Ein Hellas Bitte!. Andrew Mills. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrew Mills
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847615101
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Reiseantritt in Manchester herrschten minus 2 Grad und starker Wind. Ich musste meinem Vater beim Enteisen des Autos helfen. Meine Mutter machte sich Sorgen, ob ich warm genug angezogen war, in München wäre es wegen der Nähe zu den Alpen sicherlich kälter, vielleicht gäbe es dort sogar Schnee. Ein langärmliges Unterhemd, Rollkragenpulli, Fleecejacke, Wintermantel, Schal, Handschuhe und Mütze müssten aber sicher reichen, wie sie meinte.

      Mein Hab und Gut hatte ich am Vorabend gepackt. Mein Vater schenkte mir den Koffer seines Vaters, einen riesigen Hartschalenkoffer, der mittlerweile etwas deformiert war. Er hatte zwei Klappverschlüsse, die sich nur schließen ließen, wenn sie millimetergenau aufeinander abgestimmt waren. Drinnen steckten Bücher, Kleidung und ein Carepaket aus englischen Teebeuteln, ferner hausgemachte Orangenmarmelade, Coleman's Senfpulver usw. (alles das, was ich vermutlich in München nicht würde kaufen können). Der Koffer war extrem schwer und wurde mit zwei bunten Sicherheitsbändern zusammengeschnürt. Ich sah ein bisschen aus wie auf der ersten Etappe einer Polarexpedition in den 30er Jahren.

      Der Abschied am Flughafen war sehr emotional. Als ich durch die Gepäckkontrolle verschwand, flossen viele Tränen.

      Ich fliege bis heute nicht gern und hatte also ein sehr mulmiges Gefühl, als das Flugzeug durch die Luft wackelte, als ich die frostbedeckten Hügel und Wälder hinter mir ließ und den Veränderungen entgegeneilte. Ein Flug dauert lange, wenn man beim jedem Luftloch einen Absturz erwartet, und er dauert noch länger, wenn man nicht sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

      Als wir München anflogen, sah ich für einen kurzen Moment die schneebedeckten Alpen, aber um den Flughafen war alles grün und die Sonne strahlte. Beim Aussteigen herrschten 23 Grad, ich war wohl etwas zu dick angezogen. Ich zog zwei meiner Jacken aus und ging zum Bus. Er fuhr zu einem Gebäude, das mich an Kriegsfilme erinnerte.

      Ich lief dann zur Gepäckannahme und suchte nach einem Wagen für meinen schweren Koffer. Ein etwas unfreundlicher Mann stand neben den Tragwagen und schaute mich seltsam an, als ich versuchte, einen Wagen von dem nächsten zu lösen. Irgendwie waren die Dinger in- und miteinander verbunden. Man musste gleichzeitig den Griff zusammendrücken und die Wagen auseinanderziehen. Es dauerte eine Weile, bis ich überhaupt begriff, was zu drücken und was zu ziehen war; als ich sie endlich befreit hatte, war ich ziemlich verschwitzt.

      Als ich mich auf dem Weg zum Gepäck machen wollte, hielt mich der Mann auf und verlangte Geld. Vorsichtshalber hatte ich Geld in Manchester gewechselt und hatte mehrere 10-DM-Scheine. Leider wollte er aber keine Scheine, er zeigte mir Münzen, von denen er viele hatte, und wiederholte immer wieder: „Ich kann nicht wechseln!“ Ich versuchte zu erklären, dass er so viel Kleingeld hätte, dass dies doch eigentlich kein Problem sein dürfte, aber er war nicht zu überzeugen und war auch nicht sonderlich freundlich. Hinter mir zogen alle anderen nach müheloser Trennung der Wagen und mit passendem Kleingeld vorbei. Mittlerweile musste der Mann doch so viel Münzen haben, dass er sogar ein 100-DM-Schein hätte wechseln können, aber nicht für mich.

      Ich gab auf, stellte mich an das Gepäckband und wartete auf meinen Koffer. Immer wieder wurde ich von anderen Passagieren, die ihre Gepäckstücke über meine Füße oder an meinem Schienbein entlangzogen, weggeschubst. Ich sprang hin und her und versuchte die Kofferschlacht zu überleben.

      Dann kam mein Koffer in Sicht. Ich versuchte, mich nach vorn zu bewegen und rief: „Excuse me, excuse me“, aber ohne Reaktion. Am Ende stürzte ich mich zwischen der Menschenmenge auf meinen Riesenkoffer, wurde zwei Meter mitgeschleppt und zog ihn dann ohne Rücksicht auf Verluste kurzerhand durch die wartenden Menschen. Es schien niemanden zu stören.

      Die nächste Schlange war die vor der Passkontrolle. Dies war aber eigentlich keine Schlange, eher so etwas wie ein Trichter. Leute zogen an mir auf beiden Seiten Richtung Schalter vorbei, und ich trat auf der Stelle, als ich versuchte, mich einzureihen. Endlich, als Vorletzter, kam ich an die Reihe. Es gab keinen Augenkontakt, ich lächelte freundlich, mein Pass wurde mir aus dem Hand gerissen und minutenlang überprüft, dann endlich wurde er ohne Kommentar über die Theke wieder zurückgeschoben - die Einreise wurde genehmigt. Mein erster Schritt zur Integration.

      Am Zoll war ich der Einzige, dessen Koffer kontrolliert wurde, was ich jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte. Außer der Zweihundert-Teebeutelpackung in meinem Carepaket (vermutlich hatten sie noch nie so viele Teebeutel auf einmal gesehen) war nichts auffällig. Dieses Mal brauchte ich 30 Minuten, um allein den verdammten Koffer zuzumachen. Natürlich kam mir keiner zu Hilfe.

      Ich war froh, mich endlich zum Taxi schleppen zu können. Es war ziemlich weit und viel zu heiß – ich hätte den Gepäckwagen und zehn Kleidungsstücke weniger gebraucht. Ich musste auch den Koffer allein verstauen, nachdem der Taxifahrer (für meinen Geschmack etwas zu schlecht gelaunt) einige Decken und einen Bierkasten weggeräumt hatte. Ich zeigte ihm meinen Zettel mit der Firmenadresse und los ging’s, mit 170 km/h in einem Mercedes, für mich Deutschland pur.

       Die Firma

      An der Pforte stellte ich mich vor. Mich verstanden sie zwar nicht, meinen Zettel aber schon, und auch sie wollten in meinen Koffer schauen. Ich bereute, überhaupt mit Gepäck angereist zu sein. Komisch auch, dass hier niemand Englisch sprach oder zumindest ein bisschen hilfsbereit erschien.

      Mit einer Handbewegung wurde ich in Richtung Gebäude 5 dirigiert, und zwar zur Personalabteilung, zu einer Frau Lott in WIG WD SIM PA EXT 34 – das war nicht etwa die Postleitzahl, sondern ihre Abteilungsbezeichnung.

      Frau Lott stellte sich als meine Personalbetreuerin vor. Sie war sehr nett, konnte aber auch nicht so viel Englisch, was das Ausfüllen der endlosen Formulare erschwerte.

      Ich musste viele Information angeben. Meine zwei Vornamen wurden fälschlicherweise mit Bindestrich eingetragen, ich konnte sie nicht davon überzeugen, dass mein Name anders geschrieben wurde. Bei der Kirchenangehörigkeit versuchte ich ihr zu erklären, dass ich keinem Glauben angehörte, aber sie verstand mich nicht und wiederholte ständig „Tex, Tex“. Nach langen, missverständlichen Diskussion über „Protestants“ und „Church of England“ trug sie “evangelisch“ ein. Sie hätten genauso gut „texanisch“ schreiben können.

      Ich musste dann mit meinem Koffer zur ärztlichen Untersuchung bei einem Prof. Dr. Holzapfel. Hier wartete ich allein im Wartesaal, ungefähr zwei Stunden lang. Immer wieder kam eine Krankenschwester vorbei, ohne mich wahrzunehmen. Ich war der Einzige, aber es gab nicht mal einen Blick oder eine Erklärung, warum ich so lange warten musste.

      An den Wänden hingen viele Poster mit Werbung für sogenannte „Betriebliche Krankenkassen“, und zu meinem Erstaunen auch Warnungen über Alkohol am Arbeitsplatz, noch dazu mit schockierenden Bildern von Fingern oder Armen in Schleifgeräten. Ich verstand nicht, wie man überhaupt Alkohol hereinschmuggeln konnte, wenn doch jeder einzelne Koffer überprüft wurde.

      Prof. Dr. Holzapfel konnte zwar Englisch, war aber recht kurz angebunden. Er fragte, ob ich Fieber hätte, und ich versuchte zu erklären, dass ich Schnee erwartete, was er nicht verstand.

      Nach drei Minuten wurde ich, versehen mit mehreren Broschüren über Krankenkassen, entlassen.

       Das Büro

      Mit den losen Broschüren, meinem Riesenkoffer und den Jacken wurde ich zu meinem zukünftigen Büro und Chef geschickt. Gebäude 24 Flur 4 Raum 53. Gebäude 24 lag 1,5 Kilometer entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Geländes.

      Der Standort bestand aus vielen langen grauen Betongebäuden, die Nummerierung schien willkürlich, die Außenseite war teilweise mit einer dunkelrosa Verkleidung geschmückt und sonst aber ziemlich eintönig. Dazwischen breite Straßen und gelegentlich ein Stück Rasen.

      Immer wieder musste ich wegen meines zu schweren Koffers anhalten. Zweimal fuhren Radfahrer direkt auf mich zu und klingelten, obwohl der Bürgersteig breit genug für sie war und eigentlich sie auf die Straße gehörten, sie beschimpften mich, „Fix!“ und „Geh weg!“ riefen sie. Ich nahm an, dass diese Straße repariert werden musste, aber sie erklärten mir nicht, wohin ich weggehen sollte.