Schmutzige Hoffnungen. Myron Bünnagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Myron Bünnagel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738029437
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keineswegs. Machen Sie nur. Und nennen Sie mich Tony.“ Er saß zusammengesunken hinter dem Lenkrad und starrte in die Finsternis hinaus.

      Ray zündete sich eine Zigarette an und stieß genüsslich den Rauch aus. Durch das geöffnete Fenster drang kühler Fahrtwind herein. „Sagen Sie Ray zu mir. Wie weit ist es noch, Tony?“

      „Etwa dreißig Meilen. Waren Sie schon mal in Ashland?“

      „Nein.“

      „Da haben Sie nicht viel verpasst, Ray. Es gibt da eigentlich nichts, nur ein bisschen Landwirtschaft.“

      „Und Öl.“

      Tony sah ihn merkwürdig von der Seite an. „Es gab hier mal Öl. In den Dreißigern. Aber seitdem die Quellen nichts mehr abgeworfen haben, ist die Gegend wie ausgestorben.“

      Sie schwiegen einige Zeit. In der Dunkelheit konnte Ray nur die mit dicken Gras und knotigem Heidekraut bewachsenen Ebenen ausmachen. „Auf der linken Seite liegen die Ausläufer der Red Hills.“

      Ray schnippte seine Zigarette aus dem Fenster und zündete sich eine neue an. „Wollen Sie auch eine, Tony?“

      Der andere schüttelte den Kopf: „Würde gerne eine paffen, wenn nur der Magen nicht so schlimm wäre. Außerdem mag es Ira nicht, wenn ich rauche. Im Haus sind Glimmstängel verboten.“

      „Immer noch nicht besser?“

      „Nein, ich habe das Gefühl, dass mir jemand die Magenwände perforiert.“

      „Klingt nicht gut. Wenn Sie wollen, fahre ich.“

      „Danke, ist schon besser als auf der Hinfahrt. Habe wohl das falsche Ende vom Braten erwischt. Eine Mütze voll Schlaf und ich … HIMMEL!“ Tonys Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, als er erschrocken auf die Straße blickte. Seine Hände rissen am Lenkrad. Der Pick-up wankte bedenklich und sprang auf die Gegenfahrbahn. Er trat kräftig auf die Bremsen und der Wagen kam zum Stehen. „Verflucht!“

      „War ein Hund oder so was“, sagte Ray und wischte sich Zigarettenasche von der Hose.

      „Hab ich mich erschrocken! Wir wären fast im Graben gelandet.“ Tony wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Nein, war kein Hund. Eher ein Fuchs. Von den Biestern gibt es hier eine Menge.“

      Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.

      „Ein Fuchs? Soso …“, bemerkte Ray leise und lächelte, ohne dass der Fahrer es bemerkte.

      „Nicht mehr lange und wir sind da.“ In der Dunkelheit tauchten nun die unförmigen Umrisse der Red Hills auf. „Vor uns liegt Ashland. Ein Achthundert-Seelen-Kaff. Schimpft sich Stadt, aber außer einer Tankstelle, einer Bar, einem miesen Hotel und einem Krämerladen gibt es hier nicht viel. Sie werden es lieben, Ray.“

      Einzelne, schüchterne Lichter tauchten vor ihnen auf. Ashland, Kansas – Population 850, hieß es in weißen Lettern auf einem wackligen, von rotem Staub bedeckten Holzschild. Auch hier teilte eine breite Straße den Ort, der in seiner nächtlichen Leblosigkeit an eine Filmkulisse erinnerte. Sie fuhren an den Häusern vorbei, aber Ray interessierte sich kaum dafür.

      Vier Meilen hinter dem Städtchen bogen sie von der Straße in einen Feldweg ab. Der Pick-up rumpelte über die unebene Fahrbahn und zog eine Staubwolke hinter sich her. Nach einigen Metern tauchte ein Wall hoher Bäume links und rechts der Zufahrt auf. Sie fuhren durch ein weißes Holztor und sahen das Haus. Das gesamte Erdgeschoss war hell erleuchtet und auf der breiten Veranda glomm eine große Laterne.

      Mit knirschenden Rädern kam der Wagen hinter einem gepflegten, schwarzweißen Packard zum Stehen.

      „Da sind wir“, seufzte Tony und stieß die Wagentür auf.

      Ray stieg aus und reckte die Arme.

      Von einer Hollywood-Schaukel auf der Veranda beobachteten ihn zwei Personen.

      Während Tony die Ladefläche öffnete, sagte er: „Das sind Cora, die kleine Reed, und ihr Freund Donald. Hier haben Sie schon alle sehnsüchtig erwartet.“

      Bevor sie zum Haus hinübergingen, nahm der neue Gast noch einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, eher sie auf dem Boden austrat. „Dann los“, meinte er. Gemeinsam stiegen sie die drei Stufen zur Veranda hinauf.

      In der Dunkelheit wirkte das Haus sehr einladend. Es sah sauber und gepflegt aus, der Anstrich schien nur ein paar Wochen alt zu sein.

      „Gefällt es Ihnen?“, fragte Tony.

      „Hübsch.“

      „Habe es selbst gestrichen. Ist eine von diesen neuen Farben, besonders witterungsbeständig.“ Er tätschelte liebevoll einen weißen Stützbalken.

      Im Licht der Laterne nahm Ray seinen Fahrer genauer in Augenschein. Tony trug einen hellen Anzug und glänzende Schuhe. Seine Haltung war gerade, aber sein schmaler Kopf pendelte unruhig auf dem dünnen Hals hin und her. Er sah noch immer kränklich aus, fahle Haut und Schweiß auf der Stirn, aber dennoch war er auf eine bestimmte Weise attraktiv. Ein charmanter Zug um seine Augen und ein schnelles Lächeln unter dem dünnen Schnurrbart.

      Ray stellte seinen Koffer neben der Eingangstür ab. Die Blumen vor der Veranda verströmten einen schweren Duft.

      Die beiden Personen waren von der Schaukel aufgestanden und kamen herüber. „Hallo, Tony. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“ Eine spöttische, melodische Mädchenstimme, klar und gewinnend. Ray blickte ihre Besitzerin automatisch an. Sie reichte ihm bis zur Brust, hatte rotblondes, glattes Haar, das im Lampenschein zu glühen schien, und sehr helle, blaue Augen, die wirkten, als läge ein Schleier darüber. Ihr Gesicht war hübsch, noch voller jugendlicher Unschuld, die sich zu handfester Schönheit auswachsen würde. Ihre Stimme perlte über ihre ebenmäßigen Lippen. Sie trug ein dunkles Kleid, das von einem Gürtel tailliert wurde.

      Tony verharrte einen winzigen Moment, als träfe ihn ihr Spott wie glühende Nadeln, aber dann richtete er sich auf und antwortete brüsk: „Ich habe mir den Magen verdorben und musste unterwegs anhalten.“ Sie lachte, nur kurz, aber der Laut schien sich noch einen Augenblick länger in der zwischen Blumenduft und Sommerschwüle aufzuhalten, ehe er verklang. „Lass gut sein, Cora“, entgegnete er müde. Seine Zunge glitt über die ausgetrockneten Lippen. „Mr. Ray Corbin, dies ist Ms. Cora Reed und das hier ist Mr. Donald March von der March-Ranch nebenan.“

      Cora hielt ihm eine kühle Hand hin und Ray ergriff sie langsam. Sie war so klein und zierlich, dass sich seine kräftigen, gebräunten Finger wie eine Bärenfalle darum schlossen. Die Berührung dauerte etwas länger als üblich gewesen wäre. „Freut mich, Ms. Reed.“

      „Sie sind Vaters Freund, nicht wahr? Ich erinnere mich an Sie.“ In ihr spöttisches Lächeln schlich sich ein Anflug von Wärme.

      „Ja, früher nannten Sie mich Onkel Ray und hatten eine helle Freude daran, mir an den Ohren zu ziehen.“

      „Daran erinnere ich mich nicht“, sagte sie mit übertriebener Unschuld. Ihre Finger lösten sich zögernd voneinander. Er wollte die Kühle ihrer Haut nicht verlieren.

      Donald March ergriff seine Hand und schüttelte sie enthusiastisch. Er war ein gut gebauter Junge mit einem glatten Gesicht, einer breiten Nase und trägen Augen, die sich kaum zu bewegen schienen. Er trug eine dunkle Anzughose, ein weißes Hemd und einen hellbraunen Pullover darüber. „Freut mich, Mr. Corbin. Ich habe Photographien von Ihnen gesehen, aus dem Krieg.“

      Ray nickte höflich, aber er spürte, dass Cora ihn noch immer ansah.

      Tony stöhnte: „Ihr entschuldigt mich, aber mein Magen … Ich werde Ira sagen, dass Sie da sind, Ray.“ Er presste eine Hand auf den Mund, die andere auf den Bauch und stolperte ins Haus.

      Die drei verbliebenen Personen schwiegen einige Zeit. Ray blickte in die Dunkelheit hinaus, aber aus den Augenwinkeln betrachtete er das Mädchen.

      Donald schlenderte zu einem kleinen Tisch vor der Schaukel und fragte: „Wollen Sie ein Glas Limonade? Das Eis ist leider geschmolzen, aber sie ist noch