Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: T. von Held
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763129
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blieb.

       Da rief die Hyäne:

       »Seht, seht! Der Hase bleibt stehen! Er hat sein

       Leben verwirkt.«

       »Ich denke nach!« sagte der Hase.

       »Worüber?« fragten seine Kameraden.

       »Ich denke nach über jene beiden Steine. Der eine

       ist groß, der andere klein; warum wächst der kleine

       nicht, daß er ebenso groß wird, wie sein Nachbar?«

       »Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte

       der Löwe, und die Hyäne stimmte bei.

       Dann schritten sie weiter.

       Wieder blieb der Hase stehen.

       »Seht, seht,« sagte der Löwe, »der Hase ist stehen

       geblieben! Er hat sein Leben verwirkt!«

       »Ich denke nach,« sagte der Hase.

       »Worüber?« fragten seine Kameraden.

       »Wenn die Menschen sich neue Kleider antun, was

       wird aus den alten?« sagte der Hase.

       »Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte

       die Hyäne, und der Löwe gab ihr recht.

       Wieder gingen sie weiter.

       Da blieb die Hyäne stehen.

       »Sie ist stehen geblieben! Sie darf nicht weiterleben!

       « rief der Hase.

       »Ich denke nach!« sagte die Hyäne.

       »Worüber?« fragten ihre Genossen.

       »Über nichts!« antwortete sie.

       Da fraßen der Löwe und der Hase die Hyäne auf.

       Der Löwe und der Hase wanderten weiter. Da blieb

       abermals der Hase stehen.

       »Du mußt sterben!« sagte der Löwe.

       »Ich denke nach!« entgegnete der Hase.

       »Worüber?« fragte der Löwe.

       Der Hase wies auf eine Felsenspalte und sagte:

       »Siehst du jene Spalte? Unsere Vorfahren pflegten

       dort ein- und auszugehen; denn das Innere des Felsens

       ist eine geräumige Halle. Ich werde hineingehen, und

       wenn ich wiederkomme, sage ich dir, ob es ratsam ist

       für dich, und ob die Halle groß genug ist, daß du auch

       hineingehen kannst.«

       Der Hase ging hinein, und als er wiederkam,

       sprach er zum Löwen: »Gehe du auch hinein.«

       Da ging der Löwe; aber die Spalte war so eng, daß

       er stecken blieb und weder vor- noch rückwärts gehen

       konnte.

       »Du bist stehen geblieben, Löwe!« rief der Hase.

       »Du hast dein Leben verwirkt; aber ich schenke es

       dir!«

       Damit verließ er den Löwen und ging weiter bis zu

       dem Garten, der ihm nun allein gehörte.

       Fußnoten

       1 Die Persönlichkeit des Fuchses ist in den Suahelimärchen

       durch den Hasen vertreten, dem von den ostafrikanischen

       Negern dieselben Attribute beigelegt

       werden, wie im deutschen Märchen dem Fuchs. Der

       Grund hierfür liegt in der Gewohnheit des Hasen, wie

       seines Vetters, des Kaninchens, fortwährend die Lippen

       zu bewegen. »Er weiß überall Bescheid und

       möchte gern sprechen,« sagen die Eingeborenen. So

       wie im Deutschen die Redensart »du Fuchs du« ihre

       besondere Meinung hat, so braucht der Suahele die

       Worte: »Ee Sungura wee, du Hase oder Kaninchen

       du«. So erzählt eine Suaheligeschichte, deren Inhalt

       mir teilweise entfallen ist, von der Schlauheit des Kaninchens

       bei dem Bau eines tiefen Brunnens. Alle

       Tiere beteiligten sich an der Arbeit, nur das Kaninchen

       nicht. Als der Brunnen fertig war, paßten die

       Tiere genau auf, daß das träge Kaninchen nun auch

       kein Wasser daraus bekommen sollte. Das Kaninchen

       aber wußte alle, außer der Spinne, zu hintergehen.

       Tiere und Menschen.

       Eine Suahelisage.

       Es war einmal ein Mann, der für sich und die Seinen

       die Tiere des Waldes und Feldes fing in Fallen, damit

       sie Fleisch zu essen hatten. Er war sehr geschickt im

       Erfinden neuer Fallen; daher konnte er täglich Fleisch

       essen; denn sobald er eine Falle gestellt hatte, fing

       sich ein Tier darin.

       Eines Tages, als er wieder hinging, um zu sehen,

       was sich in seiner Falle gefangen hatte, fand er einen

       Affen darin. Er wollte ihn töten; aber der Affe sprach:

       »Schone meiner, du Kind des Menschen; laß mir das

       Leben. Rette du mich vor dem Regen, so kann ich

       dich vielleicht vor der Sonne erretten.«

       Da nahm der Mann ihn aus der Falle und ließ ihn

       laufen. Ehe er aber in dem Dickicht der Bäume verschwand,

       sprach der Affe zu dem, der ihm das Leben

       geschenkt hatte:

       »Höre meinen Rat! Tue keinem Menschen Gutes;

       denn unter den Menschen gibt es keine Dankbarkeit.

       Tust du einem heute Gutes, so erweist er dir morgen

       Böses.«

       Am folgenden Tage saß eine Schlange in der Falle.

       Da wollte der Mann hinlaufen und seine Freunde

       rufen, daß sie ihm helfen sollten, die Schlange zu

       töten.

       Sie rief ihn aber zurück und sprach:

       »Komm zurück, du Kind der Menschen, rufe sie

       nicht, die mich töten würden. Schenke mir heute das

       Leben; du weißt nicht, welchen Dienst ich dir vielleicht

       schon morgen erweisen kann. Nur Menschen

       vergelten Gutes mit Bösem.«

       Da ließ er ihr die Freiheit und das Leben.

       Als der Mann am folgenden Tage zu seiner Falle

       kam, war ein alter Löwe darin. Den wollte er töten.

       Da sagte der Löwe:

       »Errette mich vor der Sonne, so will ich dich vor

       dem Regen schützen.« Der Mann gab ihm die Freiheit.

       Ehe der Löwe fortlief, sagte er:

       »Du hast mir Gutes erwiesen und sollst es nicht bereuen;

       denn ich bin kein Mensch. Menschen sind nie

       dankbar.«

       Am anderen Tage war ein Mensch in die Falle geraten,

       den befreite der Mann.