wie Hulle. Peter Baldinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Baldinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738040531
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führte mich rum. Eine kleine Einzimmerwohnung, hell und freundlich. Bis auf eine alte Matratze und eine alte Teekiste aus Holz, die der Tisch war, war sie unmöbliert. An einer Wand waren einen Meter hoch in Leinen eingepackte Platten mit Haschisch gestapelt. Es mussten Hunderte sein. Ich nahm eine hoch. Sie war klebrig vom durchquellenden Haschharz und wog ein Kilo, das stand jedenfalls drauf.

      „Aus Afghanistan“, flüsterte Bernard. Aber er flüsterte ja immer.

      Er baute einen stolzen Joint und wir rauchten ihn. Lange lagen wir so rum, bis wir wieder sprechen konnten.

      „Wenn du was von dem Zeug willst“, sagte er, „bedien' dich. Was auf dem Boden liegt, kannst du mitnehmen. Komm so oft du willst einsammeln.“

      Tatsächlich lagen auf dem grauen Teppichboden vom Zerbrechen der Platten jede Menge Dopestückchen herum.

      Ich besuchte ihn jede Woche. Wir redeten, rauchten was und ich steckte was ein.

      Trotz ihres neuen Freundes Bimmi war ich über die Schmerzgrenze hinaus in Stella verliebt. Es war wie ein Brandmal im Gehirn. Ich spielte Millionen Varianten durch, wie ich sie (zurück-) erobern konnte. Wenn ich mit ihr sprach, schüttelte es mich vor lauter Sehnsucht. Von all dem sagte ich ihr aber lieber nichts. ‚Stella‘ war nun ein ‚Projekt‘ - eine lang angelegte Geschichte, die sich vielleicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten zum Glücklichen wenden könnte.

      Mein erster Schritt war, Eifersucht hin oder her, Bimmi genauer kennenzulernen. Als er letztens Stella von der Schule abgeholt hatte, war mir so elend gewesen, dass ich kaum ein ‚Hallo‘ rausgekriegt hatte. Doch, dachte ich, wenn ich seine Stärken und Schwächen studierte, könnte ich ihn vielleicht leichter ausbooten. Dazu trampten Tobias und ich nach Berlin und besuchten ihn.

      Zur Begrüßung umarmte er uns herzlich. Es gab zu kiffen und Bier. Hinterher fetzten wir zu einer Fete in einem Jugendzentrum am Schlachtensee. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Die letzten roten Blätter fielen von den Bäumen. Der See glitzerte algengrün. Bimmi hatte einen ollen, beigen Lodenmantel und Botten ohne Schnürsenkel an. Er hatte die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt und seine langen strähnigen Haare fielen ihm bei jedem Schritt ins Gesicht.

      Die Wände des Jugendzentrums waren mit bunten Drachen, Hexen und Anarchiezeichen bemalt. Eine gute Hippieband spielte. Bimmi stellte uns einigen Leuten vor, die sofort mit uns nett quasselten. Wir flirteten mit wirklich duften Millies. Am nächsten Mittag frühstückten wir in einer echt starken Anarchokneipe und kifften (Bimmi und ich) und becherten (Tobias, Bimmi und ich). Die Atmosphäre war so supidupi locker, dass es einfach nicht zum Aushalten war.

      Als Tobias und ich an der Grenze in Dreilinden auf ein Auto warteten, das uns mitnehmen wollte, war klar, dass Stella und Bimmi ein perfektes Paar waren. Bimmi und ich waren uns zwar irgendwie ähnlich, aber er war schlicht eine Klasse besser: gut aussehend, weltstädtisch, überhaupt nicht überheblich und zusätzlich auch noch ein dufter Kumpel. Aber ich würde nicht aufgeben Stellas Herz zu erobern - niemals!

      Nachmittags kam Tobias.

      „Ich habe Neuigkeiten“, hatte er am Telefon gesagt. Abends wollten wir auf ein Konzert in Döhren. Bis dahin war noch viel Zeit. Wir hörten Punk und vernichteten ‚Herris‘ (Bier). Erst ‚Sex Pistols‘ und dann ‚Clash‘. Echt geil. Neuerdings fuhren wir voll auf Punk ab.

      Die Neuigkeit war, dass Tobias mit einem Gitarristen (Christian) eine Session gemacht hatte. Tobias wollte nun Schlagzeuger werden. Er suchte schon eine ‚Schießbude‘.

      Dann erzählte er ne knorke Story: „Der Bunker in dem wir geübt haben, ist in der Brentanostraße. Ich bin Bus gefahren. Da stiegen zwei dreiviertelalte Typen ein und machten eine Flasche Sekt auf, die sie dann zechten. Der Busfahrer stoppte den Bus und sagte durch den Lautsprecher, dass sie aussteigen müssten, weil in seinem Bus nicht gesoffen würde. Sind sie aber nicht. An der nächsten Haltestelle auch nicht. Dann ganz plötzlich ist der Bus umgedreht und ist zu einem Bullenrevier gedüst. Alle anderen Passagiere waren stinksauer. Dort hat der Fahrer dann die Bullen geholt und die beiden Typen verhaften lassen. Ich bin solidarisch mit den beiden mit ausgestiegen und habe bei den Bullen unterschrieben, dass sie nichts gemacht hatten, außer Sekt zu trinken. Diese Fahrer-Sau. Der hat doch ne Panne oder?“ Gelacht.

      „Schlagzeug ist total super, um sich von den Wellentälern abzureagieren“, sagte Tobias nach einer Pause nun bitterernst, „dann kommt man eher wieder auf einen Wellenberg.“

      Wir laberten über Millies, den Hauptgrund für unsere Wellentäler und Wellenberge.

      „Denen dürfen wir wirklich nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenken. Damit muss endgültig Schluss sein“, argumentierte Tobias.

      „Ja“, stimmte ich zu, „es sind Gefühlsschwämme.“

      Zu Tobias waren in letzter Zeit Viola, Lisa, Karine, Conny, Astrid, Stine und Tina blöd gewesen.

      Lisa hatte nicht auf seine Briefe geantwortet. Was Tobias‘ sonst so unschlagbare Briefmethode stark in Frage stellte. Viola war zu jung. Karine wollte Tobias nur am Wochenende als Vorzeigehengst für ihre Clique treffen. Mit Stine war es ja eigentlich vorbei, weil sie ihren alten Freund wieder hatte, mit dem sie ja nie richtig Schluss gemacht hatte. Conny hatte ihm schon im November gesagt, dass sie vor Weihnachten keine Zeit mehr habe. Was soll das denn! Mit Astrid konnte es ja noch was werden, aber sie war keine hundertprozentige Favoritin.

      Zu mir waren Stella, Lene und Tina blöd gewesen.

      Stella natürlich, weil sie aus heiterem Himmel Bimmi als Freund hatte und auf den konnte man noch nicht mal einen richtigen Brast haben. Lene, weil sie mich geküsst hatte, ohne dass es ihr ernst war. Trotzdem war ich natürlich froh, dass sie es getan hatte.

      Tina war ein Spezialfall von Tobias und mir. Sie war eine echt hübsche Emanzen-Millie. Sie hatte sich mit jedem von uns verabredet (nur ein Tag hatte dazwischen gelegen) und jedem von uns gesagt: „Ich möchte mit dir schlafen.“ Bei Tobias hatte sie noch dazugesetzt: „Heute Nachmittag habe ich mit Torsten geschlafen.“ Torsten war ihr eigentlicher Freund.

      Wir waren uns einig:

      Erstens, möchte man nicht wissen, was Torsten mit einem machen würde, wenn er es spitz kriegen würde, denn er ist ein verschrobener, aggressiver Brecher.

      Zweitens haben wir absolut keinen Bock unsere Unschuld so lapidar zu verlieren.

      Aber es war schwer gewesen, es abzuwehren, weil Tina es total drauf hatte, einen heiß zu machen.

      „Warum fühle ich mich von Mädchen eigentlich dauernd bedroht?“ fragte Tobias resümierend.

      „Sie wissen bestimmt gar nicht, dass sie einem das Leben zur Hölle machen“, sagte ich.

      „Lasse ich nicht gelten!“ entgegnete Tobias. „Durch diese Einstellung ist man viel zu verwundbar. Du lässt dich dann in gewisse Kreisläufe einfach reindrängen. Kommt nicht in Frage!“

      Schön angetörnt gondelten wir nach Döhren und holten Martin ab. Wenn man den nicht abholte, kam er nie irgendwo hin. Weil es für die Band immer noch zu früh war, klingelten wir bei Martins Freund. Der war irgendwas Höheres in der Jungen Union und hatte den totalen Sockenschuss. Wir fraßen seine Dominosteine auf und dreschten dumme Sprüche, bis er uns rauswarf. Er wollte am Abend seine Freundin besuchen - das war’s! Sonst nichts! Wie kann einem das an einem Samstag genügen?

      Wir taperten in die Kneipe, in der die Band schon zu spielen angefangen hatte. Total beknackte Rock’n‘Roll-Grütze. Die Leute waren auch alle plemplem.

      „Da soll mal einer sagen, es gäbe in der BRD keine Missstände“, sagte ich trocken. Tobias und Martin bogen sich vor Lachen. Ich kapierte erst nach und nach, dass ich einen Super-Kalauer vom Stapel gelassen hatte.

      Dann zuckelten Tobias und ich zur Mensa in der Uni. Dort spielte ‚Guru Guru‘. Übers Dach kamen wir umsonst rein. Nur ein bisschen Kletterei. Drinnen trafen wir natürlich das ganze Kollektiv. ‚Guru Guru‘ war ganz dufte