Weg, einfach weg. Ralf J. Schwarz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf J. Schwarz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001839
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mit allerlei Moos polsterte. Er packte seine Habseligkeiten aus, rollte seinen Schlafsack aus und setzte sich darauf und aß etwas. Langsam kehrte seine innere Ruhe zurück. Gedanken über die Erlebnisse des Tages kamen in seinem Kopf hoch, an die Zugfahrt, seinen Freund der ihm geholfen hatte, die Angst vor Entdeckung die ihn seit heute Morgen begleitete, den Zwischenfall mit der Polizei. Aber auch an den Markt, den Mann der ihn angerempelt hatte. Hätte er ihm sein Portemonnaie geklaut, hätten ihn seine Karten vielleicht verraten. Diese Gefahr musste er ein für alle mal ausschließen. Kurzentschlossen griff er zu seinem Messer und schnitt die Karten in feine Streifen die er dann im Wald verstreute. Nacheinander fielen Krankenkassenkarte, Ausweis und der Führerschein der scharfen Klinge zum Opfer. Kurz zögerte er bei seiner Kreditkarte, verdrängte aber den wehmütigen Gedanken seinen Wohlstand für das aufkeimende Gefühl der Freiheit opfern zu müssen. Müde legte er sich in seinen Schlafsack. Zog, um eventuell eindringendem Ungeziefer den Weg zu versperren, den Reißverschluss bis unter sein Kinn zu und versuchte eine geeignete Liegeposition zu finden. Mehrmals drehte er sich, ein Vorgang der nicht ganz einfach zu bewerkstelligen war, da sich seine Arme ebenfalls im Schlafsack befanden. Lediglich sein Gesicht schaute noch heraus. Der Schlafsack verdiente seinen Namen zu Recht. Darin sah er wirklich aus wie eine Mumie. Es vergingen nur Minuten bis seine Augen zu und er in tiefen Schlaf fiel.

      Kapitel 11

      Missmutig betrat Volker May sein Büro. Er mochte die frühen Morgenstunden nicht, das war einfach nicht seine Zeit. Er ließ die Rollos an seinen Fenstern herunter und atmete erleichtert auf. Endlich schloss eine angenehme Düsterheit seinen Körper ein, entspannte sich sein verkrampfter Geist. Diese Sommermorgen waren nicht seine Welt. »Viel zu hell für einen normalen Menschen«, dachte er. May liebte den Herbst, viel mehr aber noch den Winter. Nicht die Wintertage an denen Schnee gefallen war, eher die diesigen, nassen und mäßig kalten Tage an denen sich niemand nach draußen wagte, an denen die Hälfte der Frankfurter Bevölkerung mit einem ordentlichen Winterblues in der Wohnung saß und sich selbst bedauerte.

       Er dachte an die Migräneschübe, die seine Tante früher gehabt hatte. Auch sie war so extrem lichtempfindlich gewesen. Das warf natürlich die Frage auf, ob Männer ebenfalls Migräne bekommen können. Oder war das ein rein weibliches Phänomen?

       Aber zusätzlich plagte ihn das frühe Aufstehen. Er war überzeugter Langschläfer und nur schwer zu bewegen, im frühen Morgengrauen aufzustehen um schließlich schon um neun Uhr auf seiner Dienststelle zu erscheinen. Obwohl er als Kommissar gleitende Arbeitszeiten hatte, war er schon bei Arbeitsbeginn zu müde, auch nur einen Finger zu regen. Dann kam nur ruhige Büroarbeit in Frage. Seine Kollegen und auch sein Chef waren im Laufe der Jahre mit seinen Eigenarten und Schwächen mehr oder weniger zurechtgekommen, besser gesagt, zurechtkommen müssen und hatten irgendwann kapituliert. Da er mit die höchste Aufklärungsquote hatte, konnte er sich solche Eskapaden leisten. Er hatte die Vorhänge geschlossen und die restliche Wache wusste, dass niemand ihn stören durfte und auch keine Anrufe durchgestellt wurden. Jeder seiner Arbeitskollegen kam scheinbar mit seinem Eremitenleben und seinen damit verbundenen dienstlichen Alleingängen zurecht.

       Volker saß aber noch nicht richtig an seinem Schreibtisch als das Telefon zu klingeln begann. Er nahm den Hörer von der Gabel und ließ ihn wieder auf zurückfallen. Augenblicklich verstummte das Telefon. »Na, wenn der Tag schon so beginnt, kann das ja heiter werden!« dachte er. »Diesen Mist muss ich mir so früh nicht bieten lassen«, murmelte er und stand auf. Ein schneller Griff nach seiner Tasse und schon verließ er den Raum mit dem erneut klingelnden Nervtöter. Solche dreisten Störungen um diese Zeit durfte er sich nicht bieten lassen und hoffte, dass der Anrufer durch seine Ignoranz irgendwann aufgeben würde.

       Als May eine halbe Stunde später wieder den Raum betrat, herrschte Ruhe. »Na, geht doch!« dachte er und noch bevor das »doch« im Geiste verklungen war, störte das Klingeln schon wieder. »Da hat aber jemand eine ordentliche Ausdauer. Oder zu viel Zeit«, schoss es durch seinen Kopf. Nach den zwei Kaffee, die er eben getrunken hatte, begleitet von ein paar netten Small-Talk-Runden, fühlte er sich aber nun gefestigt genug, um dem Anrufer einen guten Morgen zu wünschen.

       »Polizei Frankfurt Mitte, Hauptkommissar May am Apparat« flötete er übertrieben fröhlich in den abgenommenen Hörer. Sekundenlange Stille trat ein und Volker schöpfte schon wieder Hoffnung auf einen weiteren ruhigen Tag, als schließlich eine männliche Stimme erklang. »Polizei Grimma, Ulrich Andrä« sächselte sein Gegenüber. »Sie sind ja schlechter zu erreichen als der Papst, ich habe schon den ganzen Morgen versucht sie zu erreichen.« »Als ob Du Spinner schon mal den Papst angerufen hättest«, schoss es Volker durch den Kopf, bahnte sich den Weg vom Gehirn direkt auf die Zunge und nur mit Mühe konnte er daraus andere Worte formen. »Auch ihnen einen guten Morgen Kollege Andrä. Sie wissen ja, Frankfurt, das ‚Mainhattan‘ des Verbrechens. Wir sind immer beschäftigt«, säuselte er und dachte an den Plausch am Kaffeeautomaten. »Wie kann ich Ihnen helfen?«»Ich hab noch einige Informationen über den Mercedes und seinen Besitzer. Der Eigentümer, Herr …, wie hieß er noch, ach ja, van Geerden, hatte tatsächlich einen Termin in Trebsen. Dort ist er jedoch nicht erschienen. Bislang fehlt bei uns jede Spur von ihm. Es wäre möglich, dass er wie zuerst vermutet, einen Unfall hatte. Dazu komme ich aber später noch. Wir haben den Wagen kriminaltechnisch untersuchen lassen. Wir gehen nämlich davon aus, dass er gestohlen wurde.«

       May zog die Augenbrauen hoch. Schon in ihrem ersten Gespräch hatte er die Nähe zur polnischen Grenze betont. Aber anscheinend hatten die Sachsen erst noch vierzig Jahre aufzuholen. So was dauert halt. »Aha, und was haben sie herausgefunden?«, fragte er schließlich und versuchte Interesse zu heucheln. Viel lieber hätte er aber ins Telefon gebrüllt: »Lass mich doch in Ruhe mit Deinen Lappalien. Ich will meinen Frieden haben und da interessiert mich doch so ein Bonzenauto nicht.« »Im Wagen waren sämtliche Fingerabdrücke weggewischt. Sorgfältig und sauber gereinigt. Aber da ja bei uns in Sachsen die klügsten Köpfe herkommen, haben unsere Techniker doch etwas gefunden. Die gehören schon zu den Besten!« Volker verdrehte die Augen. Solche Selbstbeweihräucherung mochte er überhaupt nicht. Genervt, aber freundlich fragte er: »Und was haben Sie gefunden?« »Na, Fingerabdrücke. Und das an verschiedenen Stellen im Wagen. Da hat der Täter wohl nicht aufgepasst. Das spricht nicht gerade für die Polen. Die sind da viel gründlicher. Diese Fingerabdrücke haben wir innen im Handschuhfachöffnerhebel gefunden. Sie wissen schon, dort wo man mit dem Finger rein greift um den Knopf zu öffnen. Schön blöd wenn man vergisst, dort die Fingerabdrücke abzuwischen. Aber das ist immer ein guter Platz um zu suchen. Das vergessen die meisten Verbrecher. Auch auf den Knöpfen für die Sitzverstellung und vor allem am Spiegel. Schön blöd gelaufen für den Autodieb. Aber wenn Sie mich fragen, das war kein Profi. Jetzt die schlechte Nachricht. Wir haben keinen Treffer bei unserem Datenbankabgleich. Der Dieb ist bei uns nicht bekannt.« »Sie können mir die Abdrücke ja mal zuschicken, dann lasse ich die mal durchlaufen«, bot May an. »Mach ich, aber ich hab noch was. Wir haben die Radarfallen im Umkreis auf die Autonummer überprüft, und »Bingo«, hatten wir einen Treffer. Der Dieb war so dumm und hat sich fotografieren lassen. Ein nettes, kleines Foto. Man kann das Gesicht eigentlich gut erkennen. Und das habe ich Ihnen auch schon gemailt. Und jetzt noch mal zum Autobesitzer. Da auf dem Radarfoto den ganzen Wagen sieht, können wir davon ausgehen, dass Herr van Geerden nicht im Auto saß. Und nun kommen Sie ins Spiel. Sie sollten mal abklären, wo der Mann abgeblieben ist. Hier scheint er jedenfalls nicht zu sein. Aber wir haben seine Handydaten untersucht. Sein Mobiltelefon hat sich zum letzten Mal in einer Sendeeinrichtung in Grimma eingeloggt. Das Handy war also hier. So weit unsere Ermittlungen.«

       »Wow, das nenne ich gute Arbeit«, heuchelte Volker Interesse. Dabei interessierte er sich nicht für den Vorfall und nicht für Andreas van Geerden. Vielleicht war er einfach mit seiner Geliebten in Urlaub gefahren und man hat am Flughafen sein Auto geklaut. Er war Kommissar im Dezernat für Gewaltverbrechen. Und nicht bei der Truppe die sich mit solchen Diebstählen beschäftigte. Dieser Clown Andrä hatte nur seine Nummer bekommen, weil niemand mehr sonst im Büro gewesen war. Und jetzt belästigte ihn der Sachse schon wieder. Obwohl er anerkennen musste, dass das schon eine gute, saubere Arbeit war. Ermitteln konnten die schon. »Das war es eigentlich schon«, sagte Andrä schließlich, »wenn Sie irgendwelche Erkenntnisse gewonnen haben, können Sie mir ne kurze Mail schicken. Dann rufe ich Sie