Weltenreise. Julia Beylouny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Beylouny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004298
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über den Strand zurück nach Hause und schaute sich immer wieder um. Das Gefühl, jemand – oder der etwas – würde ihr folgen, verließ sie nicht. Doch Kriemhild sah niemanden. Ihre Schläfen pochten und ihr Kopf fühlte sich an, als würde jemand darin stecken. Doch das war unmöglich. Trotzdem war er bei ihr. Samuel. Eine unsichtbare, schmerzende Gegenwart.

      Die Tatsache, dass er sie mied schmerzte. Seine Abwesenheit in den Dünen schmerzte. Ein quälender Schmerz, der sie den ganzen Tag über begleitete.

      In der Ferne erkannte sie das Haus der Gilberts. Kriemhild lächelte dankbar, als ein vierbeiniger Freund ihr entgegenlief, um ihr beizustehen. Er stupste sie mit seiner feuchten Nase an und bellte, stellte immer wieder die Ohren auf und blickte in die Dünen. Kriemhild klopfte seine Flanke und streichelte das seidige Fell.

      „Du vermisst ihn auch, nicht wahr, Jacob?“

       Kurz vor Sonnenuntergang verließ sie noch einmal die Veranda und setzte sich hinab an den Strand. Die Abendstimmungen über dem Meer hatten in Falmouth etwas Mystisches. Kriemhild genoss die Stille, das leise Rauschen der Wellen. Jacob lag drinnen friedlich in seinem Korb und ließ sich von Margret die Ohren kraulen.

      Die weichen Wogen spülten feinen Sand über Kriemhilds bloße Füße. Möwen hockten einbeinig dösend im Schlick. Sie schaute auf den Horizont, der pastellfarben und Goldgelb erstrahlte.

      Merkwürdig, zum ersten Mal – seit dreizehn Jahren – hatte Kriemhild das Gefühl, mit dem Meer versöhnt zu sein. Sie hasste es nicht; stattdessen wirkte es seltsam vertraut. Friedlich.

      Dann stand jemand neben ihr. Völlig lautlos war er herangetreten, ohne, dass sie es bemerkt hatte. Sie blickte auf und ein Kribbeln ging durch ihre Glieder; es war Samuel. Er sah müde aus und irgendwie erschöpft. Im Dämmerlicht waren seine Augen fast schwarz. Lächelnd schaute er zu ihr hinab.

      „Darf ich?“

      Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte er sich an ihre Seite in die Wellen. Er schaute auf den Horizont wie sie zuvor. Die Begegnung mit ihm traf Kriemhild völlig unvorbereitet. Nie hätte sie mit ihm gerechnet, nicht zu dem Zeitpunkt und nicht auf solche Weise.

      „Was tust du hier?“, fragte sie überrascht. Er zuckte mit den Schultern.

      „Ich weiß, ich sollte nicht hier sein. Aber ich habe es nicht länger ausgehalten.“

       „Was meinst du? Ausgehalten?“

      „Ich bin hier, weil ich den Eindruck hatte, du wolltest mir etwas sagen.“

       Sein Blick blieb starr auf den Horizont gerichtet und Samuels Art fesselte Kriemhild. Er war so zurückhaltend und drängte sich ihr gleichzeitig auf angenehme Weise auf.

      „Dir etwas sagen? Ja, vielleicht wollte ich das.“

       „Dann tu es. Mir bleibt nicht viel Zeit.“

       Die Sonne versank im Westen. Obwohl ihre Schultern sich nicht berührten, spürte Kriemhild seine Wärme auf ihrer Haut.

      „Weißt du, Sam, ich wollte mich schon die ganze Zeit über bei dir bedanken. Für das, was du am Pier getan hast.“

       „Es gibt Dinge, die muss man nicht aussprechen. Du hast mir deinen Dank erwiesen, indem du meine Familie ertragen hast.“

      „Dass du mich gerettet hast, Samuel … würde mich weniger verwirren, wenn ich wüsste, dass du es aus reinem Pflichtbewusstsein getan hast.“

       Er lachte leise.

      „Da muss ich dich enttäuschen. Die Sache mit den Rettungsschwimmern hatte nichts damit zu tun.“

      „Dann hast du es getan … weil?“

      Endlich drehte er den Kopf herum und schaute Kriemhild an. Ihre Blicke verschmolzen miteinander und sie war fest entschlossen, ihnen standzuhalten. Samuel nahm eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und legte sie hinter ihr Ohr. Seine Berührung elektrisierte sie wie tausend brennende Nadeln.

      „Kriemhild, es ist besser, wenn du den Grund nicht erfährst. Wenn das alles war, was du zu sagen hattest, dann muss ich jetzt gehen.“

       Er stand auf und wandte sich ab. Ihr Herz pochte.

      „Samuel?“

      Ein letztes Mal sah er sie an und beinahe hätte ihre Stimme versagt.

      „Ich … habe in den Dünen nach dir gesucht.“

       „Ich weiß.“ Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, dann verschwand er. Doch etwas ließ er in ihr zurück. Etwas, das tief in ihr keimte. Tausend Worte hätten es nicht eingefangen.

      Kriemhild erwachte und schrak hoch. Draußen herrschte finstere Nacht, nur die Sterne leuchteten über dem Ozean. Leises Wellenrauschen war alles, was zu hören war. Ein Windhauch bewegte den schweren Vorhang am Fenster. Irritiert fuhr Kriemhild sich durch die Haare. Erst am selben Abend war ihr der Hund am Strand entgegengelaufen, auf dem Rückweg von Brooke. Gleich darauf hatte sie Onkel John und Tante Margret eine gute Nacht gewünscht und war schlafen gegangen.

      Konnte es möglich sein, dass die Begegnung mit Samuel nur ein Traum gewesen war?

      Noch immer spürte Kriemhild das Kribbeln an der Wange, dort, wo er ihr die Haarsträhne hinters Ohr gelegt hatte. Noch immer spürte sie seine Anwesenheit. So nahe, dass es ihr vorkam, als stände er direkt neben ihrem Bett. Das war unmöglich! Sie schaltete das Licht ein und schaute auf die Uhr. Kurz nach zwei. Etwas brannte in ihr und es fühlte sich an wie der Schmerz, den eine Feuerqualle auf der Haut hinterließ. Wie Sehnsucht nach etwas, oder jemandem. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie meinen, sie hätte sich in Samuel verliebt. Am Strand. Aber das alles war nie passiert.

      Kapitel 25

      Samuel

      Sam saß auf seinem Bett, und war noch immer etwas benommen von der Wirkung der Perlen. Was sollte er davon halten? Von Kriemhilds Augen und der Art, wie sie ihn angeschaut hatte?

      Sie hatte in den Dünen nach ihm gesucht. Obwohl er das längst gewusst hatte, war es etwas anderes, es aus ihrem Mund zu hören. Es gab Sam die Gewissheit, die er gebraucht hatte. Er seufzte. Nur noch ein paar Tage – er musste Kriemhild noch ein paar Tage länger zappeln lassen, um ganz sicher zu gehen. Sicher genug, um vor seinem Dad nicht sein Leben zu riskieren.

      Sam fühlte über die Hosentasche. Er zog das silberne Säckchen aus Muschelseide hervor und legte es in einen Steinspalt unter seinem Bett. Dort würde Dad die Perlen nicht finden.

      Kapitel 26

      Margarethe

      Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. John hatte das Haus früh verlassen, um den Rasen an der Kirche zu mähen. Pastor Jonas hatte ihm die Aufgabe vor einigen Jahren anvertraut.

      Es war halb zehn, als das Mädchen in die Küche trat. Margret lächelte. Kriemhilds Haare erinnerten sie an Sue, und ihre Nichte machte sie unglaublich glücklich. Beinahe so, als ob ihr für die Dauer eines Sommer eine Tochter geschenkt worden war.

      „Guten Morgen, Liebes. Kaffee?“

      Kriemhild wirkte abwesend, beinahe verstört. Margret schenkte ihr ein.

      „Hast du gut geschlafen? Heute wird es warm. Ungewöhnlich, sonst ist der Juni nicht so beständig.“

       Das Mädchen antwortete nicht. Sie setzte sich in ihrem Nachthemd an den Tisch und wärmte ihre Hände an der Kaffeetasse. Plötzlich klarte Kriemhilds Blick auf und sie schaute Margret an. „Darf ich dich etwas fragen, Tante?“

       „Gewiss. Was bedrückt dich denn schon so früh?“

      „Ich weiß nicht so recht. Letzte Nacht hatte ich einen Traum.”

      „Doch wohl keinen Albtraum?“

      „Nein, das nicht.“ Kriemhild