Gegen den Koloss. Achim Balters. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Achim Balters
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752642
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brauner sein. So braun wie Beate. Aber die hat ja auch eine Italienerin als Mutter. Ellen blickt starr geradeaus, als ihr zwei Dorfschwengel entgegenkommen, die sie frech mit Blicken abtasten. Glotzen grinsend auf ihre Brüste. Das kennt sie. Daran muss sie sich gewöhnen. Sie beobachtet sie aus den Augenwinkeln. Wenn man sie so anstarrt, fühlt sie sich zwar entblößt, aber irgendwie ist es auch prickelnd. Ellen ist stolz auf ihre Brüste. Sie fallen natürlich auf. Wirklich schöne Dinger, die Männer anturnen. Ruckartig wendet sie ihren Kopf zur entgegengesetzten Seite, als die beiden Kerle viel zu nah an ihr vorbeigehen. Sie spiegelt sich im Schaufenster des Haushaltswarengeschäfts. Wie groß sie ist! Und was für eine super Figur sie hat! Die beiden Kerle drehen sich jetzt bestimmt nach ihr um. Das verunsichert ihren Gang. Sie macht kleinere Schritte, um sie besser kontrollieren zu können.

      Mit finsterer Miene blickt sie nach oben. Die Sonne ist hinter dicken Wolken verschwunden. Vor einer Ampel bleibt sie stehen, denkt an Marc. Heute trifft sie ihn nicht, erst morgen wieder. Sie vermisst ihn nicht. Der ist doch nur noch ein Auslaufmodell. Sie ist schon zu lange mit ihm zusammen. Aber leider hat sie noch nichts Besseres gefunden. Er sieht ja ganz gut aus und hat schöne Hände, von denen sie sich gern streicheln lässt. Aber er ist ihr zu bubihaft, hat auch kein Feeling beim Sex, stochert zu wüst in ihr herum, macht ein ziemlich blödes Gesicht dabei, ist meistens zu früh fertig. Er ist gerade erst 18 geworden, knapp zwei Jahre älter als sie. Ein älterer Freund wäre besser, einen so um die zwanzig braucht sie. Einen, der eben reifer ist und der’s schon richtig kann.

      Die Ampel springt auf Grün. Ellen überquert die Straße. Zwei Autoschlangen bilden sich links und rechts von ihr, lärmen nervend, verstopfen den ganzen Ort. Überall Blech. Die Bürgersteige sind voller Dörfler, denen sie ihre Spießigkeit ansieht. Was für ein langweiliges Kaff! Die sollen hier doch nicht so ein Theater machen, nur weil Anfelden vom Tagebau geschluckt wird. Ist doch sowieso nur ein Friedhof. Gut, dass die Bagger kommen. Ihre Eltern wären sonst hier weiter kleben geblieben. Und sie mit ihnen. Sie freut sich schon darauf, dass sie nächstes Jahr nach Aachen ziehen. Da geht die Post ab, da muss sie hin, da ist immer was los. Vielleicht ist sie dann mit einem Studenten zusammen. Einer, der schon erwachsener ist, erfahrener als diese Schnösel, die sie bislang gehabt hat. In Aachen, eine tolle Stadt, wird sie auch studieren. Sie weiß überhaupt noch nicht, was, bestimmt nicht Mathematik.

      Ein lächerlicher Dackel kläfft sie hinter einem Zaun an, als sie in die Straße kommt, wo sie wohnt. Jedes Mal, wenn sie hier entlanggeht, zieht sich alles in ihr zusammen. Eine enge Straße, wo Haus an Haus geklatscht ist, armselige Hütten, alle sehen gleich aus, richtige Gärten gibt es nicht, nur ein bisschen Rasen und ein paar mickrige Bäumchen. Hier wohnen nur Provinzler, die vor sich hindumpfen und sie ankotzen. Wenn sie könnte, würde sie sofort wegziehen.

      Sie ist froh, dass sie niemandem begegnet, den sie grüßen muss. Jeder kennt jeden. Das findet sie grässlich. Sie fühlt sich beobachtet. Hinter Gardinen versteckt, verfolgt man sie jetzt mit Blicken. Da ist sie sich ganz sicher. Sie sieht, wie sich die scheußliche Rüschengardine hinter dem Wohnzimmerfenster der frommen Dahlke bewegt. Soll sie doch glotzen. Wer weiß, was diese Dörfler über sie tratschen. Aber das sollte ihr am Arsch vorbeigehen. Sie ist sowieso bald weg. Zum Teufel mit diesem Scheiß Kaff! Macht nichts, dass es ausradiert wird. Sie kann froh darüber sein, wird nichts vermissen. Erst recht nicht diese abgeschmackte Erdgeschosswohnung, in der sie noch immer mit ihren Eltern wohnt, und wo sie sich wie in einem Käfig fühlt. Alles andere als ein Zuhause, wo man sich wohlfühlen kann. Am liebsten würde sie in einer Villa wohnen. In einer wie die von den Lindners. Die sind stinkreich, haben Kohle ohne Ende. Dagegen sind sie doch bettelarm. Den Lindner hat sie vor ein paar Tagen in der Post gesehen. Ein Star-Architekt, der noch verdammt gut aussieht, vielleicht Mitte dreißig ist. Der kann’s bestimmt. Na ja, sie würde nicht Nein sagen, es einfach mal mit ihm ausprobieren.

      Zwei Jungen kommen ihr entgegengetollt, stören sie bei ihren Tagträumen. Sie verzieht ihr Gesicht, weicht ihnen mit einem großen Schritt zur Seite im letzten Moment aus.

      «He, ihr Rotzlöffel! Könnt ihr nicht aufpassen? Macht bloß, dass ihr wegkommt! Sonst kriegt ihr noch ein paar gelangt», schimpft sie hinter ihnen her. Die beiden hätten sie beinahe voll erwischt. Das hätte ihr auch noch gefehlt. Schlecht gelaunt geht sie weiter. Wie sie die Gegend hier anwidert! Gleich ist sie zu Hause. Sie hat kein gutes Gefühl. Was kann sie schon erwarten? Wieder nur Vorwürfe. Und blödsinnige Ratschläge. Sie hat den Schlüssel vergessen, schellt ärgerlich zweimal. Sie wirft einen abschätzigen Blick auf eines der drei Plastik-Namensschilder. Schmitz. Warum muss sie ausgerechnet Schmitz heißen? Ellen Schmitz. Wie das klingt! Ihr Familienname ist ihr peinlich. Sie würde ihn am liebsten sofort ändern. Bouvier wäre prima. So heißt ihre Freundin Brigitte. Bouvier hört sich echt gut an. Der Öffner summt, sie drückt die Tür auf, betritt den nach scharfen Putzmitteln riechenden Hausflur. Aber Ellen findet sie eigentlich ganz okay.

      Wer die Macht hat, der hat auch das Recht. Dieser Satz kommt Richard immer wieder in den Sinn, seitdem er selbst damit konfrontiert wird, dass der Braunkohlentagebau hemmungslos gegen Grundrechte verstoßen kann, ohne deswegen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Im Gegenteil, die Rechtsprechung segnet ab, was Wirtschaft und Politik hier wegen des sogenannten Bodenschatzes Braunkohle anrichten und nimmt den Menschen ihren Rechtsschutz. Für Richard und viele andere ist es ein Skandal, den es sonst nur in menschenverachtenden Regimes gibt. Ohnmächtig muss er die von deutschen Gerichten vertretene Ansicht akzeptieren, dass die Rechte der vom Tagebau Betroffenen und die Umweltproblematik nachrangig seien. Nachrangig, ein für Richard widerlich verharmlosendes Wort. In den Urteilen wird die Rechtmäßigkeit der Tagbaupläne mit dem Verweis auf ihre angeblich energiepolitische Notwendigkeit begründet. Alle Klagen gegen Braunkohlenpläne wurden abgeschmettert. Dabei stützten sich die Urteile auf das vom Preußischen Berggesetz abgeleitete Bundesberggesetz. Richter brachen auf diese Weise Menschenrechte, um dem Tagebau grünes Licht zu geben und die fatalen Folgen für die Betroffenen zu legalisieren. In welchen Niederungen des Ungeistes das Bundesberggesetz wurzelt, belegen viele der dort paragrafierten Regelungen, die sich auf abgefeimte Gesetzesnovellen stützen, die 1935 während der nationalsozialistischen Diktatur im Energiewirtschaftsgesetz das Eigentumsrecht aushebelten.

      Für Richard ist es ein unglaublicher Skandal, dass heute noch das Bergrecht juristisch höher eingestuft wird, als das in der Verfassung verankerte Grundrecht, seinen Wohnsitz frei von staatlichen Zugriffen behalten zu dürfen. Diese alles andere als verfassungskonforme Unrechtsprechung fußt auf der haltlosen Behauptung, die Braunkohlenförderung diene dem Allgemeinwohl. In Wirklichkeit aber, und das ist für Richard eine juristische Perversion ohnegleichen, schädigt der Tagebau wegen seiner verheerenden sozialen, ökologischen und klimatischen Folgen massiv das Allgemeinwohl. An dieser Rechtsprechung ändert sich auch weiterhin nichts, obwohl wissenschaftliche Gutachten eindeutig belegt haben, dass es keine energiepolitische Notwendigkeit für den Braunkohlentagebau gibt, er weitaus mehr schadet als nutzt, unwirtschaftlich und technisch veraltet ist und von anderen Energieträgern ersetzt werden kann.

      Die Gegner des Braunkohlentagebaus sind empört. Sie wissen Bescheid, können aber nur protestieren, ohne Aussicht auf Erfolg. Die rein betriebswirtschaftlichen Interessen der Tagebaubetreiber haben einen höheren Stellenwert als die von der Verfassung garantierten Grundrechte und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Das Bergrecht darf weiterhin Grundrechte brechen, obwohl es keine schwerwiegendere Beeinträchtigung des Allgemeinwohls als den Tagebau gibt. Katastrophal sind die Folgen für Mensch, Natur und Umwelt.

      Es gibt unabhängige Wissenschaftler, die derart besorgt und empört sind, dass sie angesichts dramatischer Umweltzerstörungen den Braunkohlentagebau nicht mehr kritisieren, sondern aufs Schärfste verurteilen. Die weder von Gesetzen noch Gutachten zu stoppende Nutzung der Braunkohle ist für sie wegen des alarmierenden Klimawandels ein ungeheuerliches, nicht mehr wiedergutzumachendes Verbrechen an der Menschheit. Braunkohle ist ein Klimakiller.

      «Starke Worte. Erfreulich starke Worte. Die Wahrheit, nackt und unverfälscht», sagt Martin Radke, der neben Richard in lockerem Trab durch den Aachener Stadtwald joggt. Nach einem heftigen Regenschauer fallen noch Tropfen von den nassen Blättern. Durch die Baumkronen zeigt sich wieder blauer Himmel.

      «Wenn seriöse Wissenschaftler den Tagebau derart verurteilen, müsste das schon sein Ende sein», meint Richard, langsamer