wie kann ich mich am besten gesundheitlich ernähren?“ Und das bei der amerikanischen Kost! Es dauerte jedenfalls ziemlich lange, ehe ich bezahlen und Weggehen konnte. Sie beide wollten mich im nächsten Jahr, wenn sie wieder nach Kiel zu den Kindern fahren wollten, besuchen. Ich freute mich schon heute auf ein Wiedersehen.
Im Motel wieder angekommen, machte ich mich frisch und traf beim Weggehen zur Sammelstelle in der Jamestown-Road unseren Flor.-Michael, der mich gleich mitnahm. Von der Wesley Foundation aus gingen wir gemeinsam in ein sehr gutes Restaurant. Heute bestellte ich mir einen großen griechischen Salatteller.
Spät in meinem