Zu nah am Abgrund. Karlheinz Seifried. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karlheinz Seifried
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847615880
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einmal um und sagte zu mir:

      „Die erste Versammlung der Führung ist übermorgen um fünfzehn Uhr im „Burgfried”. Tschüss, bis dann“, und er ging sichtbar zufrieden hinaus. Der „Burgfried” war eine Kneipe und das Hauptquartier von Wolfgangs Gang. Ich ließ mir noch etwas Zeit und genoss die Kühle der Eisdiele. Dann folgte ich ihm nach draußen. Auf der Straße standen nur noch meine Leute und warteten auf mich.

      „Gebt das Zeichen, dass die Schwester von Wolfgang freigelassen werden kann und hebt die Alarmbereitschaft auf“, sagte ich zu meinen Leuten, „wir haben uns geeinigt und wir tun uns zusammen. Mehr gleich oben im Lager. Gehen wir!“

      Wir formierten uns wieder und marschierten zurück ins Lager. Als wir oben im Lager ankamen, war alles wieder auf den normalen Status gebracht worden. Wolfgangs Schwester war schon nach Hause gegangen und die Leute warteten alle neugierig auf weitere Informationen. Als wir alle zusammen saßen, erstattete ich Bericht. Erzählte alles, was mir Wolfgang auch mitgeteilt hatte und auch vom ersten Treffen. Sie waren alle mit dieser Entscheidung und der Situation einverstanden und zufrieden.

      Besser konnten wir es wirklich nicht haben. Ohne große Auseinandersetzungen und Kämpfe an die Spitze zu kommen und sogar in der Führung ein Mitspracherecht zu haben, war schon toll.

      Kapitel 4

      Heute

      Schlaftrunken schreckte ich aus meinen Träumen auf, die Hitze trieb mir Schweißperlen auf die Haut. Es fehlte mir etwas in meinen Armen, ich blinzelte gegen das Licht.

      ‚Wo ist Eva?‘, dachte ich mir. Ich richtete mich langsam auf und schaute mich um. Da sah ich sie, sie spielte leichtfüßig im Wasser und ließ sich immer wieder rücklings in die Wellen fallen.

      ‚Ja, das brauchte ich jetzt auch. Eine kleine Abkühlung im blauen Wasser tut mir bestimmt gut.‘ Ich stand auf, lief in die Brandung und sprang mit einem lauten Aufschrei in die Wellen, dass das Wasser nur so spritzte. Wir tobten eine ganze Zeit lang im Wasser herum, bis wir Durst bekamen. Dann setzten wir uns wieder auf unsere Decke, schenkten uns ein Glas Prosecco ein, prosteten uns zu und küssten uns ausdauernd und zärtlich.

      „Na, was hast du geträumt?“, fragte mich Eva. Ich erzählte ihr die Geschichte und als ich fertig war, sagte sie zu mir:

      „Und - wie ging es weiter mit euch?“

      „Tja“, sagte ich, „es wurde schlimmer.“ Sie setzte sich auf und sah mich an.

      „Weißt du was, ich mache uns eine kleine Käseplatte und du erzählst die Geschichte weiter.“

      Sie stand auf, ging zur Kühltasche und zauberte uns im Handumdrehen eine kleine Käseplatte. Stellte sie zwischen uns, goss noch für jeden ein Glas Wasser ein und sah mich erwartungsvoll an:

      „Kannst jetzt loslegen, mein Schatz. Ich bin ganz Ohr“, sagte sie und strahlte mich dabei mit ihrem umwerfenden Lachen an. Jetzt musste ich mich auf den Fortgang der Geschichte konzentrieren, obwohl ich mir eigentlich etwas Schöneres mit Eva hätte vorstellen können.

      Kapitel 5

      1965

      In den letzten zwei Jahren hatte sich allerhand getan und verändert. Wir waren zu einer großen Gang zusammengewachsen und Wolfgang hatte seine Beziehungen in andere Städte, wie Hamburg und Bremen, spielen lassen. Wir bekamen oft Besuch aus Norddeutschland und es wurde so langsam eine Geschäftsbeziehung zu den anderen Gruppen aufgebaut.

      Immer, wenn etwas anlag, was einer Planung bedurfte, wurde ich eingeschaltet, gefragt und musste die Pläne entwickeln. Mein Kampfname war geboren, ich wurde „Der Organisator“. Dieser Name sollte mich viele Jahre begleiten. Mein Talent blieb auch den befreundeten Gruppen nicht verborgen und so traten sie an Wolfgang heran, um zu fragen, ob ich auch für sie arbeiten könnte. Nach einer Besprechung unter vier Augen wurden wir uns einig, dass es für uns nur gut sein konnte, auch über die anderen Gruppen Bescheid zu wissen und wir sagten zu.

      Eine meiner ersten Aufgaben war es, Transportwege zwischen den einzelnen Gruppen auszutüfteln und aufzubauen. So organisierte ich einen regen Botendienst zwischen Westfalen und Norddeutschland. Vorsichtshalber setzten wir für diese Touren nur Mädchen und Jungen ein, die noch keine sechzehn Jahre alt und somit noch nicht strafmündig waren. Sollte man sie erwischen, konnte man ihnen nichts anhaben. Aber wer kontrolliert schon Jugendliche und vor allem Mädchen? Transportiert wurde alles, Waffen, Rauschgift, Informationen, eben alles, was man zu Geld machen konnte und illegal war. In diese Zeit fiel auch das Ende meiner Schulzeit und ich musste mich um eine Lehrstelle bemühen.

      Hier in der Gegend gab es nicht allzu viel Auswahl, mir blieben noch Lehrstellen als Kfz-Mechaniker und Bäcker,

      aber beide Berufe waren nicht die, die auch meinen Vorstellungen entsprachen. Ich brauchte eine Herausforderung. Nach dem intensiven Studieren einiger Zeitschriften stieß ich auf eine Anzeige, in der für den Beruf des Seemannes geworben wurde. Ohne lange zu überlegen, entschied ich mich, diesen Beruf zu erlernen, ich wusste, das war genau das, was ich wollte.

      Noch am gleichen Tag sprach ich mit Wolfgang über meinen Plan und wir überlegten gemeinsam, welchen Nutzen wir aus diesem Vorhaben ziehen konnten. Der Vorteil war, ich kam in der ganzen Welt rum und hatte dadurch auch Gelegenheit, mit anderen Gruppierungen auf der ganzen Welt Kontakt aufzunehmen, Nachrichten und Gegenstände zu transportieren, ohne groß aufzufallen. Wer kontrolliert schon einen Seemann auf anderes als Zigaretten und Alkohol. Also, gesagt getan, jetzt musste ich nur noch meine Eltern informieren und überzeugen, denn die mussten ja, da ich noch minderjährig war, ihre Zustimmung geben. Aber das war kein Problem und schon im Juli traf ich in Bremen ein um auf dem „Schulschiff Deutschland” meine Berufsausbildung zu beginnen. Nicht zu verwechseln mit dem Schulschiff „Deutschland“ von der Bundesmarine.

      Genau zu diesem Zeitpunkt wurde Wolfgang von der Polizei wegen Körperverletzung festgenommen. Man informierte mich sofort und gab auch die Bitte von Wolfgang weiter, ihn aus der Haft zu befreien. Nach seiner Befreiung wollte Wolfgang dann in Hamburg untertauchen und die Gang erst einmal von dort aus leiten.

      Wenn er länger im Knast blieb, bestand die Gefahr, dass Kräfte innerhalb der Gang versuchen würden, die Führung zu übernehmen und da es auch um viel Geld ging, wollten wir uns natürlich nicht ausbooten lassen. Vor allem, da wir gerade jetzt auf dem Sprung waren, uns weltweit auszudehnen. Dann gab es ja auch noch die Möglichkeit, dass andere Gruppen versuchen würden, uns zu übernehmen.

      Wenn es nur ein paar Tage gewesen wären die er im Knast bleiben musste, hätte man das noch hinbekommen, aber es sah so aus, als wenn es Wochen oder Monate dauern konnte. Dann kam noch erschwerend hinzu, dass man ihn in eine andere Stadt verlegen wollte, in der die Befreiung fast unmöglich gewesen wäre. Es musste also schnellstmöglich ein Plan her! Da ich die Polizeiwache kannte und mit den Örtlichkeiten vertraut war, konnte ich den Plan gut von Bremen aus ausarbeiten. Das Problem war, wir mussten jetzt sehr schnell reagieren. So schnell, dass die örtliche Polizei keine Möglichkeit mehr hatte, andere Wachen in der Umgebung zu alarmieren und um Unterstützung zu bitten. Ich benötigte noch ein paar Informationen über die Anzahl der Streifenwagen und die Personalstärke in der Wache.

      Diese Informationen wurden von unseren Leuten vor Ort besorgt und ausspioniert. Es wurde Folgendes in Erfahrung gebracht: zurzeit waren drei Streifenwagen dort stationiert, mit jeweils zwei Mann besetzt. In der Wache gab es den Leiter, den Stellvertreter, den Polizisten am Funk und drei Mann in Bereitschaft, dies machte insgesamt zwölf Mann. Gut, sie hatten Pistolen, aber sie würden mit Sicherheit in den Minderjährigen, die für diese erste Angriffswelle auf das Revier vorgesehen waren, keine Gefahr erkennen, und erst recht nicht auf sie schießen. Das Revier war so aufgebaut, dass im Eingangsbereich ein Tresen stand, hinter dem Tresen standen die Schreibtische der Bereitschaft und des Funkers.

      Links ging ein Flur mit Büros für den Leiter und den Stellvertreter ab, dann der Aufenthaltsraum der Streifenwagenbesatzungen und die Zellen. Die Schlüssel der Zellen hingen vorne an einem Schlüsselbrett und