Feindliche Sektoren. Hartmut Höhne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Höhne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668206
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der auch noch die Faust. Bloß weiter.

      Zur S-Bahn-Station war es nicht weit, nur ein paar Minuten. Jetzt zahlte es sich aus, dass er regelmäßig eine Monatsfahrkarte kaufte, wenn auch nur für zwei Tarifzonen.

      Im Grunde spielte sich sein Leben ohnehin nur innerhalb zweier Tarifzonen ab. Wann war er zuletzt jenseits der Tarifgrenzen gewesen? Es musste schon sehr lang her gewesen sein, so auf Anhieb kam ihm da gar keine Idee. Alles, was er zum Leben brauchte, fand er hier, und alles, was er hier nicht fand, das brauchte er auch nicht. Die Übersichtlichkeit seines Umfelds machte den Alltag geringfügig überlebenswerter für ihn. Sogar ein so urbaner Stadtteil konnte zu einem Dorf schrumpfen, wenn man ihn nie verließ.

      Vor einem Grillimbiss lehnte eine schwarze Schiefertafel, auf der ein interessantes Gericht angeboten wurde:

       Puttenspieß mit Reis und Salad, 5,80.

      Na toll, feixte Arno, grillen sie jetzt schon Engel? Gut, dass Imbisswirte keine Rechtschreibprüfungen ablegen müssen, sonst würden ihnen die Putten und die gefühlten Oberschienen glatt zum Verhängnis werden.

      Neben der Schiefertafel stand eine durchsichtige Plastikschüssel mit Wasser. Auf die Schüssel hatte jemand, sicher der Wirt, mit krakeligen Schriftzeichen das Wort HUND geschrieben. Arnos Interesse war geweckt. HUND! Erstaunlich.

      Vielleicht dachte der Schüsselbesitzer, dass Hunde lesen können. Oder war der Hinweis für Menschen gedacht, damit sie sich in der Augusthitze nicht vor die Schüssel warfen, und den geplagten Vierbeinern ihr Wasser wegschlabberten? Oder damit Herr- und Frauchen wussten, dass ihre Lieblinge nichts Rechtswidriges taten, gar Zechprellerei begingen, wenn sie sich, zulasten der Wasserrechnung des Wirtes, erfrischten. Oder wollte der Herr der Schüssel sein gutherziges Wesen dokumentieren? Seht, ich bin gut zu Tieren, bitte habt mich lieb.

      Fragen über Fragen.

      Vielleicht wollte jemand auch einfach nur das Wort HUND schreiben, könnte ja sein. Ich schreibe auch gerne HUND, überlegte Arno, noch lieber schreibe ich PINGUIN. Was passierte eigentlich, stünde auf der Schüssel PINGUIN statt HUND? Würden Hunde das respektieren? Im Grunde war das auch egal. Die machten sowieso, was sie wollten, genau wie ihre fehlgeleiteten Halter.

      Angewidert dachte er ein paar Tage zurück, als er einen riesigen schwarzen Hund beim Kacken beobachtete. Nachdem er fertig war, kam Frauchen mit einer kreischbunten Plastiktüte an, um den Fladen einzusammeln. Sie erledigte das mit einer bemerkenswerten, routinierten Nonchalance, so als hätte sie nie etwas anderes getan. Schließlich verknotete sie die Tüte und – warf sie auf den Grünstreifen zurück!

      Das ist doch ... Arno streifte die Grenze zur Sprachlosigkeit ... allerhand. Immerhin war es doch so, dass Kacke Kacke blieb, und war sie auch noch so nett verpackt! Ein weites Feld philosophischer Reflexion über Schein und Sein drängte sich auf, aber Arno hatte es vorgezogen, sich noch eine Weile zu ärgern. Leider waren ihm spontan die passenden Worte nicht eingefallen, sodass er es mit einem extrafinsteren Blick bewenden ließ. Auch misstraute er dem schwarzen Hund, obwohl er mit Hunden eigentlich ganz gut zurechtkam. Keinesfalls wollte er riskieren, dass das Zottelmonster seine Reißzähne in ihn schlug.

      Richtig sicher fühlte er sich nur in seiner Hinterhofremise, in der er nun schon seit sieben, acht Jahren lebte und arbeitete. Davor hatte er im Haupthaus eine Wohnung gehabt, zur Straße hin, auch nicht schlecht. Als Arno dann eines Tages erfuhr, dass die Druckerei im Hinterhof pleite war und den Betrieb einstellen musste, wandte er sich gleich an den Vermieter, um den flachen Backsteinbau als Wohnatelier zu übernehmen. Die Miete fiel nur unwesentlich höher aus, dafür musste er ab und zu Hausmeistertätigkeiten im Haupthaus übernehmen. Nur Kleinkram, Glühbirnen im Treppenhaus austauschen und einfache Reparaturen durchführen.

      Pinzke, der Vermieter, konnte ihn zwar genau so wenig leiden wie er ihn, aber nach jahrzehntelanger Bekanntschaft war man aneinander gewöhnt. Der Alte mochte sich wohl gedacht haben, dass er mit ihm kein Risiko eingehen würde, also machten sie einen Vertrag. In der Tat achtete Arno darauf, seinen vertraglichen Verpflichtungen als Mieter anstandslos nachzukommen, da wollte er sich keine Schlampereien nachsagen lassen.

      Den Nachbarn ging er aber möglichst aus dem Weg. Dazu stand auch nichts im Vertrag. Es reichte ihm schon, wenn er manchmal angesprochen wurde, wenn etwas mit der veralteten Treppenhausbeleuchtung nicht stimmte. Als eine Art Hausmeister wurde man oft angesprochen, weil dauernd irgendwas nicht so war, wie es sein sollte. Manchmal klingelten sie sogar bei ihm, was er als besonders unangenehm empfand. Dann musste er seine Kopfhaut beruhigen, indem er sie kratzte. Die Leute guckten verstört, manche traten vorsichtshalber ein, zwei Schritte zurück. Vielleicht dachten sie, er hätte Läuse, aber das war ihm egal.

      Die alte Remise im Hinterhof war wie für ihn gemacht. Ein paar bauliche Veränderungen verwandelten die hundert Quadratmeter große Werkstatt in einen Wohnbereich mit Küche, Duschkabine und einem Zimmer, und in einen Arbeitsbereich, mit dem großzügig bemessenen Atelier. Er hatte einiges an Arbeit investiert und das Ergebnis konnte sich sehen lassen, trotz aller Einfachheit.

      Als Arno eines Freitags mit allem fertig war, geschah es, dass er sich einen Moment lang glücklich fühlte. Er rannte in die Küche, um sich im Spiegel zu betrachten, aber sein Gesicht sah aus wie immer, woraus er schlussfolgerte, dass es mit dem Glück schon wieder vorbei war. Es ging, wie es kam, und es hinterließ keine Spuren. Es nützte nichts, aber immerhin schadete es auch nicht, und das war ja schon viel.

      Na ja. Vielleicht hatte er sich auch nur eingebildet, glücklich zu sein, wer weiß? Also, beschwören würde er es nicht, aber ganz und gar ausschließen konnte man es ja auch nicht. Man sagte ja auch, sich glücklich fühlen, das hieß doch, dass man es nicht wissen konnte, eben nur fühlen, sonst würde man doch sagen, sich glücklich wissen. Keiner sagt: Ich weiß mich glücklich! Es war wie mit dem Glauben, den konnte man auch nicht wissen. Fühlen = glauben = gar nix.

      Wie auch immer, auf jeden Fall war ihm die alte Remise angenehm, und das wusste er.

      S-Bahn Bahrenfeld.

      Die eine Station bis Bahnhof Altona hätte ich auch zu Fuß gehen können, haderte er, aber wozu habe ich denn die Monatskarte, wenn ich sie nicht nutze?

      Auf dem Bahnsteig dann ein vielbeiniges Geschiebe und Gewusel. Das nahe gelegene Versicherungshochhaus hatte einige Hundert wohlriechende Versicherungsfachangestellte in den Feierabend entlassen. Auch das noch.

      Hier war kaum einer älter als vierzig, eine Beobachtung, die Arno schon öfter gemacht hatte. Wie kam das? Bevorzugten die Älteren das Auto? Unwahrscheinlich, da doch die S-Bahn praktischerweise quasi vor der Haustür hielt. Wahrscheinlich waren einfach keine älteren Beschäftigten mehr beim Versicherungskonzern angestellt. Möglicherweise hatte der Moloch die alten Säcke einfach ausgeschieden, Platz für Frischfleisch geschaffen. Vielleicht waren die ohne Aussicht auf Wiederbeschäftigung ausgewilderten Alten inzwischen wieder bei einer Versicherung gelandet, bei der Arbeitslosenversicherung.

      Die Jüngeren waren überwiegend mit Rucksack unterwegs, als wären sie gerade von einer Wanderung zurückgekehrt. Der Anblick von Rucksäcken hatte für Arno immer etwas tümelndes. Er vermittelte etwas Unstetes, Rastloses. Man wusste nicht genau, kamen die Leute oder gingen sie, waren sie auf dem Weg zum Watzmann, oder kamen sie gerade frisch aus Timbuktu in das Heimatland, wo ihre Wiege stand, zurückgeeilt?

      Sie trugen das Outdoor-Möbel entweder auf dem Rücken, war ja auch gesünder, oder sie hängten es lässig über die Schulter. In beiden Fällen war der Platzverbrauch in der Bahn enorm. Bei jeder Körperdrehung bekam Arno einen Rucksack in die Seite gerammt. Auf die nachfolgenden Entschuldigun-gen hätte er gut verzichten können. Den Rückweg würde er per pedes erledigen.

      Vier Minuten bis Bahnhof Altona, aussteigen und nochmal vier Minuten Fußweg bis zu Jacek.

      Spießrutenlauf ab Bahnhofsvorplatz. Schnorrende Altpunks akquirierten Gelder für ihre private Wohlfahrt.

      „He, Meister, hast du n ´bisschen Kleingeld über, der Sekt ist alle.“

      Den Spruch kannte Arno schon, Pech für Punk.

      Aus