STURM ÜBER THEDRA. Michael Stuhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Stuhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847641407
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diesem Heldenlied wird erstmals der Name von Aganez erwähnt, einem Magischen Mediziner, der sich den Regeln seiner Zunft widersetzt hatte. Um einem bedrängten Volk zu helfen hatte er sein Wissen dazu benutzt, Waffen zu machen, und dafür war er hier an das Ende der Welt verbannt worden. - So kam es, dass in Thedra fast von der ersten Stunde an ein Magier gewirkt hatte. Ein Ausgestoßener zwar - aber immerhin ein Magier - und ein sehr kämpferischer zudem. Einer der wenigen Menschen auf dem Kontinent, der sich auf die Herstellung von federndem Stahl verstand und der sich auch nicht scheute, Schwerter und Bögen daraus zu schmieden, die allen anderen Waffen weit überlegen waren. Die Besatzungen der kaiserlichen Schiffe und Boote hatten nicht die geringste Chance gehabt, sich den wütenden Thedranern zu widersetzen, und das war allein Aganez´ Verdienst gewesen.

      Schon kurz nachdem die Verbannten in kühnem Handstreich die drei Schiffe erbeutet hatten, verloren sie eines davon gleich wieder an die Finder. Der Verlust der Fracht traf die junge Kolonie damals so hart, dass deren Bewohner den Findern ewige Rache geschworen hatten. So waren denn die Thedraner darangegangen Schiffe zu bauen, die so schnell und unangreifbar waren, dass niemand sie ernsthaft bedrohen konnte.

      War Thedra ehedem ein Ort gewesen, an dem die Verbannten des ganzen Kontinents in Trostlosigkeit und Kälte lebten und einer des anderen Sprache nicht verstand, so wurde es nun zu einem Schmelztiegel des Wissens aller Völker.

      Schiffbauer aus Sordos, Seidensegelmacher aus Numis, Kupferschmiede aus Eraji und Löwenbootfahrer von der südlichen Küste, sie alle gaben ihr Wissen und ihr ganzes Können; und innerhalb von Jahresfrist verließ die `Turmalin', das erste aller Fliegenden Schiffe, den Hafen von Thedra.

      Heimlich war sie in einem abgelegenen Hafenbecken, dem heutigen Schwalbenhafen, gebaut worden, und heimlich fuhr sie ihren ersten Einsatz. Die `Turmalin' hatte etwas ganz Besonderes an Bord gehabt. Etwas, das, wie die Fliegenden Schiffe selbst, den Machtanspruch der Dramilen brechen sollte. - Auf dem Vorderdeck war ein Bogen aus blinkendem Stahl montiert, und in einer stabilen Kiste warteten gläserne Hohlpfeile darauf, auf vorwitzige Angreifer verschossen zu werden. Gefüllt waren diese Pfeile mit einem unscheinbaren, grauen Pulver, mit der furchtbarsten Waffe des Zeitalters. - Mit Aganez' Feuer!

      Hatte Aganez sich bislang standhaft geweigert, die Schiffe der Thedraner mit Stahlfeuerbögen auszurüsten, so hatte er dieses leichte, schnelle Langboot selbst damit ausgestattet. Mehr noch: Er selbst hatte an Deck vor dem Mastbaum gestanden und hätte notfalls den ersten Schuß auf ein Finderschiff getan.

      Die Turmalin war das schnellste Schiff gewesen, das je ein Meer befahren hatte. Schon mäßiger Wind griff derart stark in das riesige Segel, dass sich der Bootskörper nahezu zur Gänze aus dem Wasser hob. Es erforderte die volle Konzentration und die ganze Kraft der kleinen Mannschaft, das dahinrasende Schiff nicht aus dem Wind fallen und kentern zu lassen.

      Ganze drei Tage hatte die Fahrt in den einsamen Gewässern des Nordmeeres gedauert. In der ganzen Zeit war an Bord an Schlaf nicht zu denken gewesen, aber das Boot hatte sich als seefest und unglaublich schnell erwiesen.

      Sofort nach diesem Erfolg waren die Handwerker daran gegangen, weitere Schiffe dieser Klasse zu bauen. So kam es, dass im nächsten Frühjahr fünf Fliegende Schiffe den Hafen von Thedra verließen, jedes von ihnen um ein Vielfaches schneller als der schnellste Dramilenkreuzer und jedes von ihnen mit einem Stahlfeuerbogen ausgerüstet.

      Schon von Anfang an hatte Aganez sein gesamtes Wissen aufgeboten, um die Mannschaften mit einem Schweigegebot zu belegen und sie hypnotisch entsprechend zu konditionieren.

      Zu groß, zu wertvoll war der Vorsprung des Wissens und des Könnens, den die Thedraner sich erarbeitet hatten, um durch unbedachte Äußerungen in Hafenkneipen gefährdet werden zu dürfen. Keinem Mitglied der Mannschaft wäre es möglich gewesen, auch nur das Geringste über Konstruktion oder Bewaffnung des Schiffes zu verraten. Sollte man versuchen, einem Matrosen die Geheimnisse auf der Folter abzupressen, würde er schon vor dem ersten verräterischen Wort an Atemstillstand sterben, dafür hatte Aganez gesorgt.

      Ebenso klar waren die Anweisungen an die Kapitäne gewesen: Kein Schiff und kein Mensch durften näher als zweihundert Mannslängen an die Schiffe heran. Wer innerhalb dieser Sperrzone angetroffen wurde, dessen Leben war verwirkt; er konnte getötet, oder als Sklave nach Thedra gebracht werden, ganz wie es dem Kapitän beliebte.

      Durch diese rigorosen Bestimmungen war es gelungen, die Geheimnisse der Fliegenden Schiffe bis zum heutigen Tage zu bewahren. - Sehr zum Leidwesen der Dramilen.

      Seit jenem denkwürdigen Jahr, in dem die ersten fünf Schiffe der Edelsteinklasse den Schwalbenhafen von Thedra verlassen hatten, war es mit der Vorherrschaft der Dramilen ständig bergab gegangen.

      Selbstverständlich hatten die Leute aus Sordos - und hier speziell die Finder, alles darangesetzt, eines dieser Wunderschiffe habhaft zu werden, aber alle Versuche waren fehlgeschlagen. Traf ein Dramilenschiff auf hoher See eines der Schwalbenschiffe aus Thedra, setzte dieses den Spottwimpel in den Mast und fuhr einfach davon. - Hatten drei oder fünf Dramilenschiffe ein Fliegendes Schiff endlich einmal umzingelt, konnte man sicher sein, dass es kurz darauf drei oder fünf Dramilenschiffe weniger gab. - Es war zum Verzweifeln.

      Aber auch vor dem letzten Mittel schreckten die Scharleute, wie die Besatzungen der Fliegenden Schiffe genannt wurden, nicht zurück. - Denkwürdig noch heute jener Tag, an dem die `Lapis' im Hafen von Itirfah in Bedrängnis geriet und von der eigenen Mannschaft in Brand gesetzt wurde. Die Scharleute hatten die gläsernen Pfeile auf dem Deck zerbrochen und so ein unlöschbares Feuer entfacht, in dessen Hitze sogar der Stahlbogen geschmolzen war. Stoisch schweigend hatte die Mannschaft auf dem flammenden Schiff ausgeharrt und war vor den Augen Tausender mit ihm zu Asche verbrannt.

      Es war unglaublich gewesen. Die Dramilen konnten machen was sie wollten, der Siegeszug der Schwalbenschiffe war nicht aufzuhalten. Immer häufiger zogen die gewaltigen Seidensegel mit unglaublicher Geschwindigkeit am Horizont dahin und gaben den Dramilen das Nachsehen. Verdächtig viele Finder kamen nie mehr von See zurück - und verdächtig viele verkohlte Trümmer dramilischer Schiffe wurden an den Ufern aller Küsten angeschwemmt.

      Auch die Hafenstädte richteten sich nach und nach auf die neuen Verhältnisse ein. Es galt als Ehre, von den thedranischen Schiffen der Edelsteinklasse angelaufen zu werden, und wo immer es möglich war, bauten die Hafenstädte abseits des Hauptfahrwassers schmale Dämme, die sogenannten Schwalbenstangen, die weit in das Meer hinein reichten, um den Kapitänen einen ungestörten Liegeplatz bieten zu können.

      Sicher, die Masse der Güter wurde weiterhin von normalen Segelschiffen befördert. Ein Schwalbenschiff hatte aufgrund seiner leichten Bauweise kaum Ladekapazität. Maximal zwei große Karrenladungen konnte ein Kapitän als Fracht annehmen, aber was waren das für herrliche Waren, die er transportierte: - Neidlos konnten die Schwalbenschiffkapitäne den Dramilen die schweren, unrentablen Frachten gönnen. Mochten sie nur Getreide, Hölzer und Tonnen voller Pech transportieren, wenn sie ihnen nur Seide, Edelsteine, Gewürze und gesinterte Erze überließen.

      Die Kaufleute, die leichte und teure Waren verschifften, hatten sich schnell überzeugen lassen. Der sichere, zügige Transport von Hafen zu Hafen war ihnen so manches schöne Bronzestück wert. So flogen denn die thedranischen Schwalbenschiffe mit den edelsten und teuersten Frachten dahin, während die dramilischen Schoner, den Bauch voller Roherz oder Holzkohle, förmlich auf der Stelle dümpelten.

      Und während die thedranischen Schiffe immer schneller wurden, die Frachten immer lohnender, entwickelte sich noch etwas anderes - die sprichwörtliche thedranische Arroganz: Immer neue Verordnungen und Erlasse wurden erfunden, um Fremde, die die Stadt besuchten, unter Kontrolle zu halten. Zunächst aus Angst vor Spionage und Verrat, später schon aus Prinzip. `Jeder Fremde kann ein Feind sein' hieß es in Thedra, und genauso wurden die Gäste der Stadt auch behandelt.

      Ausgangssperren, verbotene Zonen und das Fremdenhaus waren die Mittel, die den Fremden schnell klarmachten, dass sie nur als Handelspartner erwünscht waren. Dutzende von Wachen durchstreiften Tag und Nacht die Stadt und sorgten für die Einhaltung der Vorschriften.

      `Ein Hund am Kaiserhof wird weniger getreten, als der Gast in Thedra' erzählten sich die Kaufleute des Kontinents untereinander. Aber Thedra