Williamsburg war ein hübsches kleines Städtchen mit einem großen College. Überall gingen oder fuhren auf dem Fahrrad Studenten mit freundlichen und lächelnden Gesichem herum. Ich fühlte mich zwischen all den Menschen sehr wohl.
Weil heute das Wetter nach dem morgendlichen Regen sonnig, sehr warm, aber windig wurde, entschloß ich mich kurzfristig, auf dem Colonial Parkway nach Yorktown zu radeln, den ich auf Umwegen fand. Bis Yorktown durchradelte ich eine sehr große Parklandschaft. In diesem kleinen geschichtsträchtigen Ort kam ich an die Atlantikküste und sah die riesige Brücke, die sich über den James River spannte, an dem Yorktown liegt. Am Uferstrand sonnten sich die Menschen im weißen Sand und der heißen Sonne.
Auf meinem Rückweg nach Williamsburg verfuhr ich mich und landete auf der (238), kehrte aber wieder um und kam zu dem geschichtlichen Schlachtfeld, auf dem damals die große und entscheidendste Schlacht geschlagen wurde.
Glücklicherweise fand ich hier meinen Parkweg wieder und erreichte ziemlich müde mein Motel. Zum Essengehen hatte ich mich zwar schon geduscht und umgezogen, entschied mich dann aber fürs Hierbleiben. Ich hatte keine Lust mehr, wieder wegzugehen.
Probleme im Gasthaus
Williamsburg
Um mein Gepäck noch mehr zu erleichtern, packte ich am folgenden Tag meinen schweren Föhn für die Haare, die guten und jetzt nicht mehr brauchbaren Klick-Pedalen und noch einige Garderobenstücke in einen Karton, um ihn nach Hause zu senden. Als ich damit auf der Post ankam, fragte mich der Postbeamte, nachdem er die Adresse gelesen hatte:
„Sie kommen aus Kiel?“
„Ja.“
„Vor einigen Jahren bin ich mit der amerikanischen Marine in Kiel zur Kieler Woche gewesen. Dort war es sehr schön.“
„Danke, das freut mich sehr.“
„Sie haben einen Sturzhelm auf dem Kopf. Wollen sie hier eine Fahrradtour unternehmen?“
„Ja, ich möchte vom Atlantik in Yorktown in Virginia quer durch den großen amerikanischen Kontinent mit Fahrrad, Packtaschen und Zelt bis nach Florence in Oregon zum Pazifik radeln.“
Während ich sprach, wurden seine Augen immer größer. Unbewußt öffnete er seinen Mund. Dann fragte er ganz ungläubig:
„Warum?“
„Weil die Amerikaner immer so freundlich und nett sind. Außerdem ist es in Amerika auch sehr hübsch. Das stellte ich 1992 fest, als ich mit meiner Tochter von Portland in Oregon am Pazifik entlang über San Francisco nach Big Sur radelte.“
Er war sprach- und fassungslos. Seine Kinnlade fiel ihm hinunter. So etwas hatte er wohl noch niemals gehört, geschweige denn selber festgestellt.
„Take care!“
Lächelnd verließ ich das Postamt.
Den weiteren Tag verbrachte ich mit Einkäufen und Organisieren. Abends machte ich mich auf den Weg zum „Dinner“ (zum warmen Abendessen) zu einem Restaurant, das mir die Besitzerin meines Motels empfohlen hatte.
Sehr gediegen sah es darin aus. Ein großer Bediensteter mit schwarzbrauner Haut geleitete mich höflich an einen einzelnen Tisch und reichte mir die Speisekarte.
Da ich kein Fleisch esse, suchte ich lange und fand kein vegetarisches Gericht. Nach einiger Zeit kam er zu mir:
„Haben Sie etwas ausgewählt?“
„Leider kann ich in der Speisekarte kein vegetarisches Gericht finden.“
„Nehmen sie dieses Gericht. Dazu gibt es Gemüse.“
Was sollte ich machen? Zusammen mit einem Glas Wasser gab ich bei ihm die Bestellung auf.
Als mir der freundliche Mann den Teller auf den Tisch stellte, lag darauf nur etwas Gemüse samt eines riesigen Steaks.
„Wann bekomme ich das andere Gemüse, das hier auf der Speisekarte steht?“
Er schaute mich ganz verständnislos an und meinte:
„Von den Gemüsesorten durften sie sich nur zwei aussuchen. Und zwei sind doch auf dem Teller. Mehr gibt es nicht. Das steht doch hier.“
Dabei zeigte er mit dem Finger auf das Kleingedruckte unter dem angegebenen Gericht. Den Text hatte ich nicht übersetzen können. Das Gemüse war so wenig, daß ich es fast mit der Lupe suchen mußte. Aber das Fleisch war so riesig, daß ich ihn fragte:
„Wissen sie jemanden, dem ich dieses herrliche, große Steak geben kann? Ich essen nämlich kein Fleisch.“
Mit seinen großen Augen sah er mich fragend an.
„Ich.“
„Oh, haben sie ein kleines Gefäß, in das ich es hineinlegen kann?“
„Ich bin gleich zurück.“
Kurz darauf stand er mit einem kleinen Behälter neben mir. Als ich das Fleisch darin verstaut hatte, nahm er es lächelnd entgegen und bedankte sich ganz glücklich. Das Weiß seiner Augen und seiner Zähne strahlten nur so in dem schwarzbraunen Gesicht. Ihn glücklich gemacht zu haben, war für mich heute das Größte.
Aber ich wurde nicht satt. Für die Zukunft mußte ich mir noch etwas anderes ausdenken.
In der Zwischenzeit war draußen ein Gewittersturm aufgezogen. Zum Glück trug ich wegen der abendlichen kühleren Temperatur meine Goretex-Jacke, brauchte nur noch die Kaputze über meinen Kopf zu stülpen und im Dauerlauf zurück zu meinem Motel zu laufen, in dem ich noch ein letztes Mal schlief.
Der Start:
1. Tag: Williamsburg (20 km) 219 km
Heute früh packte ich alle meine Habseligkeiten in meine Packtaschen, ging gemütlich zum Frühstück hinüber in das Frühstücksrestaurant, kehrte zurück und checkte am frühen Nachmittag aus, wo mir die Inhaberin dieses Motels sagte, daß ich zu ihr „my lady“ und nicht Ma’am sagen sollte.
„So, so“, dachte ich bei mir. „Heute habe ich schon wieder etwas Neues gelernt. Das wird wohl nicht das Letzte gewesen sein.“
Langsam radelte ich im Zentrum dieses Ortes herum, setzte mich in ein Lokal, aß einen Salatteller und trank ein großes Glas Sprite, während an der oberen Zimmerwand auf einem Fernseher gerade der Wetterbericht lief. Danach erreichte demnächst ein breites Regenband Ost-Virginia. Na, das waren für unsere Fahrt ja keine rosigen Aussichten.
Viele junge Leute bevölkerten die Restaurants und Cafes. Das meiste Leben spielte sich aber wegen der so angenehm warmen und trockenen Luft draußen an den Tischen vor den Gasthäusern ab.
Um 15.00 Uhr fand ich mich an unserem Sammelplatz, der „Wesley Foundation“, ein. In dem Saal sah ich zum ersten Mal meine Gefährten für diese große und lange Abenteuer-Expedition. Als ich in der Tür erschien, ging ein Raunen durch den Raum und fragende Augenpaare musterten mich.
„Guten Tag, ich heiße Hermine Stampa-Rabe und bin aus Deutschland.“
Sarah, eine junge, große und freundliche Frau mit im Nacken zusammengefaßten langen schwarzen Haaren aus Kalifornien, kannte mich ja schon Freundlich lächelnd kam auf mich zu und machte mich mit allen bekannt.
Gleich neben der Tür im Raum montierten John aus Kalifornien, ein älterer großer Mann mit meliertem kurzen, glatten Haar und Bob aus England, ebenfalls ein großer, schlanker älterer Mann mit schmalem Gesicht und grauem glatten Haar, ein Fahrrad zusammen. Sie lächelten mich an und grüßten. Weiter hinten in der rechten Ecke hockte ein Jugendlicher mit krausem braunen Haar auf dem Fußboden und bastelte an seinem Fahrrad, hinter