„Glaubst du, Karl Albrecht verbündet sich mit Frankreich?“
„Er will König werden, dafür wird er alles tun. Frankreich ist ein mächtiger Alliierter.“
„Du ziehst also in den Kampf?“
„Meine Uniform liegt seit Tagen auf dem Bett.“ Hermann riss sich das Band unwirsch vom Hals und warf es auf den Tisch. „Ich frage mich, weshalb ich mich diesem Modediktat unterwerfe. Es schnürt einem die Kehle zu.“ Ein kratzendes Geräusch war zu hören, als er über seine stoppeligen Wangen fuhr. Sein fülliges Haar war fast zur Gänze silbergrau, nur die Spitzen waren noch braun wie die dichten Augenbrauen. Die Nase war energisch, die Lippen schmal, auf denen meist ein nicht ernstzunehmender Spott lag. Am Kinn hatte er eine kleine Einkerbung. Ansonsten war Hermann muskulös und konnte es mit jedem Milchbart aufnehmen. Davon abgesehen wirkte er auch im Gesicht um einiges jünger als vierzig.
„Du starrst mich an, Kleiner“, riss Hermann ihn aus seinen Gedanken.
„Weil ich gerade daran gedacht habe“, erwiderte Luc grinsend, „welche Schönheit wir mit dir auf dem Schlachtfeld haben.“
„Neidisch?“
„Träum weiter.“
„Nun, wenn es dich tröstet: Du verdrehst auch vielen den Kopf. Damit meine ich jedoch nicht die Soldaten.“ Hermann lachte und zeigte ein teegelbes kräftiges Gebiss. „Zugegeben, ich bin neidisch auf dich.“
„Über mangelnde Frauenbekanntschaften musst du dich zuletzt beklagen.“
Hermann wurde ernst und Luc las plötzlich Mitleid in seinen Augen. „Ich schätze dich sehr, mein Junge.“ Er beugte sich näher und legte Luc väterlich die Hand auf die Schulter. „Deshalb lass dir meinen Vorschlag durch den Kopf gehen. Am Sonntagmorgen werde ich abreisen. Schließ dich mir an und verzichte auf den Besuch bei deiner Familie.“ Der Druck seiner Finger verstärkte sich. „Um deinetwillen.“
Der Freitag schien sich endlos hinzuziehen und es herrschte ein Wetter wie im April. Die Sonne kam und ging, genau wie der Regen. Doch jetzt lag zwielichtige Düsterkeit über der Landschaft, gleichzeitig herrschte drückende Schwüle vor. Henriette saß wie üblich in ihrem ausrangierten Sessel im Salon und empfand die Laune der Natur wie eine Warnung. Deshalb konnte sie sich kaum auf ihre Stickarbeit konzentrieren, die das Wappen ihrer Familie zeigte.
Nach einer Weile vergeblichen Bemühens legte sie den Rahmen auf den Beistelltisch und beobachtete ihre Mutter, die am Tisch wieder eifrig Briefe an die Geschwister schrieb. Alle – bis auf Tante Alexandrine – hatten ihre Teilnahme am Ball abgesagt. Besser gesagt: Keine Antwort war auch eine Antwort. Doch ihre Mutter nahm das nach wie vor hin. Sollte sie doch, Henriette war es egal, weil sie noch immer wütend auf sie und Lotti war.
Antoine ahmte den Laut eines Pferdes nach. Er saß zu Dianas Füssen, die ein Leintuch ausbesserte, und spielte vergnügt mit den Holztieren, die Louis für ihn geschnitzt hatte. Die Großmutter schlenderte von einer Vase zur nächsten und arrangierte die darin gewässerten Gartenblumen ständig neu. Doch weder das kräftige Gelb, Rot und Weiß der Blüten noch der zarte Duft konnten die angespannte Stimmung verscheuchen. Die Ankunft der Großtante stand unmittelbar bevor und Henriette musste unwillkürlich an ein weiteres Märchen Perraults denken: ´Cendrillon ou la petite pantoufle de verreˋ. An das Aschenputtel mit dem gläsernen Schuh, die mit einer bösen Stiefmutter und deren verdorbenen Töchtern gestraft war.
Als Stimmengewirr in der Halle draußen die Ruhe aufscheuchte, zuckte die Großmutter unmerklich zusammen. Vermutlich einige Dienstboten, die sie eigens für das Fest eingestellt hatten. Sogar ein Orchester hatte Lotti verpflichtet, einige neue Kleider beim Schneider bestellt und die besten Köche weit und breit engagiert. Einen solchen Aufwand hatte sie noch nie betrieben und das auch noch angesichts der hohen Schulden!
„Warum soll das heurige Fest so pompös werden?“, rutschte es Henriette heraus, ehe sie sich zurückhalten konnte.
„Sieh an, deine Tochter spricht wieder mit uns“, sagte Lotti mit Blick auf die Mutter, die jedoch weiterschrieb, als hätte sie nichts gehört. „Nun, deine Zukunft wird in diesem Jahr besiegelt, Henriette. Dazu benötigt es einen angemessenen Rahmen. Das ist die schlichte Erklärung.“
„Ach, ihr tut das mir zuliebe?“ Henriette hätte am liebsten laut gelacht. „Die Wahl meines Ehemannes steht ohnehin fest. Warum der Aufwand? Oder lasst ihr euch von meinem Zukünftigen schon jetzt alles bezahlen?“
Diana blickte von ihrer Arbeit hoch. „Gib dem Herzog eine Chance, Henriette. Mein Bruder hat eine hohe Meinung von ihm und das will etwas heißen, denn er ist sehr wählerisch, was den Umgang mit anderen betrifft.“ Da ihre Schwägerin häufig Bettruhe hielt, hatte bisher die Gelegenheit gefehlt, um ihr von der Wendung zu erzählen. Vor allem davon, dass Dianas Bruder Henriettes zukünftiger Schwiegervater war! Ein Phantom, das sie bisher nie zu Gesicht bekommen hatte. Nicht einmal an Dianas Hochzeit hatte der Duc teilgenommen. Angeblich lebte Dianas Bruder sehr zurückgezogen und galt als äußerst menschenscheu.
„Du bist nicht ganz auf dem Laufenden, Diana, denn der Herzog …“, hob Henriette zu einer Erklärung an, „ist längst nicht mehr im …“
„Das Personal ist äußerst schlampig“, fuhr Lotti lautstark dazwischen und drehte die Vase nach allen Seiten. „In die Mitte des Tisches, habe ich gesagt. In die Mitte! Und jetzt hört auf zu reden, Kinder. Ich muss nachdenken.“
Offensichtlich wollte die Großmutter verhindern, dass Diana hinter ihre Pläne kam und hatte Henriette deshalb unterbrochen. Aber früher oder später würde es ihre Schwägerin ohnehin erfahren. Oder hatte Lotti Angst, dass sich Diana auf ihre Seite schlagen und versuchen würde, ihnen die Sache auszureden bevor sie unter Dach und Fach war? Schade, es wäre interessant gewesen, was ihre Schwägerin dazu gesagt hätte. Immerhin kannte sie Philippe am besten von allen in diesem Raum. Doch im Augenblick konnte sie schlecht danach fragen, weil Lotti eine Missachtung ihrer Anweisungen nicht duldete und Henriette hatte keine Lust auf weiteren Streit. Die Auseinandersetzung, die ihr womöglich bevorstand, würde ohnehin hart genug werden, denn kampflos würde sie nicht in diese Ehe gehen!
Das ungleiche Ticken der Standuhren klang durch den Raum, die sich am jeweiligen Ende der Fensterfront gegenüberstanden. Die Großmutter hatte sie unsinnigerweise hereinstellen lassen. Jede Uhr zeigte eine falsche Zeit, egal wie oft man sie einstellte.
Gelangweilt schaute Henriette aus dem Fenster. In der Nähe der Kapelle flanierten einige Höflinge durch den Park, die bereits ihre Unterkunft bezogen hatten. Vor zwei Tagen waren sie angekommen. Mit ihnen Philippe, dessen Blick gerade über die Fassade schweifte. Henriette sank tiefer in den Sessel, obwohl er sie unmöglich sehen konnte. Trotzdem. Bisher war sie ihm erfolgreich aus dem Weg gegangen und daran würde sie freiwillig nichts ändern. Sehr zum Ärger der Mutter, die zu allem Überfluss am Vortag sogar behauptet hatte, dass Philippe gar nicht schlecht aussehen würde. Pah!
Zugegeben, er war manierlich gekleidet, hatte weder einen Buckel noch war er grün im Gesicht. Der Schnurrbart wirkte frisch gestutzt. Das war es aber schon mit den positiven Seiten. Seine Haut war uneben, als hätten sich winzige Würmer von Pore zu Pore gewühlt. Das dunkelblonde, ins rötlich stechende Haar war ziemlich schütter und er hatte abstehende Ohren. Sicher, ein Oger wie aus einer ihrer Geschichten war er bestimmt nicht, aber weit entfernt von einem Traumprinzen. Von seinem Charakter ganz zu schweigen. Mit Schaudern dachte Henriette an die Begrüßung zurück. Er war blasiert aufgetreten und hatte Unnahbarkeit ausgestrahlt. Vielleicht, weil sie eine Frau war. Immerhin wurde ihm nachgesagt, dass er sich im Bett lieber mit Männern vergnügte. Natürlich