Crazy Zeiten - 1975 etc.. Stefan Koenig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitreise-Roman
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214989
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sah mich fragend an, und ich nickte. John wollte auch mit, aber Nine lehnte entschieden ab, und ich fand es auch besser so.

      Sie gingen hinaus auf die Gasse, und nach einer Weile kam Sören zurück. „Für zwanzig Dollar wird er uns sagen, wo sie ist. Ich glaube, wir sollten zahlen.“

      „Ist seine Story glaubhaft? Hat er dir einen Hinweis gegeben?“

      „Das nicht, aber ich habe den Eindruck, er weiß wirklich, wo sie ist. Sie ist nicht hier in der Stadt.“

      „Nicht einen Cent für diesen Verbrecher!“, protestierte Jan-Stellan so laut, dass Nine ihn hören konnte. Zugegebenermaßen hörte sich das nach Angriff an. Daraufhin stellte sich Nine in den Hoteleingang, fluchtbereit, und warnte uns: „Das fette Schwein macht nur eine Bewegung und ihr erfahrt für immer nichts von mir.“

      Wir kamen zu einer gespaltenen Entscheidung. Einerseits waren wir uns einig, dass wir diesem miesen Erpresser seine zwanzig Dollar geben sollten. Andererseits mussten wir sicherstellen, dass er uns nicht linkte. Vielleicht gelang es uns auch, ihn hereinzulegen – aber all das konnten wir nicht groß und breit diskutieren, sondern wir flüsterten es uns in Stichworten zu und ließen dazu unsere Augen sprechen.

      Das Ergebnis war, dass Nine und ich den Geldschein vor dem Hoteleingang gemeinsam festhalten sollten, bis er uns gesagt hatte, wo Svea war. Er verlangte von mir, dass ihm niemand Gewalt antat oder ihm nachstellte. Wir dürften ihm erst nachlaufen, wenn er um die Ecke gebogen war. Also eine typische Piratenverhandlung.

      Während wir nun den Geldschein hielten und er sich bereits in Hau-ab-Stellung brachte, lächelte er mich süffisant an und sagte: „Deine beiden Freunde aus Frankfurt, die Banker, die ihr in Casablanca getroffen habt … nur kurzes Treffen mit Svea und denen, Visitenkarten und so ... sie trafen sich später mit ihr in Marrakeschs First Class Hotel. Sveas Idee, nicht ihre … Ich sollte für sie arrangieren neues Treffen in Casablancas Miramar. Dort jetzt!“ Er riss mir den Schein aus der Hand und rannte wie ein Windhund davon.

      Ich war platt. Meine zwei Freunde aus Frankfurt? Das war Quatsch mit Soße. Wir hatten auf unserem zweiwöchigen Trip durch die marokkanische Wüste auch Casablanca besucht und die Filmstätten aufgesucht. Wir hatten tatsächlich zwei Frankfurter in unserem Hotel getroffen, mit denen wir uns freundschaftlich unterhalten hatten. Sie hatten uns großzügig zum Abendessen eingeladen. Von einem hatte ich sogar eine Visitenkarte ins Portemonnaie gesteckt.

      Ich hatte damals kurz den Eindruck gewonnen, dass sich beide für Svea interessierten – dass eine heimliche Verabredung stattgefunden hatte, war mir völlig entgangen. Ich war sprachlos.

      Wir gingen zurück ins Hotel, ich kramte die Visitenkarte hervor: Dieter Hofmann, Prokurist, Deutsche Bank, Casablanca, Büro, Rufnummer – so lag das Kärtchen vor mir auf dem Tisch.

      Gerd und Wolle ergriffen die Initiative. „Wir buchen einen Flug nach Casablanca.“ Sie sahen mich an: „Wer soll mit?“

      Natürlich John. „Ich zahle dir den Flug“, sagte ich zu ihm und man sah ihm die Erleichterung an. Ich legte Wert darauf, dass auch Gerd und Wolle mit uns flogen. Die beiden hatten genug Knete, um ihr Ticket zu zahlen; der Flug kostete uns Westeuropäer nicht die Welt, pro Person hin- und zurück nur 36 Dollar. Ich drehte mich nach Stella, ihren beiden Liebhabern und nach Sören um. „Was haltet ihr davon?“

      „Ich komme auf alle Fälle mit“, sagte Stella und die drei Männer nickten zustimmend. „Aber wir sollten in Wolles Bulli fahren – wer weiß, wofür wir dort vielleicht einen Wagen brauchen.“ Wolle war einverstanden.

      „Zuerst rufe ich den Typen von der Bank an“, sagte ich und ging zur Rezeption. Der Anruf war für mich blanker Horror. Ich erreichte den Banker in seinem Büro, und als er hörte, was ich zu sagen hatte, vernahm ich lautes, fast höhnisches Lachen. „Guter Mann, nun machen Sie sich keine Sorgen, oder sind Sie gar ihr Vater? Sie ist doch nur eine Nutte. Wir nahmen sie über Nacht mit ins Hotel und hatten viel Spaß zu dritt. Natürlich bezahlten wir sie für ihren Job und schickten sie mit zwei anderen Männern weiter nach Tanger. Sie wollte das so. Es war ihr eigener Wille, wirklich! Sie war völlig okay … Grand Hotel, Tanger.“

      Der Flug nach Tanger war fast doppelt so teuer, aber immerhin bezahlbar. Die Autostrecke betrug für Stella und die drei Jungs mindestens sechs Stunden. Wir verabredeten uns dort für den nächsten Tag zwischen 14 und 15 Uhr. In der Zwischenzeit würden wir versuchen, Svea ausfindig zu machen. Gerd, Wolle, John, Svea und ich würden anschließend – so war der Plan – mit Wolles VW-Bus zurück nach Deutschland fahren. Die vier Hippie-Freunde konnten per Bus zurück nach Marrakesch. Doch alles sollte völlig anders kommen.

      Gerade wollten wir uns trennen und zum Flughafen fahren, als ich einen Gedanken hatte: „Wer von euch kennt sich in Tanger aus und hat dort vielleicht sogar irgendwelche Bekannten?“

      Der einzige, der sich meldete, war Sören. Also bat ich Wolle, seinen eigenen Bus zu fahren und Stella sowie ihre zwei Liebhaber mitzunehmen, und wir nahmen dafür Sören im Flieger mit; vielleicht konnte er uns in der Zwischenzeit behilflich sein, zumal er angab, dort einen Bekannten bei den Bullen zu haben, den er mal geschmiert hatte.

      Stella hatte wenig Hoffnung, Svea in Tanger zu finden, schließlich hatte sie selbst sich bei der Einreise nur kurz in dieser unübersichtlichen Stadt aufgehalten. „Da kann so Vieles geschehen; da sind so viele schräge Typen unterwegs.“ Dann telefonierte sie mit dem Grand Hotel und gab sich als eine Freundin von Svea aus.

      „Ja, zwei Männer haben hier mit einer Svea Lindström vor drei Tagen gebucht; aber heute früh sind sie ausgecheckt … Nein, keine Deutsche, keine Nadelstreifen, keine Banker aus Casablanca – zwei ziemlich üble stadtbekannte Typen aus Tanger. Aber wir konnten sie nicht hindern, in unserem Hotel zu übernachten. Finden? Ich glaube schon, dass man sie hier finden kann.“ Stella sagte, sie würde am nächsten Mittag dort sein, zuvor aber kämen europäische Freunde von Svea, die sie im Auftrag ihrer Familie suchten. Sie sagte ihm unsere Namen.

      Ich überlegte. Der Mann von der Hotelrezeption konnte uns vielleicht mit viel Glück Anhaltspunkte geben, mehr aber nicht. Suchen konnte er nicht.

      „Sören“, sagte ich, „vielleicht ist es besser, wenn du deinen Bekannten bei den Bullen anrufst, damit er schon heute weiß, was Sache ist. Ich habe das Gefühl, dass jede Minute zählt.“

      Bis Sören den verantwortlichen Beamten ausfindig gemacht hatte, dauerte es geschlagene vierzig Minuten und kostete ein Telefonvermögen von rund 30 Dollar – die Hälfte des Flugtickets.

      „Hassan, wir haben ein Problem. Der Name ist Svea Lindström, Dänin, zweiundzwanzig Jahre alt ...“

      „Einundzwanzig“, korrigierte Stella.

      „Okay, dann eben einundzwanzig, sehr schöne attraktive Erscheinung, schlank, blond, langes Haar. War mit zwei polizeibekannten Typen …“

      „Stadtbekannten!“, korrigierte Stella erneut.

      „Wie der Rezeptionist vom Grand Hotel sagt: Sie war mit zwei stadtbekannten Typen dort für drei Tage. Haben heute früh das Hotel verlassen. Wir müssen sie dringend finden, Hassan. Die Dänin schwebt in Lebensgefahr.“

      Wir wussten das zwar nicht sicher, aber ich hielt Sörens Begründung für absolut angebracht und klopfte ihm nach dem Telefonat auf die Schulter. Inzwischen glaubte ich, dass er sich an Sveas Schicksal mitschuldig fühlte. Gut so, dachte ich.

      Airport Marrakesch

      Am Airport Marrakesch-Menara gab es internationale Zeitschriften und sogar einige Tageszeitungen. Es war jetzt schon Ende Februar und zuhause in deutschen Landen, wie in der übrigen Welt, hatte sich das „Hamster-Rad der Geschichte“ unerschütterlich weitergedreht. Die RAF-Häftlinge hatten ihren Hungerstreik nach fünf langen Monaten endlich abgebrochen, obwohl das Ziel der Aktion, die Aufhebung der Isolationshaft, nicht erreicht worden war. John konnte verstehen, dass manche lieber sterben wollten, als einer ewig langen Isolationsfolter ausgesetzt zu sein.

      Ich