"Aber es ist ganz naß da drin!", protestierte Teri.
"Haben Sie gemerkt, wie sauber alles ist?" Der Kapitän schaute sich um. "Hab ich extra für Sie schrubben lassen. - Wissen Sie, man weiß heute ja nie ..."
Tana stieß einen grollenden Laut aus und nahm Teri bei der Schulter. "Komm, wir sehen mal nach dem restlichen Gepäck."
So kam Gerit doch noch zu etwas Hilfe bei seinem Transport, was er äußerst dankbar zur Kenntnis nahm.
Tana bückte sich und griff nach einer der Kisten.
"Warte, ich hel...", begann Gerit. Aber da hatte sie den schweren Kasten auch schon hochgewirbelt, als sei er mit Federn gefüllt. Tana mußte wirklich sehr böse sein, stellte Teri fest.
"Wie konntest du nur?", bekam Gerit zu hören. "Wie konntest du nur unsere Passage bei diesem Trottel buchen? Du hast ihn doch gesehen! Du hast doch mit ihm gesprochen! Was hast du dir dabei gedacht?"
"Wieso?"
"Er redet!" Tana begann, unter ihrer Last zu wanken. "Er redet in einer Tour! Er redet und sagt gar nichts! Er hat uns nicht in Ruhe gelassen! Die Kabine steht unter Wasser! Er ist ein so fürchterlicher Dummkopf!"
"Ich fand ihn ganz in Ordnung", meinte Gerit. "Klar, er redet ein bisschen viel, aber er ist billig. - Außerdem ist er bereit, in Tigan unser Spiel mitzumachen. - Soll ich dir nicht lieber doch helfen?"
"Ich schaffe das schon!" Trotzig machte Tana einen Schritt, stolperte und knickte um. Ihr Wehlaut ging im Bersten der Kiste unter, die auf dem Hafenpflaster zerschellte.
Teri drehte sich weg und ging zur Kaimauer. Dort setzte sie sich still hin und schämte sich ein wenig. Sie ließ die Beine baumeln und schämte sich für diesen albernen Kapitän - und erst recht für diese beiden Erwachsenen, die hinter ihr auf dem Hafenpflaster herumkrabbelten, ihre Habseligkeiten zusammenkramten und sich dabei ankläfften wie zwei Straßenköter.
Später wurde es dann aber doch noch recht nett an Bord. Der Kapitän hatte sich nach mehreren erfolglosen Versuchen, ein Gespräch mit seinen Passagieren anzuknüpfen, ganz auf Gerit konzentriert, der lässig an der Brüstung des Achterdecks lehnte und willig zuhörte.
Nach und nach bekam Gerit heraus, was dem Mann solche Sorgen bereitete: Von seinen Kapitänskollegen hatte der Löwenbootmann gehört, dass in letzter Zeit auffällig viele Diener des Harmuged nach Isco gereist waren, und auch er selbst hatte neunzehn von ihnen an Bord gehabt. Mittlerweile mußte die Stadt förmlich von Pilgern wimmeln.
Nun war Isco aber schon von altersher das Zentrum des Ofisa-Kults; und die Ofisa-Anhänger waren die eingeschworenen Feinde der Harmuged-Jünger. Allgemein wurde befürchtet, dass die Harmuged-Leute es auf das Ofisa-Heiligtum, den Tempel der sprechenden Höhlen, abgesehen hatten.
In seiner weitschweifigen Art hatte der Kapitän Gerit erklärt, dass ein Aufeinanderprallen der beiden Religionen kaum noch zu verhindern war. Auf der einen Seite standen Ofisas Anhänger, die in Isco sozusagen Hausrecht hatten. Sie kontrollierten weite Teile des öffentlichen Lebens und setzten die für alle verbindlichen Maßstäbe in Sachen Moral und Ethik. Dass der Orden dabei immer reicher wurde, war angeblich nur ein angenehmer Nebeneffekt.
Auf der anderen Seite stand der Wanderorden Harmugeds. Sein Gefolge war über den ganzen Kontinent verbreitet. Wie viele Anhänger diese Gemeinschaft zählte, ließ sich nur ahnen. Ebenso konnte niemand auch nur annähernd schätzen, welches Aufgebot an Pilgern sich mittlerweile zwischen den Hügeln Iscos aufhielt.
Mit anderen Worten: Der Löwenbootmann hatte kaum übertrieben; die Situation war brisant. Ganz davon abgesehen, dass er von Natur aus recht redselig und nervös zu sein schien, machte der Kapitän sich wirklich Sorgen um die Sicherheit seiner Passagiere. Hätte er nicht noch auf den Rest seiner Fracht warten müssen, wäre die `Sesiol' schon lange auf hoher See gewesen.
Tana und Teri hatten mittlerweile den Verschlag am Bug wohnlich hergerichtet. Sogar einen Vorhang aus einem alten Stück Segeltuch gab es, der als Sicht- und Wetterschutz zugleich diente.
Nachdem Teri eine Weile zugehört hatte, wie die wütende Tana in der Kabine herumrumorte und dabei zornig Halbsätze wie "...nicht einmal 'ne Plane", oder "...können alle reingucken", vor sich hingezischt hatte, war sie einfach losgegangen und hatte vom Kapitän einen Vorhang gefordert. Und siehe da: Es gab nicht nur ein genau passendes Stück Segeltuch in einer Kiste vor dem Mast, sondern das Dach des Verschlags war obendrein noch mit einer sinnreichen Klemmvorrichtung versehen, in welcher das obere Ende des Vorhangs befestigt werden konnte.
Von da an war es um Tanas Laune wieder besser bestellt. Am Abend saß die ganze Familie unter dem festen Dach hinter der Plane, und alle fühlten sich so wohl dabei, dass sie im Sitzen einschliefen.
Am nächsten Vormittag wurde es unruhig in der Stadt. Ein Händler, der auf dem Kai zu tun hatte, berichtete, dass die Harmuged-Leute begannen, sich vor dem Ofisa-Heiligtum zu sammeln. Sofort schickte der Kapitän einen seiner Leute an Land, der nach der Restfracht fragen sollte. Er hatte Order, dem Auftraggeber mitzuteilen, die `Sesiol' liefe auf jeden Fall mit der Abendflut aus, ob er nun geliefert habe oder nicht.
Gegen Mittag hörte Teri einen vielstimmigen Schrei von jenseits der Hafenmauern. Immer wieder erbebte die Luft über Isco unter den Rufen einer gewaltigen Menschenmenge.
Wachmannschaften sammelten sich am Hafen und stiegen dann zögernd die Stufen zur Stadt empor. Fliegende Händler räumten eilig ihre Stände ab und verschwanden in den winkligen Gassen. Hafenbewohner verbarrikadierten ihre Hauseingänge und Fenster mit Brettern und Balken.
Teri saß auf dem Dach der Kabine und sah zu, wie sich der Hafenplatz leerte. Ab und zu hastete noch eine Gestalt über das Pflaster. Es schien Teri, als seien die Leute auf der Flucht.
Ganz leise war es im Hafen geworden. Kein Lüftchen regte sich. Wie ausgestorben lag der Hafenvorplatz in der Mittagssonne. Nur das tausendstimmige Summen in der Luft drang über die Häuser hinweg. Manchmal verstummte es fast; dann hörte es sich wieder an wie ein Schwarm weit entfernter Insekten, bis sich die Leidenschaft der Masse wieder in einem tosenden Aufschrei entlud.
Gespenstisch war es, das alles zu hören, aber nichts davon zu sehen. Jetzt bewegte sich im Hafenviertel absolut nichts mehr. Nur die Besatzungen der Schiffe standen auf den Decks und schauten besorgt auf den Kai hinaus. Mancher Kapitän wäre jetzt wohl gern ausgelaufen, aber daran war nicht zu denken. - Es war jetzt erst kurz nach der Tagteilung und die auflaufende Flut würde erst gegen Abend ihren Höchststand erreichen. Bis dahin saßen alle größeren Schiffe mit ihrem Kiel im Schlick des Hafengrundes fest.
Plötzlich tönte ein dumpfes Grollen aus einer der tiefer gelegenen Gassen. In vollem Lauf kamen drei Männer mit einem großen Karren aus der Stadt, orientierten sich kurz und lenkten das Gefährt dann zu der `Sesiol'.
Sofort begannen zwei von ihnen, mehrere kleine Kisten über die Laufplanke auf das Löwenboot zu schleppen, während der dritte dem Kapitän einen Lederbeutel in die Hand drückte. "Achthundert", sagte er hastig. "Wie besprochen. - Lauft so schnell aus, wie ihr könnt!"
Der Kapitän grunzte nur unwillig. Offenbar hatte es ihm die Sprache verschlagen.
"Die Harmuged belagern den Tempel der sprechenden Höhlen", berichtete der Fremde. "Sie fordern die Ofisa zum Kampf. - Der Tempel ist verschlossen. Die Ofisa haben sich dort versammelt. Sie wollen kämpfen bis zum Tod. Wenn sie die Tempeltore öffnen, dann wird Isco brennen! - Ich muß zurück in die Stadt. Ich muß meine Ware retten!"
Mit diesen Worten drehte der Mann sich um und hastete über die Planke davon. Seine Gehilfen hatten die Kisten achtlos auf das Deck gestellt, wo sie gerade Platz fanden und waren mit dem Karren schon eilig zwischen den Häusern der Stadt verschwunden.
Wieder begann das Warten auf die Flut. Ein leises Gluckern zwischen Bordwand und Kaimauer verriet, dass das Wasser in Bewegung war. Aber es würde noch Zeit vergehen, bis die `Sesiol' wieder frei auf dem Wasser des Hafens von Isco schwamm.