Ziegelgold. Tom Brook. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Brook
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844215175
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seines Vaters und verließ die Niederlande mit unbekanntem Ziel.

      „750 000 Goldpesos!“ Alex pfiff durch die Zähne. „Kein Wunder, dass er sich den teuren Mercedes und das Silberbesteck leisten konnte.“ Tim sah ihn an: „Wo ist wohl das viele Geld geblieben? Und wer hat 1936 Henk Deependahl erschossen? Wenn das überhaupt stimmt, was mein Opa erzählt hat. Und wo ist der Sohn von Henk geblieben? Wie hieß der noch?“ „Cobus“, antwortete Alex gedankenversunken und wunderte sich selbst, weil sein Namensgedächtnis sonst eher unzuverlässig war.

      „Essen ist fertig!“, rief plötzlich Alex' Mutter die Treppe hoch. Alex sprang hoch. Samstags gab es immer Pfannkuchen mit Sirup, eine seiner Leibspeisen. „Bleibst du zum Essen?“, fragte er Tim. Der winkte aber ab. „Nee. Lass man. Treffen wir uns um vier bei der Ziegelei? Ich würde mich da gerne mal umsehen.“ Alex lachte. „Willst du nach den Goldpesos der Deependaals buddeln?“, fragte er seinen Freund. Tim sah ihn beleidigt an, denn nun kam ihm die Idee auch ein wenig naiv vor. „Okay, okay. Um vier vor dem Tor“, sagte Alex schnell, als er Tims enttäuschtes Gesicht sah und verabschiedete seinen Freund an der Tür.

      Nach fünf Pfannkuchen konnte Alex sich nicht mehr rühren und räkelte sich zufrieden in der Küchenbank. „Was habt ihr denn so lange am Computer gemacht?“, fragte sein Vater, der nach dem Essen genüsslich einen Espresso trank. „Ich habe weder Schüsse noch Explosionen gehört“, spielte er mit einem leichten Grinsen auf die Computerspiele an, die Alex ab und zu spielte, und die sein Vater gerne als 'pädagogisch wenig wertvoll' bezeichnete. Typisch Papa dachte Alex. Eigentlich war sein Vater voll in Ordnung. Aber er hatte anscheinend immer noch nicht richtig verstanden, dass sein Sohn jetzt 14 war und nicht mehr mit Playmobil spielte.

      „Wir haben recherchiert“, war seine knappe Antwort. „Re...“ Sein Vater verschluckte sich an seinem Kaffee und musste kurz husten. „Recherchiert? In den Ferien? Donnerwetter. Darf man fragen, was?“ fragte er interessiert nach. „Mensch, Papa.“ Alex war genervt. Erstens mochte er die permanente Neugierde seiner Eltern nicht und die ironische Art seines Vaters schon gar nicht. Er hatte schon öfter überlegt, dass es nicht immer von Vorteil war, als Einzelkind aufzuwachsen. Hätte er noch Geschwister, würde sich die elterliche Fürsorge auf mehrere Kinder verteilen. Und zweitens wollte er nichts über die Deependaals erzählen. „Ich muss noch Gitarre üben“, sagte er schnell und rannte aus der Küche. Seine Eltern sahen ihm entgeistert nach. „Erst Computerrecherchen in den Ferien, dann freiwilliges Gitarreüben. Höchst merkwürdig. Ist das jetzt die Pubertät?“, fragte sein Vater. Doch Alex' Mutter zuckte nur ratlos mit den Schultern.

      4

      Samstag 16:18 Uhr

      Nachdem Alex zum Leidwesen seiner Eltern eine halbe Stunde versucht hatte, mit seiner E-Gitarre das Intro von AC/DCs 'Thunderstruck' einzuüben, fuhr er zu dem vereinbarten Treffpunkt. Tim war noch nicht da und so hatte Alex Zeit, sich schon mal umzusehen. Die beiden großen Schornsteine waren zwar stark verwittert, aber sie standen noch kerzengerade und ragten stolz in den grauen Himmel, als wollten sie von den vergangenen Zeiten erzählen, als die gesamte Gegend von den Ziegeleien noch gut leben konnte. Heute arbeiteten viele in der großen Müller-Werft oder waren weggezogen. Die Schornsteine waren seit über dreißig Jahren nicht mehr im Gebrauch und sind vom Einsturz bedroht. Das Gelände war weiträumig eingezäunt und an jeder Ecke stand das Schild 'BETRETEN VERBOTEN. ELTERN HAFTEN FÜR IHRE KINDER'.

      Wie jedes Kind in Kleiborg kannte Alex natürlich die Schlupflöcher im Zaun. Er war schon öfter auf dem Gelände gewesen, weil er hier in den alten Tongruben sein Mountainbike mal richtig ausfahren konnte. In die alten Gemäuer ging er aber nur ungern. Zum einen, weil seine Eltern ihn immer wieder gewarnt hatten, dass das alte Dach beim erstbesten Sturm zusammenbrechen könnte, und zum anderen traf sich hier gerne die Clique der 17-Jährigen in den Resten der alten Villa, um ungestört ihr billiges Bier zu trinken. Da sie noch keinen Führerschein hatten und es im Dorf keinen Jugendtreff gab, hatten sie den verlassenen Ort für ihre Treffen ausgesucht. Die Erwachsenen waren davon zwar wenig begeistert, tolerierten dies jedoch stillschweigend.

      Alex wollte sich gerade mit seinem Rad durch den Zaun zwängen, als er hörte, wie sich Tim näherte. „Tut mir leid, auf dem Kopfsteinpflaster hat sich der Lenker wohl ein wenig gelöst...“, rief er schon von weitem. Ein Blick auf Tims Klamotten reichte Alex aus, um sich den Sturz mit dem steuerlosen Gefährt vorzustellen. Die tiefgrüne Farbe, die sich von Tims Jeans bis zu seiner Jacke hinaufzog, ließ auf einen mittelgroßen Kuhfladen schließen. „Keine Details bitte“, unterbrach er seinen Freund und rümpfte die Nase. Dann schob er sein Fahrrad durch die schmale Lücke, die hinter einer alten Weide kaum zu sehen war. Etwas angesäuert stellte Tim sein Rad an das alte, stark verrostete Werkstor. Er nahm sich viel Zeit, um es mit einem auffällig neu aussehenden Kryptonit-Schloss anzuschließen. Dann folgte er Alex durch die Lücke im Zaun. Der sah ihn nur mitleidig an. „Hast du Angst, dass jemand das alte Tor klaut oder warum schließt du deinen Schrotthaufen daran fest?“ Tim, der keine Lust mehr hatte, auf die dummen Sprüche seines Freundes einzugehen, ging wortlos an ihm vorbei in Richtung Ziegelei. Alex zuckte die Achseln und trottete langsam hinterher. Ein verschlammter Weg führte direkt auf die beiden großen Schornsteine zu.

      Die riesige Ruine sah in der beginnenden Dämmerung trostlos und unheimlich aus. Die großflächigen roten Dächer waren an vielen Stellen unter dem Druck der schweren Dachziegel eingefallen, so dass man zum Teil die morsche Dachkonstruktion sehen konnte, die nun schutzlos Wind und Wetter ausgeliefert war. Die großen Fenster waren fast alle zerschlagen. Alex wusste aus Zeitungsberichten, dass einige seltene Fledermausarten in dem alten Gemäuer Zuflucht gefunden hatten. Die Freunde liefen weiter auf ein altes Transformatorenhäuschen zu, das mit zahlreichen Graffiti verziert war. Die großen Isolatoren standen bedrohlich aussehend von dem kleinen Backsteinturm ab. Überall wucherten Brennnesseln, meterhohe Disteln und wild wachsende Birken. Das ganze Gelände war übersät mit Glasscherben und alten Ziegeln in den unterschiedlichsten Formen.

      Vorsichtig gingen die Freunde auf das größte Gebäude der alten Ziegelei zu. Die nur etwa zwei Meter hohen Seitenwände waren zum Teil eingebrochen, so dass man relativ einfach hineinklettern konnte, denn die großen Tore an der Stirnseite waren mit dicken Vorhängeschlössern gesichert. Die Freunde sprachen kein Wort und schlichen etwas geduckt auf das dunkle Loch in der Wand zu, als Alex plötzlich im Halbdunkel gegen einen harten Gegenstand stieß. Blitzartig breitete sich ein stechender Schmerz von seinem linken Fuß aus, der Alex stöhnend in die Knie zwang. Tim, der etwa zwei Meter vor ihm war, drehte sich um und sah seinen Freund mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden liegen. Sofort eilte er ihm zur Hilfe.

      „Das sieht gar nicht gut aus“, sagte Tim leise, als er einen Blick auf den verletzten Fuß warf. „Der muss sofort gekühlt werden, sonst hast du morgen eine Mordsschwellung und kannst das Spiel gegen die Bremer vergessen.“ Alex krümmte sich bei der Berührung vor Schmerzen und biss sich auf die Unterlippe, während Tim nach der Ursache der Verletzung suchte. Im Gestrüpp verbarg sich ein altes Gleis, das kaum zu erkennen war. Die alten Schienen dienten früher dem Transport des Tons und führten zu den großen Stahltoren, die stellenweise vom Rost zerfressen waren. Man konnte die hellblaue Farbe nur noch erahnen, die sie in den Glanzzeiten der Ziegelei einmal hatten. Tim wollte Alex gerade auf die Beine helfen, als sie den trüben Schein einer Taschenlampe wahrnahmen. Er kam direkt aus dem Loch in der Wand.

      Die Freunde ließen sich wie auf ein Kommando in das lange Gras fallen und hielten den Atem an. Keiner sagte ein Wort. Der Lichtkegel wurde langsam größer und bewegte sich direkt auf sie zu. Alex versuchte zurückzukriechen. Er brach den Versuch aber sofort ab, als ihn ein höllischer Schmerz in seinem linken Fuß stoppte. Er stöhnte leise. Im gleichen Augenblick blieb der Lichtkegel stehen und drehte sich langsam in ihre Richtung. „Scheiße“, dachte Alex und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Er hörte langsame und schwere Schritte auf sie zukommen. Alex und Tim verharrten völlig ruhig und bewegungslos. Alex fühlte, wie die Feuchtigkeit langsam seine Kleidung durchdrang. Er hoffte noch, dass der Fremde sie nicht entdecken möge, als ihm plötzlich das grelle Licht direkt ins Gesicht schien. Es war unmöglich, irgendetwas zu erkennen.

      „Was macht ihr hier?“, hörte er eine tiefe, bedrohlich laut klingende Stimme.