Mordsriecher Tatort Böblingen. Heinrich Düllmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Düllmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738091717
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      Gert bat sie ins Wohnzimmer. Linda hielt sich mit beiden Händen an ihrem kurzen Rock fest und ließ sich ziehen.

      »Ich habe nicht vor, mich auszuziehen.«

      Sie wehrte sich gegen das Mädchen, als der Rock immer weiter runterrutschte.

      »Linda, hör auf!«, sagte der Vater streng.

      »Halb so wild, ich bin doch schon wieder angezogen«, sagte Helene, nachdem sie den Rock hochgezogen hatte. Gert schaute die Polizistin anerkennend an.

      »Und das top! Womöglich werden ja gerade so attraktive Frauen wie Sie zu Männern geschickt, um sie gesprächiger zu machen.«

      Er grinste sie frech an.

      »Danke für das Kompliment. Hin und wieder trage ich sogar Jeans bei solchen Unterhaltungen«, konterte sie selbstbewusst, um sich ihre Irritation nicht anmerken zu lassen.

      Linda ging entgegen ihrer Gewohnheit in ihr Zimmer. Normalerweise war sie immer am Ort des Geschehens, um alles hautnah mitzubekommen. Diesmal zog sie es jedoch vor, unbeobachtet zu lauschen. Die Tür war offen, sie konnte jedes Wort von dem Gespräch aufnehmen. Sie hoffte so, Neues zu erfahren, wenn die Erwachsenen sich nicht durch ihre Gegenwart eingeschränkt oder gestört fühlten. Helene legte den Wohnungsschlüssel auf den Tisch, der zwischen beiden stand, und bedankte sich für das Ausleihen. Gert nahm den Schlüssel, hielt ihn provozierend hoch und fragte schnippisch:

      »Und, was gefunden?«

      »Das kann ich nicht sagen, es liegen uns noch nicht alle Untersuchungsergebnisse vor. Vielleicht wissen wir heute Abend Genaueres. Im Moment interessiert mich das nicht!«

      Helene unterbrach ihre Ausführung, beugte sich vor, schaute ihn eindringlich an und sprach:

      »Im Moment beschäftigt mich die Frage, warum Sie mich gestern Abend angelogen haben!«

      »Was habe ich?«, reagierte Gert fassungslos.

      »Sie gaben an, nach 18.30 Uhr nicht mehr in ihrer Wohnung gewesen zu sein.«

      »Ja, das ist korrekt!«

      »Ein Nachbar behauptet jedoch, Sie kurz vor dem Sturz auf dem Balkon gesehen zu haben.«

      »Dann irrt er sich!«

      »Wann verließen Sie die Buchhandlung Vogel?«

      »So gegen 20.30 Uhr.«

      »Gegen 21.15 Uhr war der Unfall. Was machten Sie in der Zwischenzeit?«

      »Ich ging nach Hause, zugegeben, äußerst langsam, weil mir viele Formulierungen für den Artikel durch den Kopf gingen. In solchen Fällen bleibe ich einfach stehen und spreche sie ins Smartphone.«

      »In der Regel ist das ein Fußweg von einer halben Stunde, nicht wahr?«

      »Ja. Was wollen Sie mir eigentlich anhängen?«

      Gert fuhr aus der Haut, er schrie seine Gesprächspartnerin an: »Glauben Sie im Ernst, dass ich meine Frau und Tochter vom Balkon gestoßen haben könnte. Wie krank muss Ihr Hirn sein!«

      Linda wurde es ungemütlich. Sie erkannte ihren Vater nicht wieder! Noch nie hatte sie ihn so aufgebracht erlebt. Sie schnappte sich ihr Kuscheltier und lief ins Wohnzimmer.

      »Papa, Papa!«, rief sie und umarmte ihn.

      »Sehen Sie, was Sie mit Ihren Verdächtigungen anrichten?«, giftete er die Hauptkommissarin an. Danach tröstete er Linda, die weinte.

      »Ich bitte Sie, zu gehen. In Anwesenheit eines Kindes bespricht man nicht solche Themen.«

      »In Ordnung, dann setzen wir morgen in der Polizeidirektion das Gespräch fort. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Kommen Sie morgen mit Linda. Während wir uns unterhalten, beschäftigt sich unsere Psychologin mit ihr. Was halten Sie davon?«

      »Das ist eine gute Idee!«

      »Wann passt es Ihnen?«

      »Um 9 Uhr.«

      »Einverstanden! Auf Wiedersehen! Lassen Sie nur, ich finde den Weg«, sagte sie beim Aufstehen, als er sie zur Tür führen wollte.

      »Tschüss, Linda!«, winkte sie dem Mädchen zu.

      »Ich komme mit!«

      Linda flitzte hinter ihr her. An der Tür bückte sich die Hauptkommissarin zu ihr hinunter und gab ihr einen Backenkuss. Danach verließ sie rasch die Wohnung und nahm den Weg über die Treppen.

      Helene ging das Gespräch intensiv durch den Kopf. Vor allem rätselte sie über die heftige Reaktion von Gert Kunkel. Hatte er etwas zu verbergen? War er doch noch kurz vorher in der Wohnung gewesen? Sie ging langsam die Stufen hinunter und war so mit sich beschäftigt, dass sie den Mann nicht bemerkte, der mit flotten Schritten die Treppe heraufsprang. Wenn dieser nicht vor ihr gestoppt hätte, wäre es unweigerlich zu einem Zusammenprall gekommen. Er grüßte sie, was sie aus ihren Gedanken riss. Sie schaute ihn an und verstand die Welt nicht mehr.

      »Herr Kunkel, wo kommen Sie denn so plötzlich her?«, sprach sie ihn total überrascht an.

      »Von der Arbeit«, antwortete der Mann, um sofort zurückzufragen:

      »Aber woher kennen Sie mich?«

      Jetzt sah die Hauptkommissarin ihr Gegenüber genauer an. Es war das Gesicht von Gert Kunkel, aber eben noch hatte er andere Kleidung getragen. Doppelgänger oder Zwillingsbruder? Sie platzte vor Neugierde.

      »Aber Sie kennen Herrn Kunkel?«

      »Und wie! Leider ist er zwei Minuten älter als ich!«

      Helene Krautkopf lachte kurz verlegen auf, stammelte ein wenig vor sich hin und beeilte sich dann, sich zu verabschieden und das Haus zu verlassen. Erst als sie auf der Straße angekommen war, atmete sie tief durch und begann, über die Konsequenzen ihrer Entdeckung nachzudenken.

      Kapitel 6

      Helene las zum wiederholten Male am Computer die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung, die keinerlei Hinweise auf ein Gewaltverbrechen ergaben. Dennoch sträubte sich alles in ihr, von einem Unfall auszugehen. Selbstmord schied sie aus.

      Sie stellte sich vor, wie oft Clara und Linda gemeinsam auf dem Balkon waren, wie oft die Mutter die Tochter hochgehoben hatte, damit sie besser sehen konnte. Nie war etwas passiert. Sollte die Mutter dieses eine Mal ausnahmsweise unvorsichtig gewesen sein? Sollte sich das Kind dieses eine Mal zu weit vorgebeugt haben? Sollte? Sollte? ... Nein!, antwortete sie sich trotzig. Sie erinnerte sich an einen Fall, bei dem sie und ihre Kollegen von einem tragischen Unfall ausgegangen waren. Die Polizeidirektorin hatte bereits das Ende der Untersuchungen angeordnet. Doch eigenmächtig ermittelten sie weiter. Und schon bald stellte sich heraus, dass es sich um einen heimtückischen Mord handelte.

      Sie rollte ihren Stuhl zurück, schlug die Füße übereinander, sodass der kurze Rock ihre schönen, langen Beine freilegte. Das Gespräch mit Gert Kunkel ging ihr nicht aus dem Kopf. Was bedeuteten seine aggressiven Reaktionen? War er wegen der Sorge um seine Frau so dünnhäutig, oder hatte er etwas zu verbergen?

      Die Polizistin schloss die Augen und dachte an Linda. Das Mädchen gefiel ihr. Ihre Spontanität und Direktheit beeindruckten sie. Es freute sie darum, dass sie von Anfang an einen guten Draht zu ihr hatte.

      Helene lächelte zufrieden und bemerkte nicht, dass Volker und Jens ins Zimmer kamen. Die sagten zunächst gar nichts, sondern schauten angetan auf ihr freizügiges Outfit sowie ihr verträumtes Lächeln.

      »Zur Sache, bitte!«

      Volker weckte seine Chefin unsanft, um dann launisch fortzufahren:

      «Denkst du an ein Schäferstündchen?«

      »Schön wär´s«

      Sie schmunzelte.

      »Obwohl ... ich auch bei den Gedanken an Linda etwas ins Träumen gekommen