Und ich sollte jetzt wirklich schlafen.
Eintrag VII - nach Hause ...
20:00 Uhr Bordzeit
Die Erinnerung an den vergangenen Tag ist verschwommen, irgendwie diffus. Wir reden nicht, sitzen nur in der Maschine und sind alleine mit unseren Gedanken. Ich weiß nicht wieso und weshalb - aber: Diese unheimliche Wut ist verschwunden. Stattdessen ist da jetzt eine seltsame Ruhe - oder ist es Apathie? Ich weiß es nicht, aber es fühlt sich auf jeden Fall sehr viel besser an. Alles ist so herrlich distanziert und ruhig. Endlich hat sich diese sinnlose Wut gelegt. Ich mag diese Wut nicht, sie lässt mich irrational handeln, das ist nicht gut in meinem Job. Unter uns ist jetzt Wasser. Kaltes, eisiges Wasser. Wie mochte es wohl sein, in diesem eisigen Wasser - ganz tief unten, so still, so kalt ...? Nichts spielt mehr wirklich eine Rolle. Unsere Temperatur ist noch immer erhöht, allerdings nur leicht. Die Ärzte meinen, dass es eine Erkältung war oder ein grippaler Infekt. Mit Viren weiß man ja nie, was aus ihnen wird. Aber daran mag ich nicht denken. Ich konnte diesen ganzen medizinischen Kram noch niemals leiden, es verursacht bei mir ein Kribbeln ihm Bauch, und es ist gewiss kein angenehmes Kribbeln ...
Das Denken fällt mir irgendwie schwer, und eigentlich will ich nur schlafen.
Habe ich schon erwähnt, dass sich die Piloten im Cockpit eingeschlossen haben, dass sie nicht mit uns gefrühstückt haben und auch die letzte Nacht an Bord der Maschine verbracht haben, in speziellen Thermoschlafsäcken für die Antarktis. Auch egal. Der Chief wird schon dafür sorgen, dass die beiden niemals wieder von der Firma angeheuert werden, nicht nach dem Zwischenfall mit der Bazooka. Mich gruselt bei dem Gedanken, dass der Chief die Kiste beinahe in die Luft gejagt hätte. Aber auch das ist streng genommen gleichgültig, wie alles. Ob wir leben, ob wir sterben ... Irgendwie funktioniert meine Zunge nicht richtig, und meine Augen brennen.
Der Chief hatte ein weiteres Gespräch mit der Basis. Oder heißt es Leitstelle? Ich glaube, beides ist richtig. Oder doch nicht. Auf jeden Fall habe ich mitbekommen, dass die Proben aus dem Eis in mindestens acht verschiedene Länder verschickt werden sollen, sogar nach China. Und nach Australien. Ich finde es gut, dass die Welt so eng zusammenarbeitet, nach all dem Terrorscheiß der letzten Jahre. Na ja, ich will mich nicht beklagen. Irgendwie gehört so was ja zu meinem Job.
Porters sieht heute Morgen ziemlich beschissen aus. Seine Augen sind irgendwie gelblich verfärbt. Vielleicht hat er sich bei Jubilee die Krätze geholt. Ich würde es ihm gönnen. Dass einem das Denken so schwerfallen kann ... Porters hat die Augen geschlossen. Er hat den Kopf zurückgelegt, und ich kann seine Kehle sehen. Irgendwie habe ich komische Gedanken. Ich muss kichern. Ritze, ratze, wenn ich jetzt mit meinem Messerchen ...
Die Schrift verschwimmt vor meinen Augen. Und irgendwie kommen meine Finger nicht mehr mit dem Tablet klar.
Porters ist erwacht. Er wendet mir das Gesicht zu. Böser Bub, was guckst du so giftig? Ich kichere innerlich und denke wieder: Ritze, ratze ...
Porters Lippen formen einen Satz. Ich höre ihn nicht, weil Porters nicht laut spricht, aber ich verstehe trotzdem, was gemeint ist, kann es von den Lippen ablesen: Ich werde dich töööööteeeennnn ...
Auch gut, denke ich mir, aber dann musst du schneller sein, weil ich auch so etwas Ähnliches vorhabe. Nicht wahr ...? Ritze, ratze ...
Ich kichere erneut innerlich, dann muss ich eingeschlafen sein ...
Eintrag VII.... KIhhx0 0wxz1 Ramste... Air Ba...
x7 - 9a -----------------..........................................--------------------
Wuuuuut, Hassssss, Tooood, tööööten, Messssser, Portersssss, Keeehle, Jubileeeee
Schlaaaaaaaffffffffffffff......................................................................................................................................................................................................................
12. Kapitel
Joshua - Schwanengesang für einen Freund
Jack war Eis holen gegangen, während Joshua noch einmal die letzten Tagebucheinträge von Hensen am Laptop im Schnellverfahren überflog. Ein schweres Gewitter zog über das Land und hatte Sturzregen gebracht. Blitze zerrissen die Dunkelheit, sehr rasch gefolgt von heftigem Donner. Es war gegen 23:00 Uhr.
„Bist du noch online?“, fragte Jack, als er mit dem Eis zurückkam. „Draußen rollen jede Menge Militäreinheiten über die Interstate, und irgendjemand in der Lobby unten hat gemeint, auch die Nationalgarde wäre auf dem Weg nach Kansas City ...“
„Nein“, entgegnete Joshua, der die Stelle in den Aufzeichnungen gefunden hatte, nach der er gesucht hatte. „Warte.“
Joshua klickte einige lokale Online-Magazine an, wurde aber nicht fündig. Nur das Übliche: Stars, meistens der unteren Kategorie, die mal wieder dafür gesorgt hatten, dass die Welt wusste, mit wem sie jetzt ein Verhältnis hatten oder so. Ach, da war ja wieder diese Prominente mit dem Monster-Popo ... Aber nichts wirklich Relevantes.
„Einer in der Lobby meinte, es hätte in Kansas City, Columbia und St. Louis Terroranschläge gegeben, mit etlichen Toten.“
Joshua nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Es lief eine Sondersendung. Am unteren Rand des Bildschirmes war ein Laufband eingeblendet, das eine Telefonnummer zeigte. Er aktualisierte den Browser-Cache, und nun wurden die Sondermeldungen auch auf dem Laptop angezeigt. Es war von Angriffen die Rede, aber die Meldungen widersprachen sich zum Teil. Auf dem Bildschirm wurde eine In-Screen-Aufnahme eingeblendet, die Kansas City zeigte. Ein Reporter versuchte, einen Polizisten vor die Kamera zu bekommen, doch das Medienteam wurde zurückgedrängt. Joshua zappte schnell durch die Kanäle. Ein anderer Sender berichtete, dass die Angreifer erschossen worden wären. Irgendwo aus dem Off waren Schreie zu hören. Stimmen redeten wahllos durcheinander. Schüsse, noch mehr Geschrei. Dann das verwirrte Gesicht einer Reporterin. „Mehrere Schüsse konnten den Angreifer nicht stoppen. Es ist unglaublich. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen. Oh mein Gott, er hat die Frau gebissen. Ausblenden, ausblenden, schnell ...“
Joshua nahm sein Handy und wählte Mary-Anns Nummer, die innerhalb von Sekunden das Gespräch annahm.
„Josh, ich kann jetzt nicht. Hier ist die Hölle los! Offensichtlich haben wir es wieder mit Terroristen zu tun. Und diesmal richtig: New York, Philadelphia, Boston ... Ich melde mich, sobald ich kann, aber ...“
„Nein, Mary-Ann hör mir zu. Das sind keine Terroranschläge, nicht im üblichen Sinne ...“
Schnell berichtete er von den Tagebüchern.
„Du meinst, da besteht wirklich ein Zusammenhang?“, fragte Mary-Ann.
„Ja“, erwiderte Joshua mit fester Stimme. „Und Jack und ich gehen davon aus, dass in den Eiskernproben etwas war. Und was immer es ist, es wurde fast über die ganze Welt verteilt. Harry Hensen und die anderen des Teams haben sich offensichtlich mit irgendetwas infiziert, obwohl sie nicht gebissen wurden. Hörst du? Sie wurden nicht gebissen. Das lässt nur den Rückschluss zu, dass durch die Tiefenbohrung irgendetwas freigesetzt wurde.“
„Aber die Eiskernproben waren doch versiegelt, mit denen kam doch niemand