Jesusse. Leon Skip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leon Skip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847699767
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mit den Fingerspitzen das schweißnasse Hemd von seinem Rücken. Die Engel drehten sich nun seitlich und vollführten eine einladende Geste mit den Händen, während das Tor sich geräuschlos öffnete. Er legte den ersten Gang ein und fuhr auf Ablogs Anwesen.

      4 - Australien

      DAS MEER LAG UNTER IHM wie eine schmutziggraue, sanft bewegte Schicht aus Eisenfeilspänen auf einer Tischplatte, unter dem eine unsichtbare Hand einen Magnet langsam hin und her schob, als die Passagiermaschine kurz nach Mitternacht aufsetzte. Emirates-Flug 2732 - aus Rom kommend - setzte pünktlich kurz nach Mitternacht in Brisbane auf. Fünfundzwanzig Stunden und zehn Minuten, nachdem Prêtre Langlois die Lichter Roms unter und hinter sich gelassen hatte, drängten die Passagiere der Boeing 747 zu den Ausgängen.

      Es war Sommer in Australien und angenehme dreiundzwanzig Grad Celsius kontrastierten mit siebenundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit, die den Reisenden nach dem Öffnen der Ausstiege ihre Hemden an den Leib klebte, wie wenn diese vom Inneren der Hautporen angesaugt worden wären. Der erste Atemzug bei diesen Bedingungen war für Langlois, der Europa noch nie verlassen hatte, wie ein evolutionäres Déjà-vue. Einige Abschnitte seiner DNA entsannen sich wohl ihrer Abstammung aus dem Reich der Amphibien und verlangten mehr nach Kiemen als nach Lungen.

      Doch alles im Leben ist Gewöhnungssache und so konnte der Priester schon wenig später, als er im Leihwagen saß, in Richtung Nordwesten steuerte und den Ellbogen lässig aus dem Fenster streckte, das für ihn durchwegs exotische Ambiente genießen. Er hatte im Flieger geschlafen und beschlossen, die Fahrt über dreihundert Kilometer bis zur World of Wonders sofort und vor allem in aller Ruhe in Angriff zu nehmen. Kurz nach seinem erholsamen Schlaf im Flugzeug und irgendwo hoch über Indonesien hatte Langlois das Dossier von Bonboni gelesen und fieberte jetzt seinem Auftrag entgegen. Ein ehemaliger Sonderschullehrer, der sich jetzt J.S. nannte, hatte sich als Jesus von Nazareth zusammen mit mehreren hundert Gotteslästerern in irgendeinem Dreckskaff in Australien eingenistet, genauer gesagt auf zweihundert Hektar nahe Chinchilla in Queensland.

       Von wegen J.S.!

      Das sollte wohl so eine Art Abkürzung für Jesus sein, denn so viel Mut brachte der Spinner wohl nicht auf – sich direkt mit Jesus ansprechen zu lassen. Aber all das war nicht wirklich beunruhigend. Langlois hatte es schon mit so manchem Spinner zu tun gehabt. Immerhin arbeitete er seit zweiundzwanzig Jahren als Exorzist für den Vatikan und da kommt einem schon so das eine oder andere verrückte Exemplar der menschlichen Spezies unter. Obwohl - Langlois war hier eher der Pragmatiker – charakterfeste, echte Christen wie er dieses Gesocks gar nicht mal in den Rang von Menschen erheben würden.

      Immerhin gab es ja auch Grenzen der Toleranz. Dieser J.S. sollte sich nicht zu früh gefreut haben, denn Langlois kannte den Teufel in all seinen Erscheinungsformen und er verfügte über seine eigenen, bemerkenswerten Mittel, um ihn aufzuspüren und in seine Schranken zu verweisen. Die apotropäischen Handlungen und Gegenstände aller Zeitalter waren ihm durch die Bank geläufig. Beschrieb nicht schon Kirchenvater Origenes - sein persönliches Vorbild, wie er nie müde wurde zu erwähnen - detailliert die mannigfaltigen Möglichkeiten und Werkzeuge der Dämonenaustreibung wie Anblasen, Ausspucken, die Anwendung oder Verabreichung von Knoblauch, Zwiebeln und Glockenläuten? Und waren des weiteren Gebet, Trancetanz, das Applizieren von Speichel, der Gebrauch von Haselnussruten und Steinen mit einem natürlichen Loch, Amulette oder spezielle Kopfbedeckungen und geweihte Glocken aus Messing nicht schon seit Urzeiten probate Mittel und verlässliches Handwerkszeug des Exorzisten gewesen?

      In Anlehnung an das Werk seines Idols war Langlois´ erste Wahl das Anblasen. Dies musste allerdings ohne das Wissen des Besessenen geschehen, was manchmal zu bedauerlichen, ja peinlichen Szenen führte, da die vom Teufel in Besitz genommene Person üblicherweise – so wie jeder Normalsterbliche auch – sich nun mal nicht gerne von einer fremden Person ins Gesicht pusten ließ. Und schon gar nicht eine Wolke Weihrauch.

      Langlois, Exorzist der alten Schule, in direkter Kommunikation mit dem Geist oder Dämon des jeweils Besessenen, kannte bei seinem Werken dessen ungeachtet kein Pardon. Schließlich musste getan werden, was getan werden musste. Und er ging bei seinem Schaffen sogar noch einen Schritt weiter als dieser – seiner Einschätzung nach - bei weitem überschätzte Padre Amorth.

      Padre Gabriel Amorth war 1986 zum offiziellen Exorzisten der Diözese Rom ernannt worden war und alsbald stieg die Anzahl der italienischen Exorzisten sprunghaft auf über dreihundert an. Amorth wurde 1994 zum Präsidenten der internationalen Vereinigung der Exorzisten gewählt - Langlois war zu dieser Zeit gerade einmal drei Jahre mit der Reintegration von Besessenen betraut - und schoss sich damals gerade richtig auf Okkultismus durch Pendeln, Kartenlegen und Wahrsagen ein. Vor allem an dem heutzutage oftmals fehlenden Glauben der Priester an die reale Existenz des Teufels hatte Amorth so das eine oder andere auszusetzen.

      Auch Yoga und das Lesen von Harry-Potter-Romanen hielt Amorth auch heute noch für satanisch, was für Langlois natürlich völlig schlüssig und leicht nachvollziehbar war, nur: In gewissen Belangen ließ Amorth doch die Zügel schleifen. So empfahl er auch heute noch, Besessene zuerst zum Psychiater zu schicken, um die Geplagten – möglichst vor der voreiligen Bestellung eines Exorzisten - auf Schizophrenie untersuchen zu lassen, was ja wohl nachweislich Kokolores war. Aber: kein Mensch war perfekt und so hielt sich Langlois lieber an seinen verehrten Origenes, der, zur Frühzeit des Christentums und seinerzeit ernüchtert über die Laxheit des Pontifikats, auf seinem Feldzug gegen die Häretiker in Arabien und geschwächt durch harte Folter, sein Leben für Gott ausgehaucht hatte.

      Langlois dachte genüsslich und auf seine ganz individuelle, professionelle Art über verschiedene Mittel und Wege nach, diesen anmaßenden J.S. von seinem hohen Ross zu stoßen, als er mit gemütlichen neunzig Sachen den schnurgeraden Warrego Highway in nordwestlicher Richtung entlangfuhr. Toowoomba und Dalby hatte er bereits im Rückspiegel hinter sich gelassen und nun glitt er auf der A2, die wie mit dem Lineal gezogen durch Queensland führte, in Richtung Chinchilla, der Melonenhauptstadt Australiens.

      Er streckte die für seinen hageren Körper viel zu groß geratene Nase aus dem offenen Fenster, schnupperte und bildete sich ein, bereits leichten Schwefelgeruch wahrzunehmen, auch wenn er noch eine halbe Stunde Fahrt bis zur World of Wonder vor sich hatte. Die dünnen, farblosen Haare, die seine Halbglatze säumten, erwachten zum Leben und wirbelten in wilden Zyklonen mal in Fahrtrichtung, mal ins Wageninnere, als er das Schild sah.

      WORLD OF WONDERS/JOIN US/LOVE J.S.

      Wonders? Ja, wundern werden die sich, lachte Langlois in sich hinein und schob seinen Kopf wieder ins Wageninnere, da ihm wiederholt die allgegenwärtigen australischen Fliegen an die Stirn geklatscht waren. Außerdem wollte er sich keinen Sonnenbrand auf seiner Halbglatze zuziehen. Das war ihm vor Jahren im Bioparco Giardino Zoologico mitten in Rom passiert, als er zur Mittagszeit auf einer Parkbank eingeschlafen und drei Stunden später mit Speichelfäden in den Mundwinkeln und riesigen Blasen auf der Glatze aufgewacht war. Es würde ihm nicht noch einmal passieren.

      Die Einfahrt zur World of Wonders war nicht zu übersehen. An die hundert Autos standen rechts und links der Sandpiste, die rechterhand zum Refugium von J.S.´ Kommune führte. Langlois hielt an einem Wächterhäuschen. Die Piste war ab hier durch einen Schranken gesperrt, auf dem ein grüngoldenes Kreuz festgeschraubt war. Ein Mann in Overall und Dreadlocks trat aus dem Schatten der überdimensionierten Hundehütte.

      »G´Day Mate«, ließ der Wächter vernehmen.

      »Guten Tag«, antwortete Langlois und zog seine Reservierung aus der Tasche am Beifahrersitz. Der Wächter nahm sie entgegen, zog sich in das Häuschen zurück und brabbelte in lokalem Kauderwelsch in sein Walky-Talky.

      »Ah. Sie sind der Träumer.« Er reichte dem Gast die Papiere.

      »Was träumens´n so vom Heiland?« Er warf einen neugierigen Blick in Langlois´ Wagen, als ob er die Antwort auf seine Frage dort finden könnte. Langlois tat so, als hätte er die Frage nicht gehört. Er würde sicher nicht hier und jetzt beginnen, sein Lügengebäude zu errichten. Ganz sicher nicht in gleißender Hitze vor diesem Schranken und für einen Menschen, dessen