Feindliche Sektoren. Hartmut Höhne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Höhne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668206
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jaaaa, man fragt ja nur mal ...“, entgegnete Frau Zippel mit eingeschnappter Klingelstimme. Dann verstaute sie das Gebäck endlich in eine Papiertüte und verlangte achtundfünfzig Cent. Die bekam sie. Eine Greisin blaffte:

      „So ein Rüpel.“

      Arno griff sich die Tüte und hastete aus dem Laden.

      „Ja, nee, so ein Rüpel aber auch“, hörte er sie noch keifen.

      Die Hitze machte Arno arg zu schaffen. Schon am frühen Vormittag ging es los mit der unappetitlichen Schwitzerei, kaum, dass er aus der Duschkabine trat. Das würde sich dann bis tief in die Nacht fortsetzen, es wollte einfach nicht richtig abkühlen.

      Für seine Malerei war das helle, sonnige Tageslicht zwar gut, aber das war auch der einzige Vorteil. Im Moment wünschte er sich in ein Eisbärland, mit Eisschollen und Packeis und mit klirrender Kälte. Überhaupt fand Arno, dass er als Hamburger ein natürliches, quasi angeborenes Recht auf schlechtes Wetter hatte. Früher war es besser gewesen, da konnte man sich auf normales Schietwetter verlassen, eine natürliche Konstante im Leben. Jetzt war es doch so, dass jedes Jahr neue Hitzerekorde gemessen wurden, man konnte sich ja kaum noch dagegen schützen. Bald wird die Stadt versanden, sich in eine Wüste verwandeln, argwöhnte er. Aus Sankt Pauli würde Sand Pauli werden und es sähe dann aus wie in Mexiko, na, man dankt.

      Die Fenster der Remise gingen nach Westen raus. Eigentlich noch zu früh zum arbeiten, da es doch gerade erst kurz nach zwölf war. Erst etwas später würde das Sonnenlicht das Atelier optimal ausleuchten, was den Schwarz-Weiß-Kontrast seines Gemäldes dann auch so richtig zur Geltung bringen würde.

      Ach, was soll´s, überlegte Arno, was soll ich mich nach der Sonne richten, ich fange jetzt an.

      Auf der hölzernen Staffelei stand sein unvollendetes Werk, 80 mal 60 Zentimeter geballte Kunst. Zweigeteilt, linke Seite Dreiecke, nur Dreiecke, nur die Außenlinien, der Innenbereich weiß, ineinander verschränkt. Rechte Seite komplett leer, alles weiß, Titanweiß, weißer gings nicht.

      Arno baute sich vor der Staffelei auf, wiegte den Kopf hin und her, dachte nach, führte den rechten Zeigefinger zum Mund, ging ein paar Schritte nach links, ging in die Hocke, betrachtete sich das Ganze aus der Froschperspektive, erhob sich, machte ein paar Schritte nach rechts, krauste die Stirn, stemmte die Hände in die Seiten, verzog den Mund, machte einen Schritt nach vorne, dann zurück, kratzte auf seinem Kopf herum und generierte schließlich einen Laut, der sich anhörte wie hmmm, hmmm. War es das? Ja, eigentlich schon.

      Die vielen Dreiecke beruhigten ihn. Es waren klare, geometrische Figuren mit drei Ecken. So was konnte nicht schlecht sein, drückten sie doch eine morphologische Klarheit, ach was, Klarheit, Reinheit aus, die jeder Kritik mühelos standhalten würde. Für seinen Stil hatte er den Begriff Triangulismus entwickelt. Das Dreieck stand für ihn als Symbol des Absoluten, des Göttlichen, der Trinität von

      Vollkommenheit, Makellosigkeit, Unfehlbarkeit,

      oder auch für

      Einfachheit, Sachlichkeit, Klarheit.

      Widersprüchlichkeit, Indifferenz, Zweifel und all so was hatten in der Kunst nichts zu suchen.

      Zweifel = Nichtfischundnichtfleisch = gar nix.

      Da legte sich jäh ein fetter Schatten über die Leinwand, dann hörte Arno auch schon ein nervöses Trommeln auf der Fensterscheibe.

      Pinzke. Wer sonst? Nur Pinzke hatte diese idiotische Angewohnheit, erst durchs Fenster zu glotzen, um dann darauf herumzuklöppeln. `Wozu hab ich eigentlich eine Klingel, verdammt´, fluchte Arno in sich hinein.

      Der Vermieter zeigte sein debilstes Grinsen und gestikulierte dabei herum wie ein Rumpelstilzchen. Es nützte nichts, Arno musste die Tür öffnen, sich in seiner Konzentration stören lassen, seine kreative Tagesphase von Pinzke, dem Kampfschwätzer, entwerten lassen. War es denn zu fassen? Die Kopfhaut machte sich jetzt stärker bemerkbar, kribbelte wie verrückt. Er setzte sämtliche Finger und Daumen ein um Abhilfe zu schaffen, aber er ahnte, dass es nicht viel bringen würde.

      Mit einem kräftigen Zug riss er die Haustür auf, sodass ihm ein Luftschwall entgegen strömte. Der Alte trat einen Schritt zurück, zog dabei den Kopf ein, als befürchtete er Schläge.

      „Und? Was gibts?“, kam Arno gleich zur Sache.

      „Moin, Herr Unfried. Freundlich wie immer, ich seh schon.“

      Arno deutete mit spitzem Zeigefinger auf den schwarzen Knopf neben dem Türrahmen.

      „Wissen Sie, was das ist, Herr Pinzke? Man nennt es Klingel. Man drückt kurz drauf und es macht rrring. Sehen Sie, so.“

      Er machte es vor und es schrillte penetrant.

      „Hört sich ja grässlich an, sachichmal“, urteilte sein Gegenüber trocken, „kann ich kurz reinkommen?“

      „Nein.“

      „Na denn. Also. Ich hab mir gedacht, dass im Haupthaus drüben mal der Eingangsbereich n´büschen Farbe vertragen könnte, näch. Der letzte Anstrich ist zwar erst zwanzig Jahre her, aber ichsachma, tust du den Leuten ma was Gutes an, näch, freun sich alle. Na ja, vielleicht nich alle ...“ Dabei sah er Arno mit abwägendem Blick in die Augen, bevor er fortfuhr:

      „Tja. Denk ich mir, da ist doch unser Herr Unfried, der kleckst doch gern mit Farbe rum, hä, hä. Oh, oooh, immer cremig bleiben, Herr Unfried, nix für ungut, näch, kleiner Scherz. Spaß muss sein, sachichimmer. Ja nu, denk ich mir, wo der Herr Unfried ja auch so ne Art Hausmeister ist und so fix mit dem Pinsel zugange, näch, holst du´n Eimer Farbe und gut. Mal was frisches, sachichma, näch, was Jugendliches, nimmst du pink, oder wie das heut auf neumodisch heißt. Sagen Sie ma, Sie ham doch wohl keine Läuse oder was?“

      Arno stierte Pinzke frontal ins Gesicht, fassungslos, hilflos, vielleicht auch etwas irre. Der erwiderte den Blick mit aufmerksamer, wacher Miene. Dabei ließ er sein bräunlich gefärbtes, nikotingegerbtes Gebiss ein wenig aus dem Mund gleiten, bevor er es mit einem schmatzenden, schnalzenden Geräusch wieder in seine angestammte Position navigierte. Die Gebissfarbe wies in etwa die gleiche Färbung auf wie die Bröckelputzfassade des Haupthauses. Da wächst zusammen, was zusammengehört, kam es Arno in den Sinn. Mann und Haus in perfekter Symbiose.

      Im ersten Stock hüpfte ein geschlechtsloses Papierwindelwesen auf dem Balkon herum, weit und breit keiner, der es daran hinderte. Jetzt hängte es sich auch noch an das Geländer, aber die Kraft reichte erfreulicherweise nicht mal für einen halben Klimmzug. Zornig stampfte das Wesen mit dem Fuß auf, bevor es hölzerne Wäscheklammern auf den Hof schmiss. Pinzke wich geschickt aus.

      „He, da oben, ich komm gleich ma hoch, näch“, drohte er, „lütte Kackmaschien.“

      Es wirkte. Das Wesen stellte das Bombardement unverzüglich ein. Nicht schlecht, anerkannte Arno insgeheim, diplomatisches Meisterstück. Muss ich mir merken.

      Jetzt wandte sich der Alte ihm wieder zu.

      „Im Kriech hatten wir an der Front alle Läuse. Sackläuse. Da musst du den ganzen Körper kahl rasieren, näch, und dann hilft nur eins: Mit brühwarmer Pisse einreiben! Das hilft, kannst mir glauben. Ja, da guckst du mich mit großen Augen an, min Jung, aber isso.“

      Dabei hatte Arno ihn keineswegs angeguckt, im Gegenteil. Er hielt die Augen geschlossen, während sich die Mundwinkel vor Ekel steil nach unten bogen.

      „Hören Sie mal zu, Herr Pinzke“, knarzte er. „Punkt eins: Ich hab keine Läuse! Punkt zwei: Seit wann duzen wir uns? Punkt drei: Ich bin Kunstmaler, Künstler, verstehen Sie, kein Anstreicher. Punkt vier: Pink ist eine Schweinefarbe! Punkt fünf: Sie bringen mich noch unter den Rasen mit ihrem Geschwalle!“

      Pinzke hatte seine Arme vor der Brust verschränkt, wahrscheinlich war er etwas mucksch. Auch sah es so aus, als ließe er sein Gebiss wie eine Schiffsschraube in seinem Mund rotieren. Der wird auch immer abartiger, zuckte es Arno durch den Schädel, was mag wohl in ihm vorgehen?

      Der Alte