»Die Enteisungsanlage.«
»Die was?«
»Dort in dem Gebäude ist die Aufbereitung für die Enteisungsflüssigkeit. Mit den Tankwagen werden die Tragflächen der Flugzeuge bei Minustemperaturen besprüht, damit sie in der Luft nicht vereisen und somit die Sicherheit gefährden.«
»Aber wir haben im Moment keine Minustemperaturen.«
»Dann wird sie auch nicht benutzt. Warum fragen Sie überhaupt?«
»Weil wir Autospuren gefunden haben. Und diese scheinen von dort zu kommen. Folgen Sie mir, wir schauen uns das näher an. Gibt es dort Licht? Können Sie dort ein paar Strahler einschalten?«
»Leider nein. Im Bereich der Lande- und Startbahnen, und im Bereich der Taxiway, haben wir nur Lampen im Boden installiert. Alles andere wäre zu gefährlich, könnte leicht mit einem Flügel umgefahren werden.«
»Kommen Sie. Haben Sie eine Taschenlampe mit?«
»Selbstverständlich. Gehört zu unserer Standardausrüstung.«
»Und eine Waffe?«
»Nur im Notfall. Jetzt nicht.«
»Und mit was sind Sie bewaffnet?«
»Revolver, Smith and Wesson.«
»Wie die Cowboys. Schon mal was von Automatik gehört?«
»Ja, sicher. Aber der Revolver macht mehr Eindruck und leidet niemals unter Ladehemmung.«
»Jemals benutzt und damit geschossen?«
»Nur am Schießstand.«
»Na, ja. Seien Sie froh.«
Sie überquerten eine betonierte Fläche, die in einem U-Turn die startenden Maschinen auf die Startbahn lenken sollte. Dahinter war die Enteisungsanlage.
Wenn Flugzeuge über den Leichnam von Tobias Löbinger gerollt wären, wäre nichts von ihm übrig geblieben, dachte Kreithmeier. Die Piloten hätte das nicht einmal bemerkt. Bei knapp 200 bis 300 Tonnen pro Flugzeug. Nichts wäre übrig geblieben.
»Da ist der Bunker«, Kreithmeier zeigte mit dem Zeigefinger auf ein flaches Gebäude, »Die Reifenspur geht hier vorbei. Was ist da hinter der Betonfläche des Enteisungsareals?«
»Rechts ist ein Löschteich und links eine asphaltierte Fläche, auf die wir im Winter den Schnee hinschaffen, den wir von den Betonpisten abräumen.«
»Hier kommt bei dem jetzigen Wetter nicht so oft jemand her, oder?«
»Sie haben Recht. Schnee haben wir noch nicht und bei dem Wetter brauchen wir noch nicht zu enteisen.«
Melanie war ein paar Meter voraus gegangen. Alois sah ihr an, dass sie sich mit ihren hochhakigen Schuhen schwer tat, auf der unebenen Wiese nicht umzuknicken. Sie zeigte Haltung. Sie folgte der Spur bis zu einem asphaltierten Weg, der in einem großen Bogen vor der Umzäunung um das Areal führte.
»Die Reifenspur ist nur ein kurzes Stück über die Wiese gegangen, der Rest führt über die betonierten und asphaltierten Wege.«
Sie standen auf dem Weg, der am Maschendrahtzaun einmal um das gesamte Flughafengelände herumführte.
»Das vorne ist ein Tor!«, rief Melanie aufgeregt und rannte so gut es ging darauf los.
»Das ist für die Anlieferung der Zutaten für unseren Enteisungscocktail. Aber das Tor ist verschlossen und elektronisch gesichert, da kommt niemand durch.«
Melanie kam vor ihnen an und drückte gegen die eiserne Tür. Mit einem Quietschen bewegte sie sich und gab einen Spalt frei, durch den Melanie ohne weiteres hindurch schlupfen konnte.
»Das gibt es doch nicht, das hätte sofort Alarm schlagen müssen, wenn das Tor unbefugter weise geöffnet worden wäre.«
Kreithmeier leuchtete auf das Tor. Der Kasten mit der Elektronik war aufgeschraubt und einige Drähte hingen lose miteinander verbunden heraus.
»Das hat jemand geknackt, Ihr Schloss, und derjenige muss sich ausgekannt haben, er hat den Alarm kurz geschlossen. Und der Bundesgrenzschutz hat bei seinen Patrouillen nichts bemerkt, weil das Tor verschlossen schien.«
»Also sind die Täter oder sagen wir mal diejenigen, die den toten Löbinger aufs Flugfeld gelegt haben, hier hineingekommen«, fasste Melanie Schütz zusammen.
»Das heißt Frau Schütz, Sie gehen davon aus, dass der Löbinger schon tot war, als er hier hereingebracht wurde.«
»Er kann auch hier drinnen erschossen worden sein. Die Schüsse würde kein Mensch bei dem Motorenlärm hören. Oder sie hatten eine Waffe mit Schalldämpfer. Auf der Landebahn ist er auf jeden Fall nicht ermordet worden. Denn sonst wäre da mehr Blut zu sehen gewesen. Und neben oder unter der Leiche habe ich keinen Blutfleck entdecken können. Und bei einem Schuss ins Herz wäre der Leichnam fast ausgeblutet. Und da war nichts.«
»Gut kombiniert Frau Kollegin. Das ist mir auch schon aufgefallen. Warten wir mal auf die Ergebnisse unser beiden Freaks.«
Kreithmeier blickte durch die Eisenstäbe des Tores hindurch auf einige hell erleuchtete Gebäude am Horizont.
»Was ist da hinten?«, fragte er Huber.
»Einige Gewerbegebiete und die kleine Ortschaft Schwaig.«
»Schwaig? Klingelt es nicht da bei Ihnen Frau Kollegin?«
»Schwaig! Klar doch. Das ist der Sitz der Firma des Herrn Löbinger, die Löbinger Bau.«
»Die Löbinger Bau, die kenne ich, die sind gleich hier vorn im Industriegebiet Schwaig Nord. Die haben am Flughafen mitgebaut und bekommen immer wieder kleinere Aufträge. Ist der Tote der Herr Löbinger? Sagen Sie, ist er das?«
»Wahrscheinlich, aber behalten Sie das erst einmal für sich. Wir warten noch auf das Ergebnis der Spurensicherung. Aber wenn es stimmen sollte, sollte es seine Frau durch uns erfahren und nicht durch die Presse oder einen windigen Sensationsreporter. Verstanden?«
»Jawohl, natürlich. Ich behalte alles für mich.«
»Das ist auch das Beste, für Sie und für Ihren Flughafen. Wir wollen keine Gerüchte in die Welt setzen.«
Melanie war schon ein Stück zurückgelaufen und stand jetzt am Ufer des Löschteichs.
»Es sieht fast so aus, als ob ein Wagen hier direkt hinein gefahren ist«, sagte sie, als die beiden Männer sie eingeholt hatten.
Kreithmeier blickte auf die Spur am Ufer und dann auf das schwarze Wasser des Sees.
»Einen Wagen hier entsorgt? Ungewöhnlich? Und warum? Lassen Sie uns das Morgen untersuchen. Dazu bräuchte ich Taucher, und das hieße Formulare ausfüllen. Gehen wir erst einmal zurück zur Fundstelle und schauen wir mal, was Zeidler und Schurig uns bis jetzt erzählen können. Kommen Sie Frau Schütz, gehen wir. Es ist spät und ich werde langsam müde.«
Er bot ihr den Arm an, an den sie sich gern einhängte.
»Gute Idee, denn ich friere, und mir tun die Füße weh.«
Die Staatsanwältin
Rainer Zeidler und Josef Schurig sahen aus wie zwei Figuren aus einer anderen Welt. Sie hatten beide weiße Overalls aus Fallschirmseide an, trugen weiße Kapuzen und an den Händen weiße Aids-Handschuhe. Nur ihr Gesicht war unverhüllt. Selbst über ihre Schuhe hatten sie Plastiküberzieher gestülpt.
Alois Kreithmeier musste schmunzeln, als er sie unter dem Strahlerlicht werkeln sah. Es war für ihn kein neuer Anblick, doch unter dem Licht und dem dampfenden Beton – die Feuchtigkeit verdampfte unter der Hitze der Strahler – sah der Arbeitsplatz, der Fundort der Leiche, aus wie aus einem Science Fiction Film. Zeidler und Schurig verstanden ihr Handwerk. Obwohl keiner von Ihnen eine gerichtsmedizinische Ausbildung hatte, waren