»Warum gucken Sie dann jetzt so deprimiert?«
»Na ja, als ich mich ernsthaft zu fragen begann, wer von den beiden Hübschen mir eigentlich besser gefiel, überkam mich … ein menschliches Bedürfnis. Daher entschuldigte ich mich bei den Damen, um kurz die Toilette aufzusuchen …« Bud starrte jetzt wieder in sein fast leeres Glas und schien den Faden verloren zu haben. Deborah stieß ihn an. »Ja und? Was war dann? Sie kamen zurück und …?«
»Ich … kam zurück … als Ellen sich samt Journalistin gerade über die Treppe nach oben in deren Zimmer verzog. Von der Galerie aus warf sie mir sogar noch … eine Kusshand zu …«, lallte Bud mit tieftraurigem Gesicht.
»Böse Ellen!«, kommentierte Deborah mitfühlend, aber in ihrem Gesicht zuckte es verdächtig. Dr. van Houten, der sich das Lachen kaum mehr verbeißen konnte, hatte sich vorsichtshalber abgewandt.
»Warum immer ich …? Muss jetzt … pennen …« Bud kippte vom Barhocker. Mühsam einen prustenden Heiterkeitsausbruch unterdrückend, hievten Deborah und Dr. van Houten den Abgestürzten wieder auf die Beine und nahmen ihn in ihre Mitte.
»Er kann in meinem Zimmer auf dem Sofa schlafen, seine Sachen hat er schon heute Vormittag hergebracht. Wir können also morgen pünktlich starten«, bemerkte der Doktor pragmatisch.
»Tja, ich gehe ja nicht davon aus, dass er morgen sehr fit sein wird«, zweifelte Deborah breit grinsend, »aber wir werden ja sehen. Was meinen Sie, erzählen wir den anderen von der Warnung Mr. Setiawans?«
»Ich meine, wir lassen es vorläufig. Wer weiß, ob seine Informationen überhaupt den Tatsachen entsprechen. Kannten Sie ihn eigentlich vorher schon?«
»Nur seinen Namen, bin ihm nie persönlich begegnet. Aber er steht in dem Ruf, äußerst korrekt und pflichtbewusst zu sein – hier keine Selbstverständlichkeit. Er gilt als unerbittlicher Feind der Wilderer, außerdem kämpft er vehement gegen die Abholzung des Regenwaldes, auch mit politischen Mitteln. Ich glaube schon, dass wir seinem Rat folgen sollten und sehr vorsichtig sein müssen.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung.«
Als sie den nahezu bewusstlosen Bud endlich auf das Zimmer geschafft hatten, wandte sich Dr. van Houten an Deborah. »Danke für Ihre Hilfe, soll ich Sie heimbringen?«
»Nein danke, ich nehme einen der beiden Wagen und bin damit morgen pünktlich wieder zur Stelle.«
»Gut, wie Sie meinen. Aber passen Sie auf sich auf!«
»Ja, mach’ ich ganz sicher. Dann bis Morgen!«
»Bis Morgen!«
Kapitel 4
Wider Erwarten waren am nächsten Morgen tatsächlich alle Expeditionsmitglieder pünktlich zur Stelle, und die beiden Geländewagen konnten beladen werden. Sogar Bud packte mit an, so gut es sein gewaltig verkaterter Zustand erlaubte. Nur als er Anstalten traf, sich auf den Fahrersitz eines der Fahrzeuge zu setzen, führte ihn Ellen – zwar sanft, aber sehr bestimmt – am Arm zur Beifahrerseite. Als sie am Steuer Platz nahm, wirkte sie bestens gelaunt und frisch wie der Frühling, obwohl ihr Alkoholkonsum am Vortag im Vergleich zu Buds kaum geringer ausgefallen war. Den anderen Wagen lenkte Deborah, die auch die Führung übernahm, als sie Padang schließlich in östlicher Richtung verließen. Dr. van Houten saß neben ihr auf dem Beifahrersitz, während Karim sich zu den beiden Jüngeren im zweiten Wagen gesellte.
Schon bald wurden die Häuser und Wellblechhütten spärlicher. Auf der vorerst gut ausgebauten Straße erreichten sie die Grenze des Nationalparks Kerinci Seblat, der sich mit der schier unglaublichen Fläche von fast vierzehntausend Quadratkilometern über insgesamt vier Provinzen der Insel Sumatra erstreckte. Ihr Ziel lag weit im Südosten des Nationalparks, und so lagen noch etliche Stunden Fahrt vor ihnen.
An einer Abzweigung bog Deborah in Richtung der Twin Lakes von der Hauptstraße ab. Bald darauf passierten sie den Danau Diatas, einen von zwei Seen vulkanischen Ursprungs. Von den Seen folgten sie einem langen Tal, an dessen Ende sich als höchste Erhebung Sumatras der mächtige Vulkankegel des Gunung Kerinci bis zu 3800 Metern gen Himmel erhob. Die Gegend erwies sich als spärlich besiedelt. Auf der nun schlechteren Straße passierten die beiden Fahrzeuge immer wieder kleine Hütten und Häuser. Unter den häufigen Schlaglöchern litt insbesondere Bud, der sich krampfhaft Mühe gab, Kopfschmerzen und rebellierenden Magen irgendwie unter Kontrolle zu halten, was Ellen zu einem spöttischen Lächeln veranlasste.
»Konzentriere dich auf den Wagen vor uns, dann wird dir nicht so leicht übel«, riet sie ihm. »Falls du weiterhin aus dem Seitenfenster starrst, werden wir bald entweder anhalten oder den Wagen reinigen müssen«, ergänzte sie schnippisch, während sie ihn von der Seite prüfend musterte. Wenngleich Unverständliches knurrend, wandte Bud seinen Blick aber dennoch nach vorn, riss plötzlich die Augen auf und brüllte: »Bremsen! Um Gottes willen, bremsen!« Sofort trat Ellen das Bremspedal bis zum Anschlag durch, während sie gleichzeitig den wild schlingernden Wagen auf der Straße zu halten versuchte. Nur knapp schaffte sie es, dass ihr Fahrzeug nicht gegen den quer auf der Fahrbahn stehenden ersten Wagen krachte. Lediglich Zentimeter trennten ihre Stoßstange von der Beifahrertür, aus deren Fenster ihnen Dr. van Houten entsetzt entgegenstarrte, als der auf ihn zuschlitternde Geländewagen endlich zum Stillstand kam.
»Was zum Henker …?«, brüllte Ellen, während sie mit beiden Händen auf das unschuldige Lenkrad eindrosch. »Kann Deb auf einmal nicht mehr Auto fahren? Oder hat sie womöglich für irgendein blödes Vieh gebremst, das wäre echt typisch!«
Sie legte wütend den Retourgang ein und setzte das Gefährt abrupt ein Stück zurück, um Dr. van Houten das Aussteigen zu ermöglichen. Dann sprang sie aus dem Wagen, während der noch immer schockierte Bud sich umständlich vom Sicherheitsgurt zu befreien versuchte. Karim, der zuvor auf der Rückbank lag und bei dem heftigen Bremsmanöver auf den Boden hinter die Frontsitze geschleudert wurde, rappelte sich fluchend auf.
Als es Bud endlich schaffte, die Wagentür zu öffnen und mit weichen Knien auszusteigen, schien sich Ellen, die neben dem rechten Vorderrad des Führungswagens kniete, wieder beruhigt zu haben. Dr. van Houten und Deborah standen hinter ihr.
»Was war denn los?« Bud stützte sich auf die Motorhaube, die sich im nächsten Augenblick allerdings als derartig heiß entpuppte, dass er die Hand mit einem Schmerzlaut rasch zurückzog. Deborah verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ein Reifen ist geplatzt. Aber zum Glück auf einem geraden Straßenstück. Wäre das in einer Kurve passiert, wären wir geradeaus in den Urwald gerauscht – und würden jetzt höchstwahrscheinlich an einem Baum kleben.«
»Mit Glück oder Pech hatte das gar nichts zu tun.« Ellen zog ein Jagdmesser aus der Scheide an ihrem Gürtel. »Da hat uns jemand einen gewaltig dummen Streich gespielt.« Mit der Klinge werkelte sie an der Lauffläche des platten Reifens herum und quetschte schließlich ein Metallstück heraus, das sie den anderen auf ihrer offenen Handfläche präsentierte: Vier scharfe Stacheln, in der Mitte so verschweißt, dass die Enden nach allen Richtungen abstanden. Durch die Konstruktion besaß das Teil auf dem Boden einen stabilen Stand, während einer der Stacheln jeweils nach oben zeigte. Der perfekte Reifenzerstörer.
Dr. van Houten wechselte einen langen Blick mit Deborah, die nur zustimmend nickte, woraufhin er sich den anderen zuwandte: »Ich … muss euch etwas mitteilen. Anlässlich unserer überraschenden Einladung durch den Chef des Nationalparks wurde nicht nur freundschaftlich über die Erfolgschancen unserer Expedition geplaudert.«
»Sondern …?« Ellen runzelte die Stirn.
»Er warnte uns davor, dass radikale Moslemgruppen unser Vorhaben verhindern wollen«, gestand der Doktor.
»Und das sagen Sie uns erst jetzt?«, ereiferte sich Ellen, während Bud nur verständnislos vor sich hinstarrte. »Wann hätten Sie uns das denn mitteilen wollen? Deb, warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich trage die Verantwortung für eure Sicherheit im Urwald und muss über alles im Bild sein, sofern ich meine