Zu nah am Abgrund. Karlheinz Seifried. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karlheinz Seifried
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847615880
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gab es eine steile Felswand.

      Ich übte so lange in der Felswand, bis ich diese schnell und sicher erklettern konnte. In den nächsten Tagen sammelte ich mir Steine, die ich in den verschiedenen Nischen der Felswand zu kleinen Häufchen stapelte und sicherte sie so, dass sie jederzeit mit einem Handgriff gelöst und in die Tiefe stürzen konnten.

      Es war ein nasser, nebeliger Tag, genau der richtige Zeit-punkt, um meinen Plan zu verwirklichen. Sie jagten mich wieder auf dem Weg zur Schule über den Waldweg, bis sie vor lauter Nebel nichts mehr sehen konnten. Ich hörte sie laut und aufgeregt hinter mir reden. Weil sie nichts mehr von mir sehen konnten, riefen sie nach mir:

      „He, wo steckst du?“, und ich antwortete ihnen:

      „He, wo seid ihr denn? Passt auf, hier gibt es Wald- und Nebelgespenster, die fressen kleine Kinder!“

      So schnell ich konnte, lief ich den Hang hinauf und fing an zu klettern, dabei machte ich sonderliche Geräusche, um denen unter mir ein wenig mehr Angst zu machen. Beim ersten Steinhaufen gab ich geräuschmäßig noch ein wenig hinzu und löste die Sicherung. Wenn ich es selbst nicht besser gewusst hätte, hätte ich es auch mit der Angst bekommen. Meine schauerlichen Geräusche, die in der Felswand widerhallten und die fallenden Steine, die sich wie springende Geister anhörten, das war schon unheimlich.

      Das war schon toll, ich war stolz auf mich. Aber zum Freuen blieb mir keine Zeit, ich musste schnell weiter, denn der nächste Steinhaufen wartete und dann noch einer. Endlich war ich oben. Unten hörte ich die Kerle ängstlich nach mir rufen, sie versuchten schnell, diesen Bereich des Weges hinter sich zu lassen, was, Gott sei Dank, im Nebel nicht ganz so schnell ging. Sie liefen gegen Bäume und einen Zaun und taten sich, oh wie schade, ganz schön weh.

      Jetzt musste ich aber schnell wieder runter zum Weg. Hier oben war der Nebel nicht ganz so dicht und ich kam gerade noch rechtzeitig unten am Weg an, ich hörte schon wie sie hinter mir angerannt kamen.

      „He, hast du das auch gehört?“, fragten sie mich. Ich tat ganz cool und sagte:

      „Wenn ihr das Gemurmel meint, das war doch wirklich nicht der Rede wert.“

      Das war der kleine Anfang der erhofften Veränderung. Langsam sah man mich mit anderen Augen, man sprach mich jetzt nur noch mit dem Vornamen an. Beim Spielen glänzte ich durch waghalsige Sprünge bergab über Stock und Stein und durch mutige Kletterpartien. So machte ich mir so langsam einen Namen als „der Verrückte“.

      Tja, das war aber auch der Anfang eines weniger rühmlichen Kapitels in meinem Leben, wie alles hatte auch diese Geschichte eine gute und eine schlechte Seite. Da wir in einer Kleinstadt lebten, in der für die Jugendlichen nichts geboten wurde, gründeten sich so nach und nach Gruppen in den einzelnen Stadtvierteln, heute würde man Banden dazu sagen.

      Wir gründeten die Gruppe „Cats” und bestanden aus Jungen und Mädchen, die nicht älter als zwölf bis sechzehn Jahre alt waren, dafür waren wir aber bekannt und gefürchtet als beweglich und schnell, wir waren wie Katzen. Außerdem hatten wir Waffen, die wir auch perfekt beherrschten. In unserem Waffenarsenal befanden sich Pfeile und Bogen, Speere und natürlich Steinschleudern. Was aber der absolute Höhepunkt war, wir hatten ein Lager, das fast uneinnehmbar war. Dieses Fleckchen Erde hatte ich während meiner Streifzüge durch die Wälder erkundet und ausgesucht und man hatte mich auch mit der Planung und Durchführung des Ausbaus betraut.

      Der große Vorteil an dieser Aufgabe war, ich musste nicht die schmutzige Arbeit des Aushebens und Buddelns tun.

      Unser Lager befand sich oberhalb einer Fabrik im Berg versteckt. Von diesem Berg ging das Gerücht um, es sollte ein Eingang zu einem unterirdischen Lager aus dem zweiten Weltkrieg geben. Den wollte ich bei Gelegenheit suchen und erforschen.

      Das Lager war nur von oben oder unten zu betreten, von unten kommend lag rechts ein Steilhang, so dass selbst ich Probleme hatte, hier heraufzuklettern. Sollte es doch jemand versuchen, so wäre er ein schönes Ziel für unsere Steine gewesen. Links lagen drei Teiche, die terrassenförmig angelegt waren. Auf dieser Seite gab es schon mal kein Durchkommen, da die Teiche sehr tief und kalt waren. Im Bereich zwischen den Teichen und dem Abhang bauten wir Höhlen und Unterstände. Diese waren so gut gebaut und getarnt, dass man sie von oben oder unten nicht sofort erkennen konnte. So waren wir rundherum gut abgesichert. Als Noteingang und Ausgang benutzten wir den mittleren Teich. Hier hatten wir, wie eine Hängematte, einen Steg unter der Wasseroberfläche und nicht erkennbar verlegt und auf beiden Seiten vertäut.

      Das war der Stand als, wie sollte es auch anders sein, die einzelnen Banden sich ausdehnen und vergrößern wollten. Wir hatten in dieser Expansionsphase zuerst kein Problem mit den anderen, aber wir beobachteten sie mit Argusaugen und verbesserten laufend die Sicherheit unseres Lagers. In den Augen der anderen Banden waren wir nicht wichtig genug und so verausgabten sie sich untereinander mit ihren Bandenkämpfen.

      Bis, ja bis eine Bande unser Gebiet benötigte, um an eine andere Bande heranzukommen. Wir lagen mitten in der Kampfzone der beiden Gruppen und damit wir rechtzeitig ihr Kommen bemerkten und unsere Leute sammeln konnten, musste immer einer im Lager sein, um zu beobachten.

      Wir erstellten einen Zeitplan, schon früh am Morgen begann die erste Schicht und erst, wenn es dunkel wurde, gingen wir nach Hause. Nicht aber, ohne uns abzusichern, wir bauten um das Lager eine Sicherung bestehend aus Signalleinen, die man automatisch durchriss, wenn man den Weg zu unserem Lager benutzte. Dadurch konnten wir feststellen, ob jemand in der Nähe unseres Lager gewesen war.

      Um einen weiten Überblick zu haben und um unsere Leute so schnell wie möglich über das Kommen der feindlichen Banden zu informieren, hatten wir auf dem Baum, der in der Mitte unseres Lagers stand, eine Beobachtungsplattform gebaut. Hier wurde noch eine Art Flaggenmast angebracht, um sofort eine Signalflagge hissen zu können, wenn der Feind kam. Unten in unserer Straße, in der wir alle lebten, konnte man das Signal dann erkennen und unsere Leute waren informiert und würden sofort ins Lager kommen.

      Die Schule wurde langsam zur Nebensache, es gab ja Wichtigeres zu erledigen. Ich saß die halbe Nacht in meinem Zimmer unterm Dach des Wohnhauses am Fenster und grübelte über alles Mögliche nach.

      Wie können wir uns verteidigen und sichern, wenn die „Großen” kommen? Aus welcher Richtung würde ich kommen? Mit wie vielen Personen würden sie angreifen? Was würde ich für Waffen dort im Berg einsetzen?

      Zu unserer Gang gehörte auch Peter, sein Vater war Boxer und er hatte sogar schon mit Max Schmeling im Ring gestanden. Das war ein Vorteil für uns, so konnte uns Peter ein paar Boxtricks zeigen und wie man schnell jemanden kampfunfähig machen konnte. Wir trainierten jeden Tag und lernten auch Nahkampftricks.

      Hätten wir so viel Elan in die Schule gesteckt, wie in unser regelmäßiges Training, wir hätten alle mit der Note zwei geglänzt. Aber es gab noch mehr zu tun, wir mussten unser Gebiet immer weiter sichern und zur Verteidigung vorbereiten.

      Unterdessen war unsere Bandenstärke auf zwanzig Personen, darunter auch sechs Mädchen, angestiegen. Die Führungsgruppe bestand aus drei Jungen und zwei Mädchen. Entscheidungen, die die Bande betraf, wurden von dieser Führungsgruppe getroffen, der ich auch angehörte. Probleme gab es damit keine, da wir uns ziemlich einig waren und unsere kostbare Zeit nicht durch Abstimmungen vertun wollten.

      Der Ausbau des Lagers sollte durch eine letzte Aktion abgeschlossen werden. Wir suchten uns dazu kräftige, aber noch biegsame Baumstämme zusammen, gruben das untere Ende in die Erde und bogen die Spitzen Richtung Berg, dort sicherten wir sie durch Pflöcke und Seile so, dass sie durch einen Slipknoten oder durch Stolperfallen ganz schnell ausgelöst werden konnten und hochschnellten. So bildeten sie einen Zaun um das Lager. Im unteren Bereich bogen wir die Stämme nach unten, dadurch hatten wir auf beiden Seiten einen Schutzzaun.

      Über diese gebogenen Stämme legten wir Blätter und Zweige als Tarnung. Sie sahen wie kleine Hügel aus, was ja nicht auffällig war. Solche Hügel gab es im Berg des Öfteren. Es gab nur einen Weg ins Lager, ohne diese Sicherungen auszulösen, den nur wir kannten und der führte ganz dicht am Abgrund vorbei.

      Das waren unsere Sicherungen von oben und unten, damit keiner ins Lager