Schon wähle ich die Nummer von Melissa, Sid und Aaron lieben sie, das muss klappen, ich kann nicht John wieder einspannen, bitte lass sie rangehen, denke ich mir als es läutet. „Hi, Angie, what‘s the matter?“
Nach zwei Minuten ist die Situation viel entspannter, ich melde mich wieder bei Tomas und sage zu: „Melissa kann auf die Kinder aufpassen“, hasste ich ins Gespräch. „Super, du bekommst die Kosten für sie ersetzt, dafür sorge ich! Ach ja und noch etwas, Ron Kern scheint dabei zu sein, er ist im Projekt des LNG-Terminals ja involviert, das stört dich hoffentlich nicht?“, beichtet Tomas jetzt weiter. „Ich werde es hinkriegen müssen, denke ich!“, beende ich knapp unser Gespräch und klinge dabei nicht unglücklich.
Für Montag bin ich erstaunlich gut, denn ich schaffe es den Bürokram abzuarbeiten, bevor ich die Kinder aus der Schule hole und bin zufrieden mit mir.
An diesem Abend fährt John noch zu Richy. Sie wollen von dort gemeinsam am nächsten Morgen, noch bevor es hell wird, losstarten. Es ist mir recht, sehr recht. Zu recht?
Die nächsten beiden Tage bin ich zu Hause, kann die Zeit mit meinen Kindern nutzen und gehe in meiner Mutterrolle voll auf. Gedanken wälze ich in dieser Zeit bewusst keine, es fällt mir allerdings nicht immer leicht, mich daran zu halten.
Es ist schon wieder Mittwochabends, Melissa ist bereits bei uns einquartiert, damit morgen früh alles reibungslos klappt, wie immer werde ich im Frühflug sitzen. Aaron und Sid sind kaum zu bändigen, so freuen sich die beiden über den Besuch von Melissa. Für mich ist es in zweierlei Hinsicht schön, ich weiß, dass meine Kinder Melissa mögen und mit ihr Spaß haben und ich bin zufrieden, denn Melissa spricht nur Englisch, so lernen die Kids bereits spielerisch diese Sprache. Und es ist gut, gut zu wissen für mich, dass sich meine Jungs mit Melissa rundum für ein paar Tage wohl fühlen.
Beim Kofferpacken für meine vier Tage in Triest ertappe ich mich bei Träumen rund um Ron. Ich überlege, was ich anziehen werde, was ich einpacken soll und steh machtlos vor der Qual der Wahl.
Geschlagen – ja ich bin Frau. Ich habe mehrere Kästen voll Gewand und nichts anzuziehen.
Letztlich entscheide ich mich diesmal für violett und schwarz, meine Stimmung ist danach. Ich packe dunkle Jeans und dazu passend ein violettes, bügelfreies Satin-Shirt, es ist eng, nur an den halblangen Ärmeln weit und verspielt. Dann lege ich zur Sicherheit noch den Klassiker, ein kurzes schwarzes Kleid, mit rein. Für einen weiteren Tag wähle ich Perlmuttfarben und Bluejeans, da fühle ich mich wohl. Als dritte Kombination entscheide ich mich schließlich für eine Komposition in Erdtönen. Geschafft denke ich und stelle den Koffer in den Flur.
Der nächste Morgen verläuft ganz wie gewünscht und ehe ich mich in Träumen am Hinflug ausbreiten kann, lande ich bereits an Aeroporto di Trieste-Ronchi, dei Legionari.
Von dort starte ich gleich mit meiner Empfangsdame aus dem Osten, einer kurzhaarigen, großen, sehr robust gebauten Olga, so stellt sie sich vor. Zunächst geht es zum Sitz des Investors in die Hafengegend. Die Fahrt dorthin ist kurvig, langwierig und für den Magen etwas anstrengend. Ich bin froh, als wir endlich halten.
Die Besichtigung des Geländes verläuft sehr langatmig, ich werde von Olga durch das ganze Areal geführt, als wäre ich der Investor, aber ich lasse mir mein Desinteresse nicht anmerken, das gehört dazu. Jeder zeigt, was er hat, denke ich mir. Schließlich sind wir am Nachmittag endlich im Konferenzraum. Die Unterlagen kennen die Geschäftsführer und Shareholder bereits, jetzt geht es darum, dass ich die Herren auf den aktuellen Stand bringe und über Brüssel und das Interesse der RAC berichte.
Gekonnt nehme ich meinen Part ernst und die Riege Herrn in dunklen Anzügen scheint mir auch tatsächlich zuzuhören. Auf kurze Zwischenfragen – zumeist aus der Liga, die mir als ukrainische Interessenten präsentiert wurde – reagiere ich sachlich. Sergej Olgdrov, ist hier der Sprecher und erkundigt sich tiefgreifender. Es lässt sich aber für mich nicht einordnen, ob er sich wirklich wegen des Projektes von Sommers-Hall Gedanken macht oder ob er einfach wissen will, was Ron Kern so weiß und gesagt hat. Nun bin ich keine Information mehr schuldig und am Ende meines Vortrages. Wie immer sollte jetzt ein kurzer Abschlusssatz folgen, da öffnet sich die Türe.
Blondchen ist auch hier?
Die Aufmerksamkeit hat sie, das muss ich ihr lassen. Ein Grinsen kann ich mir dennoch nicht verkneifen. Sie stolpert beinahe über ihre eigenen Beine, kein Wunder in einem viel zu kurzen roten Rock und ebenso roten Highheels ist es für einen jungen Hasen nicht immer leicht. Angie, lass das! Sie erregt auf jeden Fall genügend Aufregung. Mehrere kräftige Arme helfen ihr gleichzeitig über den gefährlich, glatten Boden an den großen runden Tisch. „Entschuldigung, der Flug hatte Verspätung!“ „Das tut mir leid, Nicole“, entgegne ich und bin ganz zahm. „Ich bin soeben am Ende meiner Zusammenfassung des Projektstandes bisher, da haben Sie nichts verpasst. Wie im Terminplan weiter vorgesehen, sehen wir uns in dieser Runde heute abends zu einem Empfang in der Botschaft. Morgen werden wir uns dann vormittags ab zehn Uhr wieder hier einfinden, um über mögliche Synergien zu diskutieren.“ „Ähhh, ja, ich habe noch etwas für sie Mrs Miller“, meldet sich Blondchen schüchtern. Ich kann es nicht leiden, wenn ich nicht das letzte Wort habe und erwidere schroff: „Das kann bis nach Ende des Meetings hier warten, Nicole.“ Nicole nickt und blickt verstohlen auf den leeren Tischbereich vor sich. Jedem Herrn schüttle ich nun bei der Verabschiedung die Hand und erkundige mich dabei quasi nebenbei, ob man sich nachher bei der Botschaft nochmals auf ein Glas Sekt sehe. Wie wenn ich es gewusst hätte, bleibt Sergej ruhig stehen, als ich ihm die Hand reiche, er hält sie mit beiden Händen fest und schmeichelt mir fast unangenehm: „Vielen, vielen Dank für die ausgezeichnete Darstellung, Mrs Miller“, er hat ukrainischen Akzent, ist dank meiner Highheels eigentlich gleich groß wie ich und wiegt wahrscheinlich das dreifache. Er wirkt ungepflegt. Sein teurer Schmuck, Ringe und Ketten und eine Riesenuhr fallen natürlich auf. Von Sonja weiß ich, dass er und Ron gleich alt sind, obwohl Sergej viel, sehr viel älter wirkt. „Gerne doch, sehen wir uns später noch?“, frage ich auch ihn und warte darauf, dass ich meine Hand wieder für mich habe. „Leider, leider bedaure, ich persönlich komme nicht, aber meine Kollegen Dimitrov und Boris hier kommen bestimmt.“ Ich mustere die genannten Herren gleich nebenan, die sehen nicht ganz so schlimm aus und sind halb so alt, geschätzt. „Gut!“, so verabschiede ich mich und bleibe mit meinem letzten Zuhörer zurück.
Endlich kommt somit Blondchen an die Reihe: „Auf Wiedersehen, Mrs Miller, hier ein Umschlag für Sie, ich muss ihn unbedingt persönlich überreichen, hat mir Ron Kern aufgetragen.“ Ich nehme einen kleinen weißen Umschlag in Empfang, stecke ihn beiseite, bedanke mich und packe meine Unterlagen. Blondchen verlässt den Raum, sie brauche ich nicht zu fragen, ob ich sie später sehe, denke ich, es hätte keinen Einfluss, egal was ich ihr auch sagen werde.
In der Dämmerung sitze ich endlich in meinem Taxi zum Savoia Excelsior Palace, ein gutes Hotel, direkt am Ufer zur Adria. Hoffnungsvoll und dennoch langsam öffne ich den Umschlag und lese eine neue Nachricht von Ron. Ich überfliege den Text aufgeregt:
Nimm dich in Acht vor Sergej und seinem Gefolge!
Ich würde dich gerne an meiner Seite haben, hier in Paris. Wir sehen uns bald!
Verdutzt lege ich den Umschlag bei Seite und bin enttäuscht. Ron ist in Paris? Im Hotel angekommen, will ich nur noch auf mein Zimmer, um mich nach dem langen Tag für einen nunmehr nicht so viel versprechenden Abend frisch zu machen. In meinem Zimmer wartet ein Strauß Orchideen, ich bin überrascht, langsam nehme ich die Blumen in Augenschein, sie duften und fühlen sich so zart an.
Das gefällt mir. Das gefällt mir immer mehr.
Das Zimmer ist edel, gediegen und mit einem fabelhaften Ausblick über die Bucht von Triest. Der Strauß hat keine Karte für mich versteckt, ich suche und suche, finde aber keine weitere Nachricht von Ron. Wann sehe ich ihn wohl wieder? Nach einer langen Dusche ist es Zeit für den Empfang bei der Botschaft.
Ich zögere nicht lange und entscheide mich für meinen Klassiker ein schwarzes, etwas kurzes Cocktailkleid mit passenden Highheels, kein Schnickschnack,