Nach der sechsten Klasse wechselte Paul mit der Hälfte seiner Klassenkameraden von der Schillerschule zur neuen, kleineren Schlossschule, wo man die Konduktion ausprobieren wollte. Aus einer Mädchen und einer Jungenklasse wurden so zwei gemischte Klassen. Es funktionierte erstaunlicherweise gut, vielleicht weil in Pauls Klasse die alten Anführer in der Parallelklasse landeten. Paul empfand jetzt die Harmonie in seiner Klasse, die sich dort schnell zwischen Schülerinnen und Schülern entwickelte, als sehr wohltuend. Wahrscheinlich trug auch der Lehrer, Herr Hansen, viel dazu bei. Dieser, kurz vor der Pensionierung stehender Pädagoge, war von Altersmilde und Verständnis für die Schüler geprägt. Seine Unterrichtsmethode bestand vor allem darin, kleine Gruppen, stets ausgewogen mit der gleichen Anzahl von Mädchen und Jungen, zusammenarbeiten zu lassen. Am beliebtesten war der Sachkundeunterricht bei Herrn Hansen. Beispielsweise mussten die Schüler die Funktionsweise eines Viertakt-Ottomotors an einem selbstgebauten, zweidimensionalen Modell demonstrieren. Paul ging jetzt sehr gern zur Schule. Da beschlossen Pauls Eltern von Oggersheim in die Innenstadt von Ludwigshafen umzuziehen, wo eine vernünftige Wohnung und für Vater Emil ein kürzerer Weg zur Arbeitsstelle in der BASF warteten.
Oggersheim
Oggersheim, das seit etwa dem Jahr 1317 die Stadtrechte besaß, hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Man muss sich Oggersheim nach Kriegsende so vorstellen: Der Ort blieb vor Zerstörungen verschont. Es war überwiegend mit kleinen Häusern bebaut, viele renovierungsbedürftig, die oft mit einem niedrigen Sanitärkomfort ausgestattet waren. So lagen viele Plumpsklosetts oft außerhalb des Hauses. Die Straßen waren in der Regel unbefestigt; nur die Durchgangsstraßen nach Ludwigshafen, Bad Dürkheim und Frankenthal trugen eine Fahrbahndecke aus Pflastersteinen. Mittelpunkt des Ortes war der Schillerplatz, der zu Ehren des großen Dichters, welcher auf der Flucht vor seinem württembergischen Landesherrn Herzog Carl Eugen, im Jahre 1782 für siebeneinhalb Wochen in Oggersheim nächtigte, dessen Namen trug. Friedrich Schiller, ein fahnenflüchtiger Regimentsarzt und im Begriffe einer der größten deutschen Dichter zu werden, der bereits mit seinem Theaterstück Die Räuber bei der Uraufführung im Mannheimer Nationaltheater im Januar 1782 einen ersten Erfolg hatte, hoffte auf die Aufführung eines weiteren Stückes: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua. Leider vergeblich. Während der kurzen Aufenthaltszeit in Oggersheim schrieb er an dem Drama Kabale und Liebe.
Weiter erwähnenswert war die kleine Schloss und Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt von 1774, die das bedeutendste Bauwerk in Oggersheim darstellte und bis heute der katholischen Bevölkerung als beliebtes Gotteshaus dient, unter anderem dem in der Weimarer Straße wohnenden Exkanzler Kohl, den man früher sonntags dort sehen konnte. Die Kirche überstand übrigens als einziger Teil der Schlossanlage den von französischen Truppen 1794 verursachten Brand. Ja, Oggersheim besaß früher ein Schloss mit einem prächtigen Barockgarten. Hier residierte ab 1768 die Kurfürstin Elisabeth Auguste, die von ihrem Ehemann Kurfürst Karl Theodor nach Oggersheim abgeschoben wurde, damit der im Jahr 1778 ungestört die bayerische Thronfolge antreten und seine Residenz von Mannheim nach München verlegen konnte. Elisabeth Auguste machte das Beste daraus, indem sie das Oggersheimer Schloss zu einem Treffpunkt von Wissenschaft und Kunst entwickelte und viele Feste gab, die von Theater- und Musikaufführungen begleitet wurden. Anfang 1794 war es mit der Herrlichkeit vorbei, als französische Revolutionstruppen Oggersheim erreichten und der Schlosskomplex abbrannte. Elisabeth Auguste war zuvor nach Weinheim an der Bergstraße geflüchtet, wo sie im Sommer des gleichen Jahres verstarb.
Oggersheim wurde 1938 nach dem etwa sechs Kilometer entfernten Ludwigshafen eingemeindet. Bereits 1853 erhielt der Ort mit der Eröffnung der Bahnstrecke Ludwigshafen Mainz Anschluss an die Eisenbahn und seit 1912 konnte man von Ludwigshafen mit der Straßenbahn nach Oggersheim bis zum Schillerplatz fahren. Eine Besonderheit stellte jedoch die ein Jahr später eröffnete Rhein Haardbahn dar, die von Mannheim kommend, über Ludwigshafen und Oggersheim bis nach Bad Dürkheim fuhr. Bis zum Schillerplatz benutzte sie denselben Gleiskörper wie die Straßenbahn, danach jedoch ging es durch die Schillerstraße hinaus aufs Feld in Richtung Bad Dürkheim. Ab hier bis zu dem bekannten Kur und Weinort hatte sie den Charakter einer Überlandbahn auf Einmeterspur. Auf der anderen Seite des Rheins, in Mannheim, hatte die Rhein Haardbahn übrigens Anschluss an eine ähnliche Bahn, der Oberrheinischen Eisenbahn Gesellschaft, kurz OEG genannt, welche bis Heidelberg fuhr. Es war also möglich, zwischen Bad Dürkheim und Heidelberg die oberrheinische Tiefebene auf der Einmeterspur zu durchqueren. Dies jedoch erst wieder, nachdem die Rheinbrücke zwischen Ludwigshafen und Mannheim nach Kriegsende hergestellt war.
Paul liebte dieses eigentlich noch dörfliche Oggersheim wegen mancherlei Dingen, wie sie nur die Nachkriegszeit für Kinder bereithielt. Da waren diese sandigen und steinigen Straßen und Gehwege, auf welchen sich prächtig spielen ließ. Ein beliebtes Spiel war jenes mit Murmeln. Das Klickern ging so, dass ein kleines Loch gebuddelt wurde und die Spieler versuchten, mit einer vorher festgelegten Anzahl von Murmeln aus einem festgelegten Abstand in das Loch zu treffen. Wer nach einer Runde mit den meisten Klicker ins Loch traf oder dessen Klicker dem Loch am nächsten lagen, durfte nun versuchen, nacheinander die einzelnen Murmeln mit einem Schnippen von Daumen und Zeigefinger einzulochen. Ging die Murmel daneben, war der Nächste an der Reihe. Wer die allerletzte Kugel ins Loch beförderte, bekam den ganzen Pott. Besonders begehrt waren die Kugeln aus Glas mit farbigen Streifen und Schlieren, welche gegen mehrere Murmeln aus Ton getauscht werden konnten. Am begehrtesten aber waren die Murmeln aus Stahl, welche