Karriere und Liebe. Phil Lister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Phil Lister
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844251074
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zu schaffen, wie es in der Kybernetik hieß, einer Wissenschaft, die gerade entdeckt wurde. Und es ging darum, die Kommunikation zu stärken. Hier war der Lebensnerv seines Projektes. Kommunikation ist der Schlüssel zu den neuen Technologien. Und die Fähigkeit zur Kommunikation bestimmte auch seinen Erfolg als Manager. Immer mehr entwickelte er sich zu einem ,,turn around man“, wie es Donovan nannte. Dabei ging es aber nicht nur um die Übermittlung von Information von einem Punkt zum anderen, es ging auch um die Vermittlung von Einstellungen. Hier lag in Deutschland der Hase bekanntlich noch im Pfeffer. Die inneren Barrieren mussten abgebaut werden, es musste zu einer Identifikation mit der neuen Technik kommen. Erst dann gab es auch den wirklichen Quantensprung, den die Kybernetik versprach.

      Felix versorgte sich mit einem Schinkenbrötchen und sprach seine Gedanken auf ein Tonband, damit sie Frau Binder morgen abschreiben konnte. Er wollte sein Strategiepapier noch mit Donovan austauschen. Wenn er Frau Binder nicht hätte! Sie verstand ihn ohne Worte. Sie stellte am Abend eine Flasche Orangensaft und einen Teller mit belegten Brötchen auf den Besuchertisch. Frau Binder hatte er von Sells Sekretariat übernommen. Dort war sie zweite Kraft. Nun führte sie Felix' Sekretariat. Sie war wenige Jahre älter als er, verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Eine doppelt belastete Frau, die trotzdem in ihrem Job voll belastbar war. Ein eher kühler Typ, kooperativ, sachbetont und stets freundlich. Bei ihr liefen die organisatorischen Fäden zusammen. Felix schätzte auch ihre mütterliche Ader. Oft besorgte sie ihm einen Salat oder eine Pizza, wenn er keine Zeit für einen Gang in die Kantine hatte. Oder sie sorgte für den langen Abend am Schreibtisch vor.

      Felix fiel die Mutter ein. Übermorgen war er wieder einmal bei ihr zum Kaffee. Es war nicht sein Lieblingstermin, aber er hatte sich vorgenommen, sie wenigstens einmal im Monat zu besuchen. Es gab noch viele Fäden zu seinem Elternhaus. So erledigte er den Schreibkram für die Mutter und tätigte ihre Bank-Überweisungen oder schlug sich mit steuerlichen Angelegenheiten herum. Die Atmosphäre hatte sich deutlich entspannt. Die aggressive Grundstimmung war einer etwas unterkühlten Normalität gewichen.

      Waren die Besuche nur eine Pflichtübung? Felix ertappte sich bei einer leisen Freude auf der Hinfahrt. Es war eine Fahrt in die Vergangenheit, in sein Dorf, das sein Gesicht radikal verändert hatte. Schon am Ortseingang war jetzt eine Tankstelle, daneben ein Supermarkt. Der Kramladen war verschwunden. Auch ein Bäcker hatte aufgegeben, obwohl sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt hatte. Schmucke neue Siedlungen waren entstanden, auch einige Mietshäuser standen jetzt dort, wo er vorher mit Großvater Kartoffeln geerntet hatte. Die Schule und die Turnhalle, wo sich die amerikanischen Besatzer niedergelassen hatten, war seit einigen Jahren schon verkauft. Zur Zeit hatte dort ein Autohaus seinen Standort. Die Dorfkinder fuhren mit dem Bus in ein Schulzentrum. Für die Kleinen gab es jetzt einen Kindergarten auf dem Kirchengelände. Das Spielen auf der Straße, so wie es Felix noch vertraut war, war lebensgefährlich geworden.

      Er hatte noch Kontakt zu seiner alten Volksschullehrerin. Ab und zu besuchte er auch eine Nachbarin, die ihn als Kleinkind oft versorgt hatte, wenn Mutter auf dem Feld war. Aber die Bindungen waren locker, tiefe Freundschaften waren nicht geblieben. Seine Schulfreunde waren fast alle schon Familienväter. Wenn er dann zu Mutter kam, am Tisch saß, dann verflog die Wiedersehensfreude schnell. Schon nach wenigen Minuten fühlte er sich unwohl, wurde gereizt.

      Es war das alte, endlose Lied, das sie immer wieder anstimmte: „Ah, ich habe ja so viel zu tun. Der Garten! Du glaubst ja nicht, was da zu tun ist. Ich habe eingesät und Zwiebeln gesteckt, Tomaten ins Frühbeet und, und, und.“

      „Aber, für wen das alles? Warum machst du dir soviel Arbeit? Ich verstehe das nicht. Du kannst das doch nicht alles essen!“

      „Schau, der Rhabarberkuchen, der schmeckt dir doch! Und ich kann doch nicht alles verkommen lassen. Was die Leute dann reden. Das geht nicht. Und du nimmst nachher noch was von dem Eingeweckten mit nach Frankfurt!“

      „Mutter, ich kann mir alles kaufen. Das lohnt sich heute nicht mehr, lass doch die Schufterei. Und was die Leute reden, mein Gott, dann bezahle doch jemanden, der dir einen Rasen anlegt und ihn dann regelmäßig mäht. Dann reden die Leute nicht mehr. Es sollte dir auch egal sein. Du hast es doch jetzt wirklich nicht mehr nötig. Mach doch mal einen Urlaub? Vielleicht Italien?“ „Ach geh. Ich und Urlaub! Das ist nichts für mich. Alle fahren jetzt in Urlaub. Alle brauchen ein Auto und eine Waschmaschine. Ich werde daraus nicht mehr schlau. Keiner will mehr arbeiten. Das ist nicht gesund. Und jetzt, wo die Italiener alle zu uns kommen, weil wir nicht mehr arbeiten wollen, da soll ich nach Italien? Wo soll ich denn dort hin?“

      „Soll sehr schön sein. Venedig, Florenz, die Toskana. Aber, wenn du nicht willst, bitte. Ich hätte noch einen Vorschlag: Mach' eine Kur! Du klagst doch immer über deinen Rücken, die Bandscheiben. Da kann man schon viel machen. Es gibt schöne neue Kurheime. Viele ältere Kollegen in der Bank fahren jetzt regelmäßig dorthin.“

      „Ach, Felix. Das ist ja gut gemeint. Aber die können mir auch nicht helfen. Alles abgenutzt, hat der Arzt gesagt. Da ist nichts mehr zu machen.“ Die Mutter war unbelehrbar, in ihrem Denken eingefahren, unbeweglich. Allerdings nicht in jeder Hinsicht. Immerhin hatte sie der Notar überzeugt, Felix eine Generalvollmacht über ihr Vermögen zu geben. Er legte ihr Geld gut an. Dumm nur, dass sie nichts davon ausgeben mochte. Irgendwie wollte sie nicht verstehen, dass Felix genug Geld hatte, und auf ihre Hilfe nicht angewiesen war. Und dann diese Arbeitswut!

      Aber gab es in dieser Hinsicht nicht eine deutliche Parallele zwischen Mutter und Sohn? Felix schob den Gedanken weg. Es war ja nicht alles falsch, was er von seinem Elternhaus gelernt hatte. Fleiß und Disziplin, das waren Tugenden, die ihm auch im Arbeitsleben geholfen hatten. Und ihren Hang zur Sparsamkeit schätzte er immer noch. Es wurde nichts verschwendet. Auch er schämte sich, Brot einfach wegzuwerfen.

      In seiner Wohnung angekommen, machte er es sich im Schaukelstuhl bequem. Ein Buch? Nein, es stapelten sich noch Berichte von Donovan, amerikanische Fachzeitschriften mit Artikeln über die Veränderungen der Organisationsstrukturen bei Einführung der neuen Techniken auf seinem Schreibtisch.

      Auch sein Feierabend war in der Regel kein arbeitsfreier Abend. Felix beklagte das nicht. Die Vorstandsarbeit erweiterte seinen Horizont beträchtlich. Er konnte die Finanzlage vieler Unternehmen einsehen, nahm Kenntnis von Beteiligungen der Bank, wusste, welche Aufsichtsratsmandate vorhanden waren und wo neue angestrebt wurden.

      Er bekam auch Einblick in wirtschaftliche Verflechtungen. So beobachtete er mit Spannung eine Reihe anhaltend starker Konzentrationsvorgänge und zahlreiche Veränderungen in den Kapitalverhältnissen. Die großen Familienunternehmen kamen immer mehr unter Druck, wurden in Aktiengesellschaften umgewandelt. Aufschlussreich waren auch die sich ständig ausweitenden ausländischen Beteiligungen an deutschen Unternehmen. Diese Internationalisierung forcierten ganz massiv die Amerikaner. Sie waren in allen Zukunftstechnologien die Nummer 1. Auch die Computerindustrie war ihre Entwicklung. In der Bundesrepublik Deutschland gab es kaum Konkurrenz.

      Gerne diskutierte er diese Fragen mit Dr. Vogt, seinem alten Mentor, den er inzwischen überflügelt hatte. Er war einer der Wenigen von der alten Generation, die dem Neuen mit Neugier und Optimismus entgegen schauten. Felix versorgte ihn regelmäßig mit Informationsmaterial. Die Kybernetik faszinierte ihn besonders.

      „Das ist die Brücke zwischen den Wissenschaften“, strahlte er, und seine blauen Augen blitzten Felix an. „Die Kybernetik wird uns mehr beeinflussen als die Atomindustrie oder die Raumfahrt, von deren Entwicklung jeder heute spricht.“

      „Also mich interessiert im Moment der Chip noch mehr. Auf kleinstem Raum werden höchste informationstechnische Leistungen vollbracht. Wenn das in Serie geht, die Produktionskosten entscheidend gesenkt werden können, ist der Weg für große intelligente Netzwerke frei. Das sind dann keine Denkmaschinen mehr, sondern Denksysteme.“

      „Sie sehen die artificial intelligence auf uns zukommen?“

      „Im gewissen Sinne schon. Es wird so etwas wie eine künstliche Intelligenz geben. Zunächst geht es sicher um das Bemühen, die Leistungen des menschlichen Gehirns auf dem Rechner nachzuvollziehen. Das geht über Frage-Antwort-Systeme, die Donovan in amerikanischen Schulen ausprobiert, bis zu Mustererkennungen oder Textanalysen.“

      „Wäre