Gegen den Koloss. Achim Balters. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Achim Balters
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752642
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wir uns kennenlernen. Dein bester Freund. Und ich –», sie stockt, sieht ihn prüfend an. «Und was bin ich für dich?»

      «Tja, schwierig», antwortet er schmunzelnd. «Auf jeden Fall meine Hautärztin, mit der ich sehr zufrieden bin.»

      «Das ist mir zu wenig», protestiert sie.

      «Na gut. Vorsichtig formuliert: Von allen Frauen im Kosmos bist du die Frau, die mir am besten gefällt.»

      «Akzeptiert. Und das sagst du auch Martin?»

      «So ungefähr.»

      «Was sind denn seine persönlichen Merkmale?»

      «Vielseitiger Journalist, begeisterter Feinschmecker, eingefleischter Junggeselle, sensibler Zyniker.»

      «Interessant.» Sie schweigt kurz, fährt sich mit der Hand durchs Haar. «Aber jetzt zurück zu uns. Trinken wir hier noch einen Espresso oder lieber bei mir?»

      «Lieber bei dir.»

      «Gut, trinken wir ihn also bei mir. Zu dir können wir ja nicht fahren», sagt sie mit einem spöttischen Unterton. Sie blickt ihn abwartend an. Er ist irritiert. Ist das ein Vorwurf? Eine gezielte Provokation?

      «Können wir schon», antwortet er langsam. «Aber die Atmosphäre dort wäre nicht so angenehm wie bei dir.» Er streichelt ihre Hand, lächelt unsicher. «Ich werde einiges ändern. So schnell wie möglich. Versprochen, Birgit.»

      Richard weiß, dass sie Affären ablehnt, als törichte Geschlechterkirmes und pure Zeitverschwendung ansieht. Mit ihrem Aussehen, eine attraktivere Ärztin hat er bisher nicht kennengelernt, könnte sie Männer sammeln, aber ihre Einstellung macht sie dagegen immun. Sie setzt mehr auf Analyse als auf Gefühl, muss erst überzeugt werden, um sich dann erobern zu lassen. Anfangs vermutete Richard, dass sie ihn nur auf die Folter spannen wollte, ihn aus taktischen Gründen auf Distanz hielt. Sie war jedoch deswegen reserviert, weil sie strenge, für Richard etwas antiquierte Maßstäbe anlegt. Sie will nur ernsthafte Beziehungen, testet erst mit körperlichem Abstand. Sie ist sich zu schade, ihren Körper wie ein schnell verfügbares Objekt anzubieten. Ihre Qualitätskontrolle muss stimmen, erst dann öffnet sie sich. Kompromisse, geistige und körperliche, sind für sie eine andere Form der Lüge. Das lässt sie unterkühlt wirken und gegenüber den Menschen, mit denen sie nichts zu tun haben will, unnahbar. Sie pocht auf Ehrlichkeit. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis ist klein. Richard glaubt, dass sie sich vor persönlichen Verletzungen fürchtet, sie unbedingt vermeiden will. Mit ihrer Unabhängigkeit und Vorsicht fühlt sie sich dagegen gewappnet. Als Hautärztin verdient sie genug, um ein finanziell gut gepolstertes Leben zu führen. Den Arztberuf hat sie weniger aus Neigung als aus gesundem Egoismus gewählt. Wissenserwerb und Geldverdienen waren dabei untrennbar miteinander verbunden. Der Beruf, der ihr am meisten bot. Er war für sie auch zukunftssicher. So lange es Menschen gibt, so lange gibt es ihre Krankheiten. Das Studium und die daran anschließende Arbeit im Krankenhaus waren für sie Etappen, um ein immer besseres Verständnis für den menschlichen Körper zu bekommen. Sie wollte möglichst genau Bescheid darüber wissen, wie er funktioniert, wo die Gesundheit endet und die Krankheit beginnt. Sie wollte sich von Ärzten nicht entmündigen lassen, ihnen ihren Körper nicht länger naiv anvertrauen. Sie wollte auf Augenhöhe mitreden und mitentscheiden können. Sie meint, dass die meisten Menschen nicht mit ihrem Körper leben, sondern gegen ihn. Ihr Körper ist für sie eine Art Reservat, das unter ihrem besonderen Schutz steht. Dass sie ihn so wichtig nimmt, seine Regeln achtet, ist für sie selbstverständlich. Ihr ganzes Leben ist sie ja mit ihm zusammen. Mit ihrem Wissen hofft sie, Ärztepfusch besser vermeiden zu können. Dem medizinischen Standard misstraut sie, sie kennt genügend abschreckende Beispiele für von Ärzten begangene Körperverletzungen. Diagnosen sind oft nichts anderes als medizinisch geschminkte Irrtümer. Wenn sie es könnte, würde sie sich am liebsten selbst operieren. Sie hat sich, wie sie es nennt, eine gute medizinische Allgemeinbildung zugelegt. Davon profitiert sie, sowohl privat als auch als Ärztin. Nach einigen Jahren als Oberärztin in einem Mönchengladbacher Krankenhaus, wo sie von den alltäglichen menschlichen Dramen mehr und mehr betrübt wurde, hat sie sich als Hautärztin in Neuss niedergelassen. Hautärztin zu werden, war für sie eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens. Ihr Beruf hat für sie einen hohen Stellenwert. Sie genießt einen guten Ruf, weswegen Richard vor etwa einem halben Jahr ihr Patient geworden ist.

      «Und? Schmeckt er dir?», fragt Birgit, nachdem sie vom Espresso gekostet hat.

      «Bei dir besonders gut», antwortet Richard, der neben ihr auf dem Sofa sitzt. «Nirgendwo sonst trinke ich lieber einen Espresso.

      «Du Schmeichler. Aber das gehört ja dazu. Hätte er nicht ein bisschen stärker sein können?», fragt sie mit skeptischer Miene.

      «Ich finde ihn stark genug», antwortet er und nimmt bestätigend einen Schluck.

      Sie sieht auf ihre Uhr.

      «Fast zwölf. Aber ich bin noch ganz wach.»

      «Ich auch.»

      «Das ist gut so.» Sie umarmt ihn, zieht ihn an sich, küsst ihn herzhaft auf den Mund, steht dann schnell vom Sofa auf. «Lass uns noch ein bisschen Musik hören.»

      Sie geht zu der CD-Sammlung im vor allem mit Büchern bestückten Regal, dreht sich strahlend zu ihm.

      «Klassik oder Jazz?», fragt sie.

      «Lieber Klassik», antwortet er und verfolgt, wie sie eine CD gezielt auswählt und auflegt. Ihm gefällt, wie sie dabei ihren schlanken, eher sportlich geformten Körper bewegt, der keine ins Auge springenden Reize anbietet. Es wirkt natürlich, nicht geziert, wie er es von Iris kennt. Auch wenn ihr Körper jetzt unter dem langen, weit geschnittenen Sommerkleid nur zu erahnen ist, übt sie auf ihn eine starke erotische Anziehungskraft aus. Gleich werden sie in ihrem Bett liegen. Er kann es kaum erwarten. Bis dahin ist alles andere nur eine Art Vorspiel. Er genießt die sinnlich aufgeladene Atmosphäre, merkt, wie er nur noch von Birgit bestimmt wird.

      Leise Kammermusik erklingt, den Komponisten kennt er nicht. Mit beschwingten Schritten und verträumt wirkendem Gesicht kommt sie zum Sofa zurück. Sie verharrt kurz, schaltet die Deckenlampe aus. Sie setzt sich neben ihn, streichelt sein Gesicht, schmiegt sich an ihn. Die birnenförmige Tischlampe aus Glas taucht den Raum in ein mildes Licht.

      Richard fährt mit der Hand durch ihr Haar. Sie legt den Kopf auf seinen Schoß, schließt die Augen, überkreuzt die Beine auf der Sofalehne. Die jetzt in schnellem Tempo gespielte Kammermusik klingt für ihn aufgeregt und erwartungsvoll zugleich. Birgit hat die Lautstärke so weit herunter geregelt, dass manche Rhythmen verhuschen. Sie rekelt sich, seufzt voller Behagen.

      «Was geht es mir gut», sagt sie.

      «Und mir erst mal», sagt er.

      «Das haben wir prima hinbekommen.»

      «Was denn, Birgit?», fragt er, obwohl er sich denken kann, was sie meint. Er möchte es aber gern von ihr hören.

      «Na unsere», sie überlegt kurz, versonnen lächelnd, «dass wir ein Paar geworden sind.»

      «Ja. Fabelhaft.»

      «Ziemlich schnell hat sich alles entwickelt. Für meine Verhältnisse jedenfalls.»

      «Erst etwas gebremst, dann mit starker Beschleunigung.»

      «Immer näher. Dann sind wir bei uns angekommen.»

      «Ein schöner Ort.»

      «Mein Lieblingsort.»

      «Zuerst saß ich in deinem Wartezimmer, dann kam ich in dein Sprechzimmer und jetzt bin ich in deinem Wohnzimmer.»

      «Und gleich liegst du zusammen mit mir in meinem Bett.»

      «Das ist einfach nicht mehr zu steigern.»

      Sie fährt mit ihrer Hand über seinen Hals, seine Schultern, knöpft sein Hemd weiter auf, streichelt seinen Oberkörper.

      «Ich mag deinen Körper. Sehr. Er ist noch so fest, so schlank. Mit plumpen oder gar dicken Körpern habe ich ein Problem. Ich könnte nicht mit einem übergewichtigen