Staub und Regenbogensplitter. Stella Delaney. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stella Delaney
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745044904
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verdiene mein Geld mit der Tatsache, dass man sich bei Bedarf einreden kann, ich sei jemand, der ich nicht bin.“ Dein Blick war so intensiv, dass mir warm wurde.

      „Oh, und daneben bin ich auch noch wirklich gut. Im Reden, und in allem anderen.“

      Für einen Moment schwiegen wir beide erneut, ich betreten, du abwartend.

      „Ich kann gehen“, meintest du schließlich. „Und deinem Bruder sagen, dass du seinen kleinen Test sofort durchschaut hast. Oder ich kann bleiben, und du erzählst ihm später, was immer du willst.“

      „Bleib“, entfuhr es mir, fast etwas zu heftig. „Bitte.“

      Mit einem hauchdünnen, aber ehrlichen Lächeln nahmst du neben mir auf dem Bett Platz, eine vorsichtig kalkulierte Distanz zwischen uns wahrend.

      „Du hast mir immer noch nicht deinen Namen verraten.“ Irgendwie musste ich die Stille füllen.

      „Glaub mir, ein Name sagt dir so gut wie nichts. Wenn du mich wirklich kennenlernen willst, solltest du eine andere Frage stellen.“

      Diese Aussage irritierte mich. In meiner Welt sind Namen alles. Die Vergangenheit, die Zukunft, der Kern von allem, was man ist.

      „Und welche?“

      Deine Antwort kam, ohne mit der Wimper zu zucken: „Was ist deine Lieblingsfarbe?“

      „Meine … Lieblingsfarbe?“

      Ich hielt es für einen Scherz, aber du nicktest nur, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der mich mitten ins Herz traf.

      „Ich weiß nicht.“ Es war mir fast peinlich. „Blau vielleicht.”

      „Blau.“

      Du liest das Wort auf der Zunge zergehen, als sei es eine Süßigkeit, deren Geschmack du einschätzen wolltest. Dein Blick ruhte immer noch auf mir, tief und unergründlich.

      „Verrätst du mir auch deine?“ fragte ich schließlich, nur um wieder irgendetwas zu sagen.

      Die Antwort kam sofort, mit dem Feuer absoluter Überzeugung: „Rot.“

      Damals dachte ich, ich hätte verstanden. Aber das hatte ich nicht. Weder die wahre Bedeutung deiner Aussage, noch die Gefühle, die unser Gespräch in mir auslöste. Es dauerte lange, bis ich einsah, dass mir zufällige Begegnungen und gelegentliche Wortwechsel nicht genügten. Es dauerte noch länger zu verstehen, was ich stattdessen wollte.

      Ein scharfer Schmerz, und für einen Moment verschwimmt alles vor meinen Augen. Ein Keuchen ist zu hören, jeder Atemzug sticht wie eine stumpfe Messerklinge, die einem wieder und wieder in den Rücken gerammt wird. Fast blind, fast taub und mit zittrigen Fingern tastet mein Verstand nach einem weiteren Strohhalm.

      Monate später, als wir nebeneinander auf dem Bett lagen, brach es auf einmal aus mir heraus: Dass ich keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte. Dass ich es meiner Familie rechtmachen musste, aber nicht wusste, wie mir das jemals gelingen sollte.

      „Sie haben nicht die geringste Ahnung, wer ich wirklich bin, und es interessiert sie auch nicht. Manchmal fühle ich mich, als müsste ich ersticken, als wüsste ich selbst nicht mehr, was ich eigentlich will. Du und ich, das ist das einzige, dessen ich mir absolut sicher bin. Und dass mein Vater mich umbringen würde, wenn er davon wüsste.“

      Du sahst mich nicht an, aber ich spürte deine Hand in meiner.

      „Erinnerst du dich an unser erstes Gespräch? Als du mich nach meiner Lieblingsfarbe gefragt hast?“

      Ich nickte nur stumm, während du fortfuhrst: „Rot ist für mich mehr als nur eine Farbe. Es ist eine Erinnerung an einige wichtige Dinge, die ich im Leben gelernt habe. Anders als du hatte ich nie eine Familie, aber immer genug Leute, die versucht haben, mir Vorschriften zu machen.

      Was meinst du, wie oft ich gehört habe, dass es falsch sei, Rot zu mögen? Die einen bestanden darauf, dass es eine Mädchenfarbe sei, die anderen, dass es sie an Blut erinnere, und damit an den Tod. Für mich ist beides nicht logisch. Waren die Könige nicht stets in Rot gekleidet? Waren das nicht immer Männer? Und müsste Rot dann nicht viel mehr die Farbe des Lebens sein, denn was ist Blut anderes als der Strom des Lebens in unseren Adern? Das ist übrigens auch der Grund, warum mir der Anblick meines eigenen Blutes nie Angst gemacht hat.“

      Ich schauderte, als mir klar wurde, was zwischen deinen Worten stand. In meinem Leben hatte ich schon viel Blut gesehen, viel zu viel, mehr als mir lieb war, und doch hatte es mich nie wirklich berührt. Bis jetzt.

      „Ehrlich gesagt hatte ich auch nie wirklich Angst vor dem Tod. Sterben ist nicht schlimm, nur bereuen. Im letzten Augenblick zu erkennen, dass man nicht wirklich gelebt hat, dass man nie glücklich war, das stelle ich mir entsetzlich vor. Rot erinnert mich immer daran, dass alleine ich für mein Leben verantwortlich bin, und dass ich niemand Rechenschaft schulde.

      Viele glauben, dass man sich damit zufriedenen geben muss, immer nur einen Teil von dem zu bekommen, was man wirklich will. Darum geht es schließlich bei einem Kompromiss, und unser Leben besteht aus vielen Kompromissen. Aber wenn etwas auf dem Spiel steht, das uns wirklich etwas bedeutet, dann gibt es keinen Weg in der Mitte. Man kann auch nicht nur ‚etwas glücklich‘ sein, oder ‚ein wenig traurig‘. Gefühle sind wie die Farbe Rot – absolut und kompromisslos.“

      Deine Finger schlossen sich fester um meine.

      „Ich weiß nicht, ob irgendetwas davon für dich Sinn macht, aber das ist der beste Ratschlag, den ich dir geben kann: Finde dein Rot. Sei du selbst. Sei kompromisslos. Bereue nichts, wenn es dich glücklich macht, oder einmal glücklich gemacht hat. Lass dir von niemandem vorschreiben, wie du dein Leben leben sollst. Kein Mensch ist klüger und besser, keiner schlechter oder weniger wert als der andere. Egal wie unterschiedlich wir sein mögen, letztlich bluten wir alle gleich, in exakt derselben Farbe.“

      Wir wandten beinahe gleichzeitig den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. Ein Moment des Schweigens, weich und zart wie Seide. Bevor ich dich traf, war meine Welt farblos, ein verschwommener Nebel aus grau, schwarz und weiß. Wie habe ich nur je so leben können?

      Meine Familie sollte man nicht zum Feind haben. Du wusstest das nur zu gut, und hattest dich trotzdem entschieden. Ich hatte nie geglaubt, dass ich dasselbe tun könnte. Aber so oft wissen wir nicht, wie stark wir wirklich sind, bis das Schicksal uns dazu zwingt, Stärke zu zeigen. Nicht unsere Familie, nicht unser Blut macht uns zu den Menschen, die wir sind, sondern die Summe unserer Vorlieben und die Entscheidungen, die wir treffen.

      Wir ließen die Stadt und meine Familie hinter uns. Der Herbst kam, und mit ihm eine wahre Explosion an Farben. Gold, gelb, orange und rot. Vor allem rot.

      Es war so perfekt. Viel zu perfekt. Ich hätte etwas ahnen, die Gefahr spüren müssen. Habe ich versagt? Oder einfach zu sehr an das Gute geglaubt?

      Du hattest dich gerade nach einem der Blätter gebückt, um das flammende Wunder vom kalten Steinboden zu bergen. Dann fielen die Schüsse.

      Das Lächeln gefror auf deinem Gesicht. Das Blatt segelte sanft zu Boden.

      Ich kann es vor hier aus immer noch liegen sehen. Es ist nicht mehr das einzige Rot auf den abgetretenen Steinplatten.

      Inzwischen ist der Schmerz nur noch ein dumpfer Klang im Hintergrund meines Verstandes. Mit Händen, auf denen sich neues Rot mit dem alten mischt, streiche ich ein letztes Mal über dein Haar. Ich kann spüren, wie das Leben aus dir weicht, langsam und unerbittlich. Und dennoch umspielt ein leises Lächeln deine Lippen.

      Egal wie unterschiedlich wir sein mögen, letztlich bluten wir alle gleich, in exakt derselben Farbe. Wer kann sagen, wo dein Blut aufhört und wo meins beginnt?

      Eine tiefe Ruhe ergreift mich. Ich schließe die Augen. Alles, was ich sehe, ist Rot. Tiefstes, dunkelstes Rot.

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