Verlorenend. S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия: Verlorenend
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750233881
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wärst der Erste, der mich so etwas fragt? Es ist eine lange Geschichte, die dich nur langweilen würde«, sagte Gilbert.

      »Wie du willst.« Antilius schaute noch einmal genauer in das Bild, das der Spiegel ihm bot. Gilbert trat sogar ein Stück zur Seite, damit er sein Zimmer genauer betrachten konnte. Hinter dem Fenster von Gilberts Zimmer strahlte ein hellblauer Himmel, der am Horizont auf eine gigantische Wildblumenwiese traf.

      »Ich weiß, es ist nicht gerade eine Luxusherberge, aber man kann es sich halt nicht immer aussuchen.«

      »Ist dies hier so eine Art Kommunikationsinstrument, über das wir uns sehen und sprechen können?«, wollte er wissen.

      »Nein. Das ist es nicht. Ich bin nicht irgendwo anders und spreche mit dir. Nein, ich bin hier in diesem Spiegel gefangen. Dies ist ein Gefängnis für jedwede Art von Lebensform, die es auf Thalantia gibt.«

      »Das verstehe ich nicht. Und... und wie siehst du mich?«

      »Ich habe hier auch einen Spiegel. Er hängt an der Wand und ich sehe dich im Wald stehen. Hinter dir erhebt sich diese entsetzlich protzige Statue, deren Bildhauer wohl so wenig Talent gehabt haben muss, sodass er seine Hände mit seine Füßen verwechselte.«

      »Was heißt, du bist im Spiegel gefangen?«

      »Ich wurde zur Strafe hierher verbannt, obwohl ich nicht einmal einen Prozess bekommen habe. Du kannst dir das nicht vorstellen, aber das ist die schlimmste Strafe, die es auf der Siebeninselwelt gibt. Ich kann hier nicht einmal etwas essen und verhungere trotzdem nicht. Diese Strafe wird heute gar nicht mehr angewendet, weil es keine Spiegel mehr gibt, soweit ich weiß. Aber niemand, den ich bisher getroffen habe, weiß, wie ich hier wieder rauskommen kann.«

      »Dein Zimmer hat keine Tür«, bemerkte Antilius.

      »Genau! Praktisch, nicht wahr? So ist es mir unmöglich, jemals zu entkommen«, sagte Gilbert zynisch.

      »Warum kannst du nicht einfach durch das Fenster steigen?«

      »Ja, das könnte ich machen, aber ich tue es nicht, weil es nämlich dort draußen nichts gibt.«

      »Aber ich sehe doch Gras und die Sonne!«

      »Das ist nur ein Konstrukt meiner Fantasie. Dort draußen könnte auch genauso gut ein höllischer Schneesturm treiben. Nein, da ist nichts. Und wenn ich versuchen würde, in das Nichts zu gehen, dann werde ich auch zu Nichts. Verstehst du?«

      »Na ja, nicht vollkommen. Das ist wirklich alles sehr verwunderlich.« Antilius machte eine Pause. »Man hat dich also aufgrund eines Verbrechens in dieses ... dieses Gefängnis gesperrt?«

      Gilbert wurde laut: »Es kommt darauf an, wie man Verbrechen definiert. Ich bin mir sicher, dass du es auch nicht als Verbrechen bezeichnen würdest. Ganz im Gegenteil.«

      »Was soll das heißen?«

      »Das heißt, dass ich hier zu Unrecht eingesperrt bin! Bitte, nimm mir das nicht übel, aber ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr, darüber zu sprechen.«

      »Na schön. Darf ich dann wenigstens fragen, wie dieser Spiegel hierher gekommen ist?«

      »Mein alter Meister hat mich hier einfach in den Dreck geschmissen. Mit dem habe ich noch eine Rechnung offen.«

      Antilius runzelte die Stirn. »Dein alter Meister?«

      Gilbert zog sich den einzigen Stuhl in seinem Zimmer heran und setzte sich. »Zu meiner Bestrafung gehört es ebenfalls, dass ich, oder besser gesagt mein Spiegel, an eine ausgewählte Person geschickt werde. Diese Person ist dann mein Meister, wenn sie es denn sein will. Du glaubst ja gar nicht, wie viele Verrückte es da draußen gibt.

      Mein letzter Meister war wohl meiner überdrüssig geworden, was im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte, sodass er sich meiner Präsenz entledigte. Seit mehr als neunzig Tagen liege ich nun schon hier. Diese Einsamkeit ist einfach schrecklich. Aber jetzt bist du ja da. Du bist mein neuer Meister.«

      »Was? Ich bin gar nichts! Soll ich dich etwa die ganze Zeit mit mir herumschleppen?«

      Gilbert stand von seinem Stuhl auf und ging näher an den Spiegel heran. »He, denk mal bitte daran, wer diese Gorgens vertrieben hat! Wenn ich sie nicht verscheucht hätte, dann hättest du mehr als nur Kopfschmerzen.«

      »Gorgens? Sind das die, die mich ausgeraubt haben?«

      Gilbert nickte. »Ich wollte dich ja noch warnen, aber da war es schon zu spät. Die Sachen, die sie dir gestohlen haben, wirst du wohl nie wieder sehen. Tut mir Leid.«

      »Also du warst die Stimme aus dem Nichts.« Antilius überlegte. »Nun, dann muss ich mich wohl bedanken, dass du versucht hast, mir zu helfen. Wenn du willst, dann nehme ich dich mit in die Stadt und dort könnte ich dich ja an jemanden ...«

      »Nein! Nein!«, rief Gilbert. »Bitte! Gib mich nicht wieder her! Kann ich nicht bei dir bleiben? Ich werde dir bestimmt auch keinen Ärger machen. Aber bitte gib den Spiegel nicht jemand anderem und lass ihn und damit auch mich nicht hier im Wald. Bitte tu das nicht.«

      In diesem Augenblick sah Antilius etwas sehr Deutliches in Gilberts Augen. Wenn er es in Worte hätte fassen müssen, wäre der wohl passende Ausdruck Verzweiflung gewesen.

      Unangenehme Stille folgte.

      »Also gut, ich werde dich mit mir nehmen. Mir sind ja ohnehin alle anderen Sachen gestohlen worden.«

      Gilberts Gesichtszüge entspannten sich sichtlich. »Wunderbar! Du wirst sehen, ich kann dir eine große Hilfe sein. Und jetzt erzähle mir, was du hier auf Truchten machst. Du bist nicht von hier, stimmt’s?«

      »Sieht man mir das denn so deutlich an?«

      Gilbert nickte eifrig.

      »Ich bin auf der Suche nach einem Sternenbeobachter, namens Brelius Vandanten. Er ließ mir vor einigen Tagen einen Brief zukommen, in dem er andeutete, dass etwas Schreckliches passiert sei. Er bräuchte dringend meine Hilfe und ich sollte mich so schnell wie möglich zu ihm begeben.« Antilius hielt es zu diesem Zeitpunkt noch für ratsam, Gilbert nichts über seinen Gedächtnisverlust und das Wissen von Brelius um diesen zu erzählen. »Er kannte meinen Namen und wusste auch, wo ich wohne. Mir kam die Sache zwar ziemlich merkwürdig vor, aber ich entschloss mich, ihn aufzusuchen. Also packte ich meine Ausrüstung zusammen und reiste hierher. Aber nun ist alles weg, und wo dieser Brelius genau wohnt, weiß ich auch noch nicht.«

      Gilbert machte ein nachdenkliches Gesicht. »Brelius Vandanten. Diesen Namen kenne ich in der Tat! Eigentlich kennt ihn fast jeder in Fara-Tindu, denn er war ein recht eigenartiger Mann. Ich habe allerdings lange nichts mehr von ihm gehört. Ich war allerdings auch lange nicht mehr in der Stadt. Aber keine Sorge. Ich kenne jemanden, der uns helfen könnte, ihn zu finden. Sein Name ist Pais Ismendahl. Wenn uns jemand helfen kann, dann er.«

      »Na, dann wollen wir keine Zeit verlieren. Ich packe noch schnell das Zelt zusammen, und dann brechen wir auf.«

      »In Ordnung, Meister.«

      »Gilbert, du musst mich nicht Meister nennen. Antilius reicht völlig aus.«

      Ob sich Gilbert daran halten würde, war mehr als fraglich.

      Fara-Tindu

      Die Fahrt nach Fara-Tindu bot Antilius viel Zeit, sich mit Gilbert zu unterhalten.

      »Wen, meintest du, Gilbert, können wir nach dem Aufenthaltsort von Brelius befragen?«

      Gilberts Spiegel stand auf einer kleinen Ablage in der Gondel, die durch den endlos scheinenden Wald rauschte.

      »Wir sollten zunächst Pais Ismendahl aufsuchen. Er ist einer der wenigen Gelehrten hier. Er stammt aus dem Haus Kellron, welches in den Ahnenländern liegt.«

      »Die Ahnenländer? Ich habe gehört, dass es unmöglich sei, die Ahnenländer zu verlassen oder zu betreten.«

      »Das ist richtig. Die Ahnenländer sind eine eigene kleine