Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilma Burk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691723
Скачать книгу
zu stellen.

      Jetzt waren die Männer wie Kinder, jeder wollte möglichst bald ein Auto haben. So mancher belastete die Haushaltskasse mit den Raten für die Kredite dazu über die Maßen. Da konnte es sein, dass so manche Frau genau genommen für ein Auto mitarbeitete.

      Irgendwann in dieser Zeit begann es, dass auch viele Frauen eine Arbeit außer Haus, die bezahlt wurde, als wichtigen Teil ihres Lebens ansahen. Sie wollten ihre Berufe nicht umsonst erlernt haben. Eine „Nurhausfrau“, die nichts verdiente, was war das schon?! So hörte man es bald. Im Gegensatz dazu wurden berufstätige Frauen mit Kindern bald Rabenmütter genannt. In zwei fast unüberwindliche Lager zerfielen die Frauen mit ihren Lebenszielen.

      Noch zögerte Konrad, wegen der Geldausgabe. „Ist ja doch eine ganz schöne Belastung“, überlegte er und schaute sehnsüchtig den vorbeifahrenden Autos nach.

      Schließlich jedoch war der Wunsch bei ihm so groß, dass ich ihn zur Aufnahme eines Kredites überreden konnte. Für mich war es eine neue Erfahrung, dass er tatsächlich einmal auf mich hörte.

      Wir gingen zu unserer Bank, bei der wir unser kleines Sparkonto hatten und stellten einen Kreditantrag. Wir waren richtig stolz, mit unserm Doppeleinkommen kreditwürdig zu sein.

      „Die paar Zinsen Mehrkosten, auf die lange Zeit verteilt, das schaffen wir leicht, Konrad.“ Ich sah das zuversichtlich.

      Auch vor unserem Haus würde nun bald ein eigenes Auto stehen.

      Konrad musste zur Bestätigung seines Führerscheins, den er vom Krieg her hatte, noch einmal eine Prüfung abgelegen, dann konnten wir unser Auto, einen VW-Käfer, vom Händler abholen. Es war nicht das neueste Modell, aber preiswert, wie Helmut meinte. Was sollte es, wenn wir erst nach dem Kauf die kleine Beule am hinteren Kotflügel entdeckten, wenn die Motorklappe am Heck manchmal klemmte, wenn man bei höherer Geschwindigkeit – 100 km/h Höchstgeschwindigkeit, bergauf 80 km/h mit Rückenwind, bei 25 PS - innen erst gegen den Pfosten schlagen musste, damit der Winker heraussprang, den das Auto noch hatte. Es war unser erstes Auto. Und wir waren unsagbar glücklich damit.

      Noch vor fast einem Jahr zu Traudels Hochzeit habe ich das nicht geglaubt, als uns Onkel Oskar prophezeite: „Sie werden auch bald ein Auto haben. Bald geht keiner mehr zu Fuß.“ Nun stand es also vor unserer Tür. Ich lief immer wieder ans Fenster, ich musste es sehen, ich war sicher ebenso stolz darauf wie Konrad.

      Von nun an gehörte auch Konrad zu denen, die häufig am Kanal in der Nähe mit ihren Autos zu finden waren, Wasser aus dem Kanal schöpften und mit Ausdauer und Liebe ihre Kostbarkeiten auf vier Rädern schrubbten und putzten, bis sie nur so blitzten. Da wurde aber auch der geringste Kratzer nicht übersehen und möglichst gleich beseitigt. Das war schon seltsam, Männer, die es unter ihrer Würde fanden, zu Hause auch nur einen Waschlappen in die Hand zu nehmen, zogen mit Eimer, Bürste und Lappen los zum Putzen des Objekts ihrer Eitelkeit, außen und innen, aber gründlich! Noch hatte ja nicht jeder ein Auto oder sogar zwei oder drei wie heute. Da gab es noch jede Menge Parkplätze, keinen Kampf darum und keine Markstücke fressenden Parkuhren. Ein Auto zu besitzen, das war eben noch etwas!

      Glücklich fuhren wir damit durch die Gegend. Ich kam in Ecken von Berlin, die ich nie gesehen hatte. Berlin wurde klein für uns, von Grenze zu Grenze. Noch hätten wir auch nach einer Kontrolle durch DDR-Volkspolizisten nach Ost-Berlin fahren können, aber dort zog uns nichts hin.

      Auch mit dem Auto verreisen konnten wir jetzt. Wir packten in den ersten warmen Maitagen des Jahres unseren VW-Käfer voll und tauften ihn „Hannibal“, da er uns in die Berge bringen sollte.

      „Was nimmst du nur alles mit“, moserte Konrad.

      „Wieso? Du musst nichts mehr tragen, da spielt es doch jetzt keine Rolle mehr, wie viel ich einpacke“, erwiderte ich und schob noch ein zusätzliches Ersatzpaar Schuhe unter den Beifahrersitz.

      War das schön, im eigenen Auto aus der Stadt hinauszufahren. An den Grenzkontrollstellen ging auch alles bereits geregelter zu, doch noch immer mit langen Wartezeiten, mit möglichen Schikanen und beklemmendem Gefühl. Die Kassen für die SED-Machthaber in Ost-Berlin klingelten zunehmend durch die Einnahmen der Straßenbenutzungsgebühren pro Auto in westlicher D-Mark. Es bewahrheitete sich wirklich - wie es Onkel Oskar vorhergesagt hatte – auf den Straßen fuhren mehr und mehr Autos. Was mochten wohl die Einwohner der DDR links und rechts der Autobahn empfunden haben, wenn sie die anwachsende Autolawine gen Westen vorbeirollen sahen?

      Wenn irgend möglich, hielt Konrad auf der Transitstrecke durch die Zone (wie wir noch immer zum Gebiet der DDR sagten) auf keinem Parkplatz an. Wir atmeten erst auf, wenn wir den letzten Posten der DDR hinter uns hatten und uns die grünen Zöllner der Bundesrepublik begrüßten.

      Unsere erste Reise mit dem Auto ging zu Onkel Anton, Papas Bruder, in die Alpen nach Immenstadt. Bei ihm hatten wir schon einmal einen Urlaub verbracht. Auch er hatte vor ein paar Jahren Berlin verlassen und sich aus dem Staub gemacht, weil er der Standhaftigkeit der Stadt dem Osten gegenüber misstraute. Jetzt war er Koch in einem erstklassigen Hotelrestaurant und hatte hier zugleich eine liebevolle Lebenspartnerin gefunden.

      Mit großem Hallo begrüßte er uns. „Was denn“, rief er, als wir mit dem Auto vorfuhren, „ist das Wirtschaftswunder jetzt bis nach Berlin vorgedrungen?“ Und er lachte dabei. Dann wies er auf ein Auto, das vor seinem Haus stand. „Das ist meins“, sagte er voller stolz.

      „Donnerwetter!“, bewunderte Konrad ihn gebührend. „Der ist natürlich ein bisschen größer als unser.“

      Da lachte Onkel Anton, zwinkerte mit einem Auge, wies auf seinen vor Lachen zitternden umfangreichen Leib und sagte: „Bei euerm Auto brauchte ich wohl einen Schuhanzieher, um hineinzukommen.“ Mir schien, er musste wirklich noch zugenommen haben in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten. Dafür war sein Kranz dunkler Haare schmaler geworden.

      Vroni, seine Lebensgefährtin, liebte ihn so wie er war. Wir fühlten uns wieder wohl bei den beiden, liebevoll umsorgt von Vroni in ihrem Haus. Wir genossen es, jetzt nicht nur in der Nähe des Ortes herumwandern zu können, sondern auch weiter in die Berge hinein zu fahren. Manchmal klammerte ich mich ängstlich an meinen Haltegriff, wenn es steil bergan ging. Dann lachte Konrad mich aus. „Angsthase!“, schalt er mich. Doch bald hatte ich mich auch daran gewöhnt und vertraute seiner Fahrkunst.

      Zuerst wussten wir nicht, warum uns mitunter ein entgegenkommender Autofahrer anhupte, bald aber erkannten wir, dass es West-Berliner waren, die sich auch auf Reisen befanden. Das war bereits zur Gewohnheit geworden. So weit ab von Berlin, fühlte man sich miteinander verbunden. Bald hupten und winkten auch wir eifrig mit. Selbst in einem Lokal wurden Wildfremde so begrüßt, als wäre Berlin ein Dorf und sie die besten Bekannten, nur weil sie zufällig auch aus West-Berlin waren.

      Wir passten uns den Geflogenheiten an, kauften Kniehosen und Stiefel, wie wir es bei den andern Touristen sahen, die durch die Berge wanderten. Vor den Gattern auf den Almwiesen blieben wir nicht mehr hilflos stehen wie bei unserer ersten Reise. Auch an den Kühen dahinter gingen wir jetzt fast furchtlos vorüber.

      Als wir nach vierzehn Tagen bei Onkel Anton wieder abfuhren, waren wir zu erprobten Alpenfahrern geworden. Drei Filme hatten wir verknipst, damit man uns auch glauben sollte, wo wir überall gewesen waren: an Wasserfällen, vor steilen Felswänden, auf serpentinenreichen Pässen. Sogar mit einer Kuh habe ich mich ohne Furcht fotografieren lassen.

      Eigentlich wollten wir noch einen Abstecher zu Traudel nach Hannover machen. Doch der Umweg war uns zu weit und Urlaubstage hätte es auch gekostet. „Einmal, zu verlängerten Feiertagen kommen wir bestimmt“, hatte ich Traudel vertröstet auf einer Ansichtskarte aus den Bergen.

      Traudel stand kurz vor ihrer Niederkunft. Mama war bereits ganz außer sich, dass sie nicht bei ihr sein konnte. Doch Papa meinte, das würde sie sicher allein schaffen, sie solle lieber hinterher hinfahren, wenn sich Traudel daran gewöhnen musste, ein Kind zu haben.

      *

      Und dann kam endlich die heiß ersehnte Nachricht, Traudel hatte ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Sie hatte es nicht leicht dabei gehabt.

      „Das mache ich nicht