Ohne mich. Hanna Goldhammer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanna Goldhammer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078121
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Fest in ihren Armen hielt sie einen Pullover. Meinen Pullover. Ich hatte ihn ihr vor mehreren Wochen geliehen und sie hatte ihn bist jetzt behalten. Ich konnte sie nicht hören, aber ich konnte daran wie ihr Körper zuckte sehen, dass sie bitterlich weinte. Sie hörte überhaupt nicht mehr auf zu weinen. Wie lange sie wohl schon so da lag? Laura machte ihre Nachttischlampe an. Es wurde kaum heller aber jetzt erkannte ich, dass überall auf dem Boden verstreut benutzte Taschentücher lagen. Lauras Gesicht war verquollen, ihre Augen und ihre Nase gerötet. Laura griff nach einem Notizbuch und einem Stift, dann schrieb sie etwas auf. Jetzt bin ich wieder alleine. Wieso musste ihr so etwas passieren? Wieso nicht mir? Dann warf sie das Notizbuch gegen die Wand und fing wieder an unkontrolliert zu weinen. Sie machte das Licht aus und zog die Decke über ihren Kopf.

      „Stopp!“, rief ich, „Das alles muss aufhören!“ Der Bildschirm verschwand.

      „Ich habe doch gesagt, dass das keine gute Idee sei“, sagte David kleinlaut.

      „Das mein ich nicht! Ich meine, sie sollen aufhören so traurig zu sein. Sie sollen alle aufhören so durchzudrehen. Ich will das es ihnen gut geht!“, erklärte ich aufgebracht.

      „Das liegt nicht in unserer Hand“, antwortete David.

      „Wie lange wird es ihnen so gehen?“

      „Das kann ich nicht sagen. Niemand kann in die Zukunft sehen. Menschen haben einen freien Willen, das bedeutet, dass sie selbst entscheiden wie es weitergehen wird.“

      „Dann wünsche ich mir, dass ich ihnen sagen kann, dass es mir gut geht!“, sagte ich fest überzeugt.

      „Das geht auch nicht“ Man merkte wie unangenehm es David war, mir ständig widersprechen zu müssen.

      „Aber wieso?“

      „Du kannst dir gar nicht vorstellen was das für ein Chaos geben würde! Es gab bereits einmal einen Menschen der zurückgekehrt ist auf die Erde. Ich glaube ihr nennt ihn Jesus oder auch Menschensohn oder so ähnlich. Auf jeden Fall wollte man den Menschen so Hoffnungen schenken, ihnen zeigen, dass der Tod nicht das Ende ist. Doch worauf lief das ganze hinaus? Wie viele Kriege gab es aufgrund von Religion? Wie viele Menschen mussten wegen ihres Glaubens sterben? Glaube mir, es wäre keine gute Idee wenn du zu deiner Familie reden würdest. Was glaubst du würde man von ihnen halten, wenn sie erzählen, dass du von den Toten zurückgekehrt seist? Du weißt doch wie die Menschen sind!“

      Ich nickte. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Aber es musste doch irgendetwas geben was ich tun konnte!

      „Man kann doch nur traurig über den Verlust von etwas sein, wenn man wusste wie es war es zu besitzen, oder?“, fragte ich nachdenklich.

      „Ja schon, aber was willst du mir damit sagen?“, fragte David zögerlich.

      „Und wenn ich mir wünsche, dass ich nie gelebt habe? Dass sich niemand daran erinnern kann, dass es mich einmal gegeben hat? Dass es einfach so wäre, als wenn ich nie geboren wäre?“, fragte ich erwartungsvoll.

      „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“, rief David überrascht.

      „Doch! Und ob das mein Ernst ist! Was habe ich schon großartiges auf der Welt geleistet? Nichts! Wenn es mich nie gegeben hätte, wäre niemand schlechter dran. Im Gegenteil! Meinen Eltern würde es gut gehen. Tom würde es gut gehen. Laura würde es auch gut gehen! Niemand müsste um mich trauern“ Der Gedanke daran niemals existiert zu haben, sollte eigentlich traurig sein, doch ich wurde immer begeisterter von der Idee. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass man um mich trauerte. „Du hast doch gesagt, dass ich einen Wunsch frei habe! Und das ist es nun mal was ich mir wünsche!“

      „Ich glaube du verstehst gar nicht was das bedeutet!“, gab David zu bedenken, „durch diesen Wunsch würdest du das Leben aller Menschen, die du irgendwie beeinflusst hast, verändern! Und das aller Wichtigste: Was auch immer du dir wünschst, es kann nicht so einfach rückgängig gemacht werden! Willst du nicht noch einmal darüber nachdenken?“

      Stur schüttelte ich den Kopf. Welche Menschen hatte ich schon groß beeinflusst? Ich hatte niemandem das Leben gerettet, ich hatte keine Wunder vollbracht. Es gab keine nach mir benannte Straße und auch kein von mir in Afrika errichtetes Krankenhaus. Es gab nichts. Mein Leben war doch nur ein bedeutungsloser Wimpernschlag in der schier endlosen Geschichte der Menschheit. Ich machte keinen Unterschied. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war meinen Angehörigen den Abschied zu erleichtern.

      „Ich sehe du bist nicht davon abzubringen“, seufzte David, „Mal sehen was Lucrezia zu deinem Wunsch sagt. Du kannst schon einmal zu ihr gehen, ich komme gleich nach.“

      „Du wünschst dir WAS?“, fragte Lucrezia entsetzt. Sie glaubte sich verhört zu haben.

      „Ich wünsche mir, dass ich niemals auf der Erde existiert habe“, wiederholte ich. Ich versuchte es so selbstverständlich wie möglich zu sagen.

      Verblüfft blickte Lucrezia zu David, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte es mir nun mal in den Kopf gesetzt und davon war ich auch nicht mehr abzubringen.

      „Und du bist dir wirklich ganz sicher?“, fragte Lucrezia zweifelnd.

      Ich nickte.

      „Gut, dann tritt dein Wunsch mit Betreten des Paradieses sofortig und unwiderruflich in Kraft. Ich wünsche dir eine angenehme Zukunft!“ Mit diesen Worten presste Lucrezia einen Stempel auf eines der unzähligen Papiere die vor ihr lagen und drückte es mir in die Hand.

      „Und jetzt muss ich durch das Tor gehen?“, fragte ich unsicher.

      „Ja, aber keine Sorge, ich begleite dich“, antwortete David und schob mich sanft in Richtung Tor.

      Diesen einen Moment, kurz bevor ich durch das Tor trat, werde ich wohl nie vergessen. Diesen Moment, an dem die Spannung am größten ist, wie an Weihnachten kurz bevor man die Päckchen öffnete. In meinem Kopf schwirrten so viele Gedanken wirr durcheinander. Was würde mich erwarten? Würde es mir gefallen? Wie sah es aus?

      In dem Moment in dem sich das Tor öffnete, waren meine Augen geschlossen und vor Aufregung hielt ich die Luft an. Dann war es so weit. Nervös öffnete ich meine Augen.

      „So, da sind wir also! Das Paradies, der Ort des ewigen Glückes und der Zufriedenheit, der Ort an dem einfach alles möglich ist! Ist das nicht der Wahnsinn?“, schwärmte David und schon wieder sprühten seine Augen vor Begeisterung.

      „Aber es sieht aus wie auf der Erde! Also ich meine, das hier ist doch nur eine gewöhnliche Stadt. Es hat gar nichts Magisches“, stellte ich überrascht fest.

      „Nichts Magisches?“, fassungslos schüttelte David den Kopf, „Ich glaube du verstehst nicht! Dieser Ort ist so wie du ihn siehst. Er kann alles sein und nichts. Eben genau so, wie du glaubst dass er ist. Wenn du willst, kann der Ort verdammt magisch sein, wenn du willst kann das alles hier aussehen, als wäre es aus rosa Zuckerwatte! Es ist DEIN Stückchen Himmel. DEINE Vorstellungskraft. Du musst daraus machen was du willst!“

      „Aber ich habe mir nie ein Leben nach dem Tod vorgestellt! Und schon gar nicht so eins, das aussieht wie auf der Erde!“, protestierte ich.

      „Aber das ist es doch! Du bist nicht bereit für ein Leben nach dem Tod. Also ist es für dich momentan am leichtesten, wenn es so aussieht, wie deine vertraute Umgebung. Wie das, was du kennst! Irgendwann wirst du bereit sein dich von all dem zu lösen und dann kannst du diesen Ort hier zu deinem Paradies machen.“

      Sprachlos starrte ich David an. Mein eigenes Paradies? Und hier war wirklich alles möglich? So wie ich das wollte? Das alles war einfach noch viel zu unbegreiflich für mich. Daran würde ich mich wohl erst einmal gewöhnen müssen.

      „Dieses Haus hier ist deins!“, David deutete auf ein hellgrünes Haus rechts vor uns, „dort wirst du leben. Komm mit, ich zeig dir was das Besondere in dem Haus ist.“

      Ein ganzes Haus für mich alleine? Das nannte ich mal Luxus. Vor allem die Farbe gefiel mir ausgesprochen gut. Hellgrün, meine Lieblingsfarbe. Doch wie ich bereits richtig vermutete, war das kein Zufall. Gemeinsam betraten