Llauk gab auf. Willenlos trottete er über das Hafenpflaster zur `Großen Geliebten' hinüber. Unglaublich groß und gefährlich kam der Kapitän ihm vor, wie er so unbeweglich wartend auf dem Deck stand. Der schiefliegende Kopf unterstrich in Llauks Augen nur noch den bedrohlichen Eindruck. Sein Dolch war es gewesen, der die Muskeln und Sehnen im Nacken dieses Mannes durchtrennt hatte. Der Kapitän würde es ihm tausendfach vergelten auf der langen Fahrt.
Sed eb Rea schaute geringschätzig auf das Häufchen Elend herab, das sich ängstlich und widerstrebend die Laufplanke heraufwand. "Kommt nur, Stoffmacherlein", lud er Llauk mit grollender Stimme ein. "Wir werden eine lustige Überfahrt haben."
Llauk hätte fast das Gleichgewicht verloren. Gequält stöhnte er auf. `Lustige Überfahrt'? - Er hatte da so seine Zweifel.
KAPITEL 8 - DIE `SESIOL'
Jeder Herr sollte besonders auf diejenigen seiner Diener achten, die seinen Namen am lautesten preisen.
"Wir sind gekommen, euer Geld zu stehlen und eure Weiber zu verführen! Wir wollen eure Haustiere schlachten und eure Kinder mit uns in die Wüste schleppen!"
Wieder stand Bgobo auf dem tragbaren Podest und sprach vor dem Publikum im Hafen von Isco die `Böse Verheißung'. Immer neue Ungeheuerlichkeiten schleuderte er den Stadtbewohnern entgegen, die seinen Dreistigkeiten, je nach Temperament feixend, oder vor Vergnügen johlend, zuhörten.
"Seid sicher, dass wir auf euren Märkten stehlen und euer Vieh verderben wollen! In Brand setzen werden wir eure Häuser und die Tore der Stadt dem Feind öffnen! - Wie? - Der Feind steht nicht vor den Toren? Dann senden wir eben Verräter aus und holen ihn!"
Die Menge kreischte vor Vergnügen.
"Zuerst aber werden wir euch alle mit dem lähmenden Fieber und dem stinkenden Aussatz überziehen! Und weil ihr dann sowieso nicht mehr sprechen könnt, sagt mir lieber jetzt sofort, ob wir in eurer Stadt willkommen sind!"
Ohrenbetäubender Applaus beendete Bgobos Rede, der geschickt von der Plattform heruntersprang und einem Jongleur Platz machte. Sieben umherwirbelnde Holzstäbe ließen die Umstehenden die Köpfe einziehen, und wieder umkreisten die Wurfhölzer der Frauen die Masten der Schiffe. Langsam setzte sich der Zug der Gaukler in Bewegung.
Teri lag leise vor sich hin schluchzend in dem kleinen Zelt auf dem Vorschiff der Kao-lad. Tief hatte sie ihr Gesicht in das weiche Fell der Decke gepresst, die die Kraan ihr zum Abschied geschenkt hatten. Warum war Reisen nur mit so viel Abschiednehmen verbunden? Warum fand man Freunde, die man gleich darauf wieder verlor?
Teri hatte sich fest vorgenommen, der Einladung der Kraan zu folgen und sie in Wajir, der geheimnisvollen Stadt in der Steppe hinter der Wüste zu besuchen. Aber bis sie das tun könnte, würde noch so viel Zeit vergehen, so unendlich viel Zeit.
"Teri, komm jetzt." Sachte berührte Tana die Schulter des Mädchens. Die Trommeln und Ratschen der Artisten waren verklungen. Wahrscheinlich waren sie auf einem Zug durch die Gassen der Stadt, um für ihre erste Aufführung zu werben.
Langsam bewegte Teri sich und rieb ihre verquollenen Augen mit den Handballen.
"Komm, Schatz!" Tana war ungeduldig. "Die `Sesiol' wartet schon. Wir können gleich an Bord."
"Gehen wir nicht ins Fremdenhaus?" Heimlich hatte Teri darauf gehofft, die Kraan am Abend doch noch einmal wiederzusehen.
"Wir sind hier in Isco. Hier gibt es kein Fremdenhaus", erinnerte Tana.
"Ach ja", fiel es Teri wieder ein. Bgobo hatte ja erzählt, wie trefflich es sich bei den Herbergswirten von Isco feiern ließ. Besonders von einer jungen Wirtin hatte er geschwärmt, die er unbedingt wieder hatte besuchen wollen. Teri sprach inzwischen leidlich die Sprache der Kraan, und Bgobo hatte das wohl nicht bedacht. Jedenfalls hatte sie genau gehört, was Bgobo, ihr Bgobo, mit dieser Frau machen wollte.
Teri war das gar nicht recht gewesen. Aus einem Grund, der ihr selbst unerklärlich war, war sie plötzlich aufgesprungen und davongelaufen. Stumm hatte sie an der Reling der Kao-lad gestanden und auf die Wellen hinausgestarrt, als Bgobo neben sie getreten war.
Lange hatte er wortlos dagestanden. Dann, nach einer Weile, hatte er seine Hand auf Teris Schulter gelegt und sie ganz sanft gedrückt. Ohne ein Wort zu sagen, war er dann wieder zu seinen Leuten gegangen.
Da hatte Teri gewußt, das Bgobo sie sehr mochte und dass er es nicht böse gemeint hatte. Mochte er nur zu der Wirtin gehen und mit ihr herumalbern und seine Spiele spielen - das machte nichts aus. Mit ihr, Teri, hatte er auf das Meer geschaut und geschwiegen - und das war sehr viel mehr.
Tana wartete.
Schnell raffte Teri ihre Sachen zusammen und stopfte sie achtlos in ihr Bündel. Zum Schluß schnürte sie ihre neue Felldecke darauf und folgte Tana an Land, nachdem sie sich bei dem Kapitän der Kao-lad für die gute Überfahrt bedankt hatten.
Auf der Pier überholten sie Gerit, der sich mit dem Gepäck der Familie abmühte. Zwei große Proviantkisten und sein eigenes Reisebündel mußte er bewältigen. Abwechselnd trug er immer eines der Teile ein Stück voraus, um dann die anderen beiden nachzuholen. Der arme Kerl schwitzte abscheulich!
Freundlich winkten Tana und Teri ihm zu und hüpften die Gangway zur `Sesiol' hinauf.
Die `Sesiol' war ein Löwenboot reinster Prägung. Mit kaum fünfzehn Mannslängen vom Bug bis zum Heck sehr klein und wendig, konnte sie mit ihrem hochgezogenen Dollbord aus kohlschwarzem Hartholz selbst Rammstößen weitaus größerer Schiffe trotzen. Der überlange, weit nach hinten geneigte Mast aus demselben Material trug keinerlei Rahen; nur am Anfang des letzten Drittels waren unter einer winzigen Plattform die Wanten angeschlagen.
"Ah das ist gut!" Ein alter Mann, so schwarz wie das Holz des Mastes, kam den Niedergang heraufgepoltert. "Gut, dass Sie hier sind, gut dass Sie endlich da sind! Die Stadt ist nicht sicher! - Kommen Sie, kommen Sie!" Der Mann ergriff Tanas Hand und zerrte sie über das Deck, hin zum Vorschiff. Dabei sah er sich ständig um und tat so, als seien sie von tausend Feinden umgeben. Teri runzelte die Stirn. Sie fand dieses nervöse Getue einfach albern.
"Kommen Sie! Da, sehen Sie! Das ist ihre Kabine!" Aufgeregt wedelte der Mann mit den Händen in Richtung Bug.
Die `Kabine' war nicht mehr als ein Holzdach, das das eigentliche Deck in Höhe der Reling ein Stück weit überzog. So entstand ein dreieckiger, zum Schiff hin offener Raum, ganz ähnlich dem Zelt, das die Familie auf der `Kao-lad' bewohnt hatte.
Tana bückte sich und sah sich in dem Verschlag um, während der Kapitän ununterbrochen auf sie einredete.
"Haben Sie eine gute Überfahrt gehabt? Wir selbst hatten guten Wind bis Cebor, Sie wissen schon! - Sie waren nicht in Cebor, nicht wahr? - Ja, ja. Neunzehn Harmugeds aus Cebor! Allein aus Cebor, stellen Sie sich vor! - Da soll man sich keine Sorgen machen! - Gefällt Ihnen die Kabine? Ich habe sie frisch ausscheuern lassen - müßte eigentlich noch feucht sein! - Ist sie auch? - Schön! - Aber ich mache mir Sorgen! - Wissen Sie eigentlich, dass der Kaiser selbst sich Sorgen macht? - Na ja, egal! - Jedenfalls kommen sie von überall! - Ü-ber-all! - Kaum zu glauben, was die ..."
"Was ist überall los?" Tana war auf Händen und Knien in den triefnassen Verschlag gekrochen und schaute zornig daraus hervor.
"Ach, es sind schwere Zeiten!", lamentierte der Kapitän weiter, wobei er sich ununterbrochen umsah. "Schwere Zeiten für Reisende! Seien Sie nur froh, dass Sie hier auf der `Sesiol' wohnen können! - Gefällt Ihnen die Kabine, ja? - Frisches Stroh ist auch da. - Haben Sie keine Sorge. Hier kommen diese Leute nicht hin! - Sie haben doch nichts mit denen zu tun, oder? - Nein, nein, bestimmt nicht, ich weiß! - Aber ich, ich muß sie transportieren! - Und alle, alle wollen sie nach Isco! - Das gibt Ärger, sage ich Ihnen! Das gibt Ärger! - Das lassen sich die Sucher nicht bieten, dass die anderen Sucher hier herkommen! - Oh das gibt Ärger! - Aber haben Sie keine Angst! Sie