Beispielhaft. Claus Karst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claus Karst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738073881
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des Rigoletto meine Stimme schonen. Aus besonderem Anlass, den ich allerdings nicht näher erläutern möchte, singe ich keinen Jazztitel, sondern ein Lied, das sie alle kennen.“

      Er wandte sich darauf an Hotte und besprach sich mit ihm. Nach einer kurzen Verständigung setzte der Keyboarder ein mit dem bekannten Sinatra-Song My way, eine erste Variation von Hotte tönte durch den Raum, sehr getragen, sehr melancholisch, bis Wotans Einsatz erfolgte:

      „And now, the end is near,

       And so I face the final curtain.

       My friend, I’ll say it clear,

       I’ll state my case, of which I’m certain.”

      Die Musiker übernahmen das Thema wieder, Wotan trat ein wenig zurück. Mit einem Stirnrunzeln variierte Hotte das Thema. Da war etwas in Wotans Stimme, ein merkwürdiges Timbre, das ihn aufhorchen ließ, ihn irritierte. Das war nicht der Wotan, den er kannte. Und warum gerade dieses Lied? Was wollte sein Freund damit zum Ausdruck bringen? Er machte sich seine Gedanken.

      Wotan fuhr fort:

      „I’ve lived a life that’s full.

       I’ve travelled each and ev’ry highway:

       But more, much more than this:

       I did it my way!”

      Nach dieser Strophe übernahmen die Musiker erneut, ein jeder mit einem Solo. Schließlich trat Wotan wieder vor, um eine letzte Strophe zu singen, dieses Mal auf Deutsch:

      „Und dennoch denk ich gern zurück,

       ich hatte Glück, verdammt viel Glück,

       ich kann zu vielen Freunden geh’n,

       die sich sehr freu’n, wenn sie mich seh’n

       und ohne Groll den Satz versteh’n:

      ‚I did it my way,

       und ohne Groll den Satz versteh'n:

      ‚I did it my way.

      Vor dem letzten my way holte er tief Luft, hielt den Ton, erst in normaler Tonstärke, dann immer leiser werdend, während Hotte ihn mit einigen Triolen aufmerksam begleitete. Als Hotte merkte, dass sich Wotans Luftvorrat dem Ende zuneigte, gab er ein Zeichen. Abrupt beendeten sie gemeinsam.

      Atemlose Stille herrschte im Raum. Alle Besucher hatten gespürt, dass auf der Bühne etwas Mysteriöses vor sich gegangen war. Doch plötzlich brandete ein lang anhaltender Beifall auf, erst vereinzelt, dann steigerte er sich zu einem Orkan, begleitet von zahlreichen Bravorufen. Wotan stand auf dem Podium, blickte ins Leere, verbeugte sich, umarmte Hotte und stieg von der Bühne hinunter. Er setzte sich wieder an den Tisch zu Eileen, die ihn sprachlos anstarrte. Von der Bedienung ließ er für sich und die Engländerin noch ein Bier bringen.

      „Es war unglaublich“, sagte sie, „so habe ich das Lied noch nie gehört. Ein Schauder ist mir eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand das Lied mit mehr Gefühl singen kann, selbst Sinatra nicht.“

      Wotan schaute sie verständnislos an. Er versteifte sich darauf, nur ein Lied gesungen zu haben, nicht mehr, nicht weniger. Mit einem Blick auf die Uhr fügte er hinzu: „Oh, es ist später geworden, als ich hier zu bleiben beabsichtigte. Ich bin ein wenig erschöpft. Die letzten Tage waren hart für mich, ich bin die Arbeit auf den Brettern nicht mehr gewohnt. Ich möchte jetzt aufbrechen, werde mir ein Taxi rufen.“

      „In welchem Hotel wohnen Sie?“, fragte Eileen. Nachdem sie festgestellt hatten, in demselben untergebracht zu sein, bat Eileen, mitfahren zu dürfen.

      Wotan verabschiedete sich von der Band. Das freundschaftliche Grinsen seines Freundes ignorierte er, als er mit der jungen Frau den Club verließ. Er machte sich keine Gedanken darüber, dass wieder Gerüchte aufleben könnten.

      Bald schon erschien das bestellte Taxi. Sie setzten sich auf die Rückbank, wo Eileen meinte, es sei ziemlich frisch geworden, sich ungezwungen an ihn kuschelte und munter weiterplapperte, wie schon im Club.

      Wotan nahm das Geschehen um ihn herum gar nicht richtig wahr, konnte sich auch später nicht erinnern, was Eileen alles erzählt hatte. Die junge Frau an seiner Seite erschien ihm wie eine Götterbotin, eine Gesandte der Venus, unter deren Sternzeichen Stier er geboren worden war.

      Am Hotel angekommen, bezahlte Wotan den Taxifahrer. Sie ließen sich ihre Schlüssel geben und begaben sich zum Lift. Wotan drückte die dritte Etage, während Eileen, deren Zimmer im fünften Stock lag, Wotan strahlend anblickte.

      Der Lift hielt an, beide schauten sich wortlos an, bis Eileen seinen Arm nahm. Sie hakte sich bei ihm ein und bemerkte wie völlig selbstverständlich: „Einen Schlaftrunk nehmen wir aber noch? Sie kennen doch sicherlich diese englischen Unsitten. Es darf gerne ein guter Whisky sein.“

      „Ich danke Ihnen für Ihre nette Begleitung heute Abend. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass ich all meine Kräfte für die anstehende Aufführung und ausreichend Schlaf benötige.“

      „Ich bedanke mich ebenfalls“, entgegnete Eileen mit sichtbarer Enttäuschung, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und stieg wieder in den Lift ein. Ein letztes Winken, dann schloss sich die Tür.

      Lange saß Wotan selbstversunken in einem Sessel bei einem Glas Rotwein. Schließlich legte er sich ins Bett und fiel in einen unruhigen, traumschweren Schlaf, in dem immer wieder Bilder vor seinen Augen auftauchten: Caro, mit der er das Schlussduett im Rigoletto sang, seine Frau, deren unberechtigte Eifersucht ihn bisweilen verfolgte, seine Tochter, die er über alles liebte, auch Eileen, deren jugendliche Begeisterung ihn faszinierte …

      Als Wotan am nächsten Morgen aufwachte, der neue Tag nach und nach seine Erinnerungen mit Leben erfüllte, befiel ihn ein Gefühl aufkommender Melancholie. Er stand auf, duschte und machte sich bewusst, dass ein schwerer Tag vor ihm lag: die Generalprobe. Nach einem ausgiebigen Frühstück, bei dem es ihm nicht gelang, die Zeitung zu lesen, weil er immer nur Eileen und verpasste Sekunden vor Augen hatte, machte er einen Spaziergang, um frische Luft zu atmen und seine Gedanken zu ordnen.

      Die Generalprobe verlief ohne Probleme und ohne jede Panne.

      „Das kommt mir fast unheimlich vor“, sagte Jo Holtz, klopfte auf das Holz seines Notenpultes und entließ die Akteure mit dem Wunsch, sich die Stunden bis zur Aufführung zu entspannen.

      Am nächsten Morgen zog sich Wotan nach einem späten Frühstück wie in früheren Jahren in die romanische Kirche der Stadt zum Meditieren zurück. Er setzte sich auf eine Bank und dachte nach, wie er dies hin und wieder tat, wenn etwas ihn stark beschäftigte oder wenn er über das Leben an sich nachsinnen wollte. In Gedanken spulte er jede Szene seiner Rolle ab und registrierte mit Erleichterung, dass der Text saß – es wurde auf Italienisch gesungen. Er würde die Souffleuse nicht in Anspruch nehmen müssen, was ihm eine freiere Rollengestaltung auf der Bühne ermöglichen würde. Zuversichtlich lief er ins Hotel zurück, um noch zwei Stunden zu ruhen und sich auf den Abend vorzubereiten.

      3. Akt (Rigoletto)

      Drei Stunden vor Beginn der Aufführung betrat Wotan das Opernhaus durch den Künstlereingang. Er nahm sich die Zeit, ein paar freundliche Worte mit dem Pförtner und einigen guten Geistern, die hinter der Bühne für das Gelingen zu sorgen hatten, zu wechseln. Mit Manu, der Regieassistentin, die ihn mit ihren guten Einfällen immer wieder beeindruckte und die er in sein Herz geschlossen hatte, flachste er ein wenig länger und sprach ihr seine Anerkennung für ihre Arbeit aus.

      Vor seiner Garderobe kam die gute alte Tessi Braun auf ihn zu, fragte nach seinem Befinden und wann sie mit der Maske beginnen solle.

      „Es bleibt noch Zeit. Ich will mich erst mal einsingen und vor allem Caro und Thomas Armsden begrüßen