wie Hulle. Peter Baldinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Baldinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738040531
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der die Veranstaltung stattfand, hockten hunderte Meditationswilliger auf dem Turnhallenboden. Einer im Anzug ging ans Mikrophon und begrüßte die Leutchen. Dann ging‘s los:

      „Hinlegen!“ Alle gingen runter.

      „Der rechte Arm wird leicht und kreist dabei herum." Alle machten das.

      „Seht nach rechts ins Leere!“ Alle befolgten es.

      Sehr schnell war man ganz benebelt. Ich jedenfalls und die Schose wirkte auf mich wie Massenhypnose.

      „Grütze“, rief ich deshalb dazwischen.

      Sofort kamen zwei Brechertypen an und griffen mich an den Armen. Tobias sprang auf und rief:

      „Das hier ist doch faschistischer Müll! Wir wollen Redezeit am Mikro!“

      Die Ordner sagten sogar, sie würden sie uns einräumen, wenn wir nur friedlich mitkämen. War natürlich nur ein billiger Trick, um Tobias und mich näher zum Ausgang zu lotsen.

      Auf ein Zeichen hin rissen wir uns los und flitzten zum Mikrophon. Aber neue Ordner kamen hinter der Bühne vor und bremsten uns. Zu sechst trugen sie uns raus.

      Vor der Tür machten sie den Fehler uns loszulassen. Sofort rannten wir wieder rein. Diesmal schafften wir es bis zum Mikrofon und Tobias schrie:

      „Wir finden diese Veranstaltung hier wirklich Kokolores! Wir fordern Sprechzeit! Warum diese Gewalt? Fürchtet man sich davor, was wir zu dieser Veranstaltung zu sagen haben?“

      Dann mussten wir dringend den Rückzug antreten.

      Draußen hörten wir noch, wie jemand „Terroristen“ brüllte.

      Echt lustig. Ich hoffte nur sehr, sehr, sehr, dass Stella nicht eingeschnappt war. War sie aber - etwas.

      Tobias und ich trampten nach Nienburg zu einem Open Air Rockfestival. Da spielte als erstes die ‚Peter Koller Group‘. Es fing an zu regnen und plötzlich brach der Gitarrist zusammen. Der war vielleicht tot, weil er einen Schlag gekriegt hatte. Es gab erst mal eine lange Pause und die Atmosphäre war total verpupst. Dazu schüttete es wie aus Kannen. Shorty, Kretsch, Bonzo, Elke, Stine, Thorsten, Meschan und Suse trudelten ein, als eine andere Band spielte. Die Musik war echt nicht so gut. Also quatschten Tobias und ich ein bisschen.

      „Bei uns dreht sich alles immer mehr um Frauen, oder?“ sagte Tobias.

      „Das stimmt. Aber so ist das halt. Ich interessiere mich im Augenblick sehr für Frauen“, sagte ich. Ich meinte damit Stella.

      „Neuerdings interessiere ich mich auch für Landschaften“, sagte Tobias.

      „Landschaften?“ lachte ich.

      „Ja, Landschaften im weitesten Sinne sind echt doll. Ich finde plötzlich Städte, Stadtteile, Gebäude, Wiesen und Berge gut“, erklärte er ganz ernst.

      Zum Glück lieh uns Bonzo sein Zelt. Er wollte durchsaufen. Aber der Boden der Kuhweide war total aufgeweicht und in dem Matsch waren Steine. Aus Plastiktüten bauten wir uns Gras-Kissen.

      Als wir im ersten Glimmer des neuen Tages wieder rauskrochen, lag vorm Zelt das Gerippe von Tobias‘ Regenschirm, den jemand abgefackelt hatte. Da es wieder schiffte, warf Tobias echt sauer das Gestänge durch die Gegend. Ohne den Schirm waren wir irgendwie aufgeschmissen und trampten lieber wieder zurück.

      „Kommt doch noch mit zu mir. Zu Hause hab‘ ich noch ne Flasche Rotwein“, sagte eine Millie mit piepsiger Stimme. Sie hieß Beatrice, war klein und hatte braune, kurze Haare. Tobias und ich fanden das Angebot natürlich dufte. Die Fete hatte sich sowieso beträchtlich geleert. Wir zuckten zu ihr nach Döhren. Als sie aufschloss, sagte sie, wir sollten leise sein. Auf dem Türschild stand: ‚Schmetter‘.

      „Schmetter? Der Musiklehrer?“ flüsterte ich hektisch. Sie nickte. Ich wollte sofort wieder gehen, aber zu spät, wir waren schon im dunklen Flur.

      Sie teilte sich ein Zimmer mit ihrem Bruder. Den kannten wir von Sessions im Leinedomizil, wo er manchmal mitspielte. Eine schräge Type, die immer einen Zylinder trug und starkes Asthma hatte. Wer hätte gedacht, dass er der Sohn vom Schmetter war! Hocherfreut, dass welche kamen, stand er aus seinem Bett auf. Der Pyjama spannte über seinem aufgeblähten Brustkorb. Beatrice ging den versprochenen Wein holen. Wir ließen die Flasche kreisen.

      „An die Instrumente“, sagte der Bruder und stöpselte eine E-Gitarre in einen Gitarrenverstärker. Er reichte sie mir und holte eine zweite aus dem Schrank, zusammen mit Rhythmusinstrumenten, wie Rasseln, Schnarren, Klappern, Trommeln und so nen Quatsch. Mir wurde etwas mulmig, weil es bestimmt drei Uhr war. Aber der Bruder hatte seine E-Gitarre nun auch eingestöpselt und klampfte los.

      Zaghaft machte ich mit und auch Tobias trommelte etwas rum. Beatrice lehnte sich aus dem Fenster und quarzte eine. Danach versuchte sie, zu dem Chaos zu singen.

      Plötzlich ging die Tür auf und Schmetter erschien in einem langen Nachthemd. Er wetterte:

      „Was ist denn hier los? Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“ Er erkannte mich und sagte:

      „Was machst du denn hier? Schluss jetzt! Verschwindet! Aber sofort!“ Und schlug mit aller Kraft die Tür zu.

      Wir verdünnisierten uns.

      In der nächsten Musikstunde (wegen welcher Millie hatte ich nur diesen Musikkurs belegt?) holte Schmetter mich nach vorne und ich sollte einen Bolero-Rhythmus auf einer kleinen Trommel vorklopfen. Klappte natürlich nicht. Er genoss es sooo sehr und schrieb null Punkte auf.

      In der Schule war eine Fete. An einem Montag! Tobias kam mit, obwohl er in Misburg auf ein Gymnasium ging. Die großen Fenster der Mensa waren mit Vorhängen abgehängt. Rote Scheinwerfer und ‚Dschinghis Khan‘ Musik - auweia! Das war ohne Bier nicht auszuhalten. Wir zuckten zur Bude, tranken das Bier gleich auf ex, da am Eingang zur Mensa Lehrer Bolz stand und aufpasste.

      Kaum wieder drin, dackelten wir ein zweites Mal los, weil es ohne Bier wirklich nicht auszuhalten war. Danach waren wir schon ganz gut angetörnt. Tobias tobte wie wild zu ‚Slade‘ und machte Lisa an. Die war knuffig. Blonde Haare, Stupsnase und Rubens-Rundungen. Ich sah den beiden zu und wippte sogar etwas zur Musik, während ich mit Martin und Stella quasselte. Stella zwinkerte mir zu – ein Zeichen. Wir ließen Martin stehen und schoben nach draußen.

      Der Rasen war nass vom Abendtau und meine Botten undicht. Außerdem musste man Angst haben, dass man im Dunkeln in Hundetretminen trat. Ich griff Stellas Hand. Das war ganz einfach gewesen. Mein Herz pochte aber wie Hulle. Die Lichter der Autos die das Rudolf-von-Bennigsen-Ufer entlangrasten, flackerten durch ihre magischen Augen. Meine Lippen berührten ihre Stirn. Ihre Haare dufteten nach Shampoo und Vanille. Lachend befreite sie sich, tanzte, drehte sich herum, die Arme ausgebreitet, bis zum Eingang zur Mensa.

      Der Schweißgeruch der tobenden Leute verschlug mir den Atem.

      Um zehn war alles vorbei. Tobias, Martin und ich zogen in die ‚Südstadt-Klause‘, der ödesten Kneipe unter der Sonne.

      Ein Geschichtslehrer aus der Schule und ein anderer alter Knacker hingen an der Theke. Der Geldspielautomat arbeitete alleine hinter ihren Rücken. Mit geröteten Augen griente er uns an und hob kurz die Hand, die dann aber doch das Bier griff.

      Wir fläzten uns an einen der Tische. Martin popelte und schmierte das Zeug auf einen Bierdeckel.

      „Alte Sau“, rief Tobias und lachte höhnisch. Die Wirtin stellte ein Frischgezapftes drauf. Tobias und Martin quatschten intensiv über die Band ‚Slade‘. Die fand ich echt primitiv. Deshalb strich ich über die Innenfläche meiner Hand und versuchte mir einzubilden, dass es Stella täte.

      Sturmfreie Bude. Ich lud ein paar Leute ein, um einen Grund zu haben, Stella einzuladen: Uwe, Martin, Sabine, Lene, Tobias. Tobias nuckelte an einer Flasche Jambosala rum. Martin strich sich immer wieder durch die Haare. Er trug sein buntes Hemd zwei Knöpfe offen, so dass etwas von seiner Brust zu sehen war. Mann, fand der sich toff.

      Ich