Finisterre. Claus Karst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claus Karst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738062977
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war in diesen Tagen wie aufgedreht. So hatte Pascal sie schon lange nicht mehr erlebt. Sie sprühte vor guter Laune und überhäufte ihn mit Zärtlichkeiten. Er hoffte mit allen Sinnen, dass ihnen ein besonders schöner Urlaub bevorstand.

      Den wahren Grund, der Leonie ans Ende der Welt lockte, der sie dorthin zog wie ein Magnet, gegen den anzukämpfen ihr nicht glückte, gegen den sie auch nicht angehen wollte, verheimlichte sie ihm indessen. Sie vermutete zu Recht, dass er wenig Verständnis dafür aufbringen würde. Seit Wochen erreichte sie in fast jeder Nacht in ihren Träumen ein telepathischer Ruf, eine Aufforderung, sich auf den Weg zu begeben. Ein Mann erschien ihr, mit langen schwarzen Haaren, die bis auf seine Schultern fielen, hager sein Gesicht, stechend seine Augen. Er rief sie zu sich und versprach ihr Erlösung von allem Ballast des irdischen Lebens. Leonie wollte vermeiden, dass an ihrem Verstand gezweifelt wurde, konnte und wollte daher weder Pascal, noch sonst jemandem ihr Herz ausschütten.

      Pascal war den Fragen, die die Parapsychologie zu beantworten versucht, wenig zugänglich. Er zog es vor, allen Dingen auf den Grund zu gehen, sie mit dem Verstand zu erfassen.

      Leonie hingegen war seit ihrer Kindheit offen für das Geheimnisvolle, sie gierte förmlich danach. Nun fühlte sie sich auf dem Pfad angelangt, der sie zur Pforte ihrer unauslöschlichen Träume führen würde. Sie könnte endlich das Tor durchschreiten und den Geistern auf die Spur kommen, die seit Kindheitstagen in ihrem Kopf herumspukten, sich dort eingenistet hatten und nicht von ihr abließen.

      Kapitel 2

      Am Tag der Abreise frühstückten sie morgens in aller Ruhe. Die Koffer hatten sie bereits am Abend zuvor gepackt. Als Pascal das Gepäck ins Auto trug, fiel Leonie ein, dass sie ihre Eltern noch nicht über ihre Urlaubspläne informiert hatte. Sie griff nach dem Telefon, ihr Vater meldete sich.

      „Hallo, Paps“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Weißt du, wozu wir uns spontan entschlossen haben?“

      „Ich bin doch kein Hellseher, mein Kleines“, antwortete ihr Vater, der sich längst an die Überraschungen seiner Tochter, die er über alles liebte, gewöhnt hatte. „Spann mich nicht auf die Folter!“

      „Wir fahren ein paar Tage weg und holen unseren Hochzeitstag nach.“

      „Das ist eine gute Idee. Wo soll es denn hingehen, falls ich dich erreichen muss?“

      „Wir fahren ans Ende der Welt, Paps. Meine Handynummer hast du, falls du sie benötigst.“

      „Ende der Welt? Das kann überall sein. Wohin genau?“, wollte ihr Vater wissen.

      „Das Ende der Welt befindet sich für mich in der Abgeschiedenheit der Berge. Ich bin gespannt, wie es dort aussieht. Hoffentlich ist die Erde wirklich eine Kugel und keine Scheibe, damit ich nicht über den Rand falle, ins Weltall plumpse und mir den Kopf an einem Meteoriten stoße.“

      „Was hast du dir in den Kaffee geschüttet, mein Kind?“ Ihr Vater lachte laut. „Aber mal im Ernst: Solltest du dennoch über den Rand stolpern, so würdest du mit Sicherheit der schönste und hellste Stern werden, der nachts am Firmament leuchtet.“

      „Paps, rede nicht solchen Unsinn!“, maulte Leonie. „Ich möchte noch ein wenig meine Kreise auf dem Erdball ziehen, hier strahlen und nicht im All. Aber danke für diese charmante Illusion.“

      „Dass du aber so einfach wegfährst, ohne mir einen Abschiedskuss zu geben, werde ich dir nie verzeihen“, schmollte der Vater.

      „Ach, Paps“, schmeichelte sie.

      „Kommst du endlich?“, rief Pascal in diesem Moment mit einer Stimme, die leichten Ärger verriet. Er konnte zu warten gar nicht leiden, insbesondere wenn Leonie am Telefon kein Ende fand. „Ich bin schon lange fertig mit Packen. Telefonieren kannst du auch im Auto, wie du weißt.“

      Zur gleichen Zeit sagte ihr Vater: „Ich wünsche euch einen schönen Urlaub. Melde dich bitte von dort, damit ich weiß, dass es dir gut geht. Und grüße Pascal von mir.“

      „Mach ich, Paps, und gib Mama einen Kuss von mir!“

      Leonie legte schnell den Hörer auf, ergriff ihren Reiserucksack und stürmte die Treppe hinunter aus dem Haus. Pascal stand wartend am Wagen und knurrte: „Dass ich das noch erleben darf …“

      Anstatt einer Antwort gab Leonie ihm einen zärtlichen Kuss und stieg ein.

      „Nichts vergessen?“, fragte Pascal überflüssigerweise, denn Leonie galt als Organisationswunder, wo immer etwas auszurichten war.

      „Mein Vater klang so irritiert am Telefon darüber, dass wir nichts haben verlauten lassen. Lass uns noch bei meinen Eltern vorbeifahren, um uns zu verabschieden. Es ist doch kein großer Umweg.“ Bittend sah Leonie ihren Mann an.

      „Wenn das kein längerer Aufenthalt wird, meinetwegen“, grummelte Pascal. Er wollte die gute Stimmung nicht gefährden.

      Ihr Vater begrüßte sie erfreut an der Haustür: „Ich hätte dir nie verziehen, meine kleine Löwin, wenn du diesen unwesentlichen Schwenker nicht noch vollzogen hättest.“

      Er nahm sie in den Arm, strich ihr über ihre rotblonde Löwenmähne und gab ihr einen Kuss.

      „Ach, Paps, du wirst doch wohl ein paar Tage ohne mich auskommen.“

      Inzwischen war auch ihre Mutter aus dem Haus gekommen.

      „Ihr fahrt in Urlaub?“, fragte sie, „einfach so? Müssen wir uns um euer Haus kümmern, Blumen gießen? Wie lange bleibt ihr denn?“

      Pascal unterbrach ihren Redeschwall: „Es ist alles geregelt, Mutter, mach dir keine Sorgen. Wir sind zwar eure Kinder, gehen aber nicht mehr in den Kindergarten.“ Er hasste jegliche Art von Bemutterung. „Nun müssen wir aber los, wir wollen uns heute Abend eine Opernaufführung ansehen und möchten rechtzeitig unsere Zwischenstation erreichen.“

      Leonie küsste ihren Vater noch einmal, überaus innig sogar, dann ihre Mutter. Auch Pascal verabschiedete sich von seinen Schwiegereltern mit einem Kuss. Schließlich stiegen sie ein und winkten, bis sie hinter der nächsten Straßenkreuzung abgebogen waren.

      „Findest du diese plötzliche Idee nicht etwas merkwürdig, Lieber?“, fragte Leni Markgraf ihren Mann, als sie zurück ins Haus gingen. „Leonie erzählt dir doch sonst immer alles. Baut sie neuerdings zu dir dieselbe Distanz auf wie zu mir?“

      Johann Markgraf ließ die Frage unbeantwortet im Raum schweben. In der Tat war es das erste Mal, dass Leonie ihn nicht in ihre Pläne eingeweiht hatte. Sie wird es schlichtweg vergessen haben, hakte er das Thema für sich ab.

      Im Wagen fragte Pascal, nachdem sie auf die Autobahn aufgefahren waren: „Welches Hotel hast du für heute Abend gebucht, Liebes?“

      „Wo wir schon einmal übernachtet haben. Erinnerst du dich?“

      „Oh ja, das war eine wunderschöne Nacht, falls mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt.“

      „Ja.“ Leonie sah aus dem Fenster. „Damals konnten wir uns einmal Zeit füreinander nehmen.“

      „Das werden wir auch dieses Mal“, versicherte Pascal. „Hier und heute fangen wir damit an. Versprochen! Jedenfalls will ich nicht der Hemmschuh sein.“

      „Hier?“, Leonie lachte. „Dann halt auf dem nächsten Rastplatz an!“

      „Auf der Autobahn?“ Pascal sah spitzbübisch feixend zu ihr hinüber.

      „Parkplatzsex soll en vogue sein, habe ich gelesen.“ Leonie grinste verschmitzt.

      „Was du alles so liest …“

      Dabei ließ Pascal es bewenden. Sie einigten sich darauf, bis zum Hotel zu warten. Er steuerte den Wagen ohne Hast südwärts.

      Während der Fahrt riss ihre Unterhaltung immer mehr ab, Pascal konzentrierte sich auf den Verkehr, Leonie duselte ein wenig ein. An einer Raststätte legten sie