GARD SPIRLIN
Ebu Gogo
Roman
Die Entdeckung nur weniger tausend Jahre alter Fossilien des Homo floresiensis auf einer kleinen indonesischen Insel hat die gängigen Lehrmeinungen über die menschliche Evolution auf den Kopf gestellt. Lebten frühe Vorfahren des Menschen möglicherweise gleichzeitig in unmittelbarer Nachbarschaft des Homo sapiens? Existieren in abgelegenen Gegenden womöglich noch immer deren Nachkommen? Geführt von dem Anthropologen Dr. Alex van Houten macht sich eine Expedition nach Sumatra auf, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Doch es gibt Gegner, die genau das verhindern wollen …
Impressum
© Gard Spirlin
c/o Gerhard Schneider
Weisselgasse 23/2/2
1210 Wien
2. Auflage, Juni 2021
Autor: Gard Spirlin
Imprint: Independently published
Lektorat: IWO - www.kritzelkunst.de Satz, Coverbild: Gerhard Schneider ISBN: 978-3-7380-5986-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Über den Autor
Gard Spirlin hat bereits mit der Veröffentlichung zahlreicher Kurzgeschichten aus den Genres Science-Fiction, Fantastik und Krimi auf sich aufmerksam gemacht. In Wien geboren und aufgewachsen arbeitet er hauptberuflich als Elektronik-Konstrukteur an der Entwicklung digitaler Sprachaufzeichnungssysteme. Für die Science-Fiction-Story RoboWrite wurde er 2016 für den Kurd Laßwitz Preis nominiert. Die Kurzgeschichte Dann singe ich ein Lied für dich errang den ersten Platz beim Vincent-Preis 2019. Sein erster Roman Ebu Gogo erschien 2016 und liegt nun in zweiter, überarbeiteter Auflage vor.
Für alle Menschen, die ihr Leben der Erhaltung der Tier- und Pflanzenwelt unseres wunderbaren Planeten widmen.
Prolog
»Sie sind doch nicht extra aus Europa hierher nach Sumatra gekommen, nur um mir zu sagen, dass ich seit Jahren nach einem Tier suche, das vielleicht gar kein Tier ist?«
Überrascht blickte Dr. Alex van Houten von seinem Laptop auf und warf der attraktiven Mittvierzigerin gegenüber einen erstaunten Blick zu.
»Natürlich nicht! Ich dachte, das hätte ich schon erwähnt … entschuldigen Sie. Nein, ich beabsichtige eine Expedition zu organisieren und wollte Sie eigentlich davon überzeugen, daran teilzunehmen. Selbstverständlich würde ich mich auch um die Finanzierung bemühen, aber zuerst lag mir daran zu versuchen, eine Expertin wie Sie für diese Unternehmung zu gewinnen. Nämlich jemanden, der einen Ebu Gogo schon einmal gesehen hat. Was halten Sie davon, Dr. Lindsey?«
»Deborah, bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Und ich sah bestenfalls einen Orang Pendek – wobei ich mir dabei mittlerweile selbst nicht mehr sicher bin.«
»Wie die jeweiligen Einheimischen ihre Begegnungen im Urwald benennen, halte ich für nebensächlich. Viel wichtiger ist, dass die verschiedenen Beschreibungen der unbekannten Spezies – auch der Ihren – erstaunlich übereinstimmen. Und für wie wahrscheinlich halten Sie die Existenz zweier unterschiedlicher und unentdeckter Hominiden auf den indonesischen Inseln?«
»Eine einzige bislang unbekannte Hominidenart wäre schon eine Sensation! Natürlich immer vorausgesetzt, dass ihre Theorie stimmt, und es sich wirklich um urzeitliche Menschen handelt, die in der Abgeschiedenheit der letzten Regenwälder bis heute überlebten.«
Nachdenklich drehte Deborah ihr Cocktail-Glas und blickte hinein, als erwarte sie von dort eine Antwort.
»Wissen Sie, Alex, dieses Lebewesen, das ich damals sah – oder zumindest glaube, gesehen zu haben – besaß zwar einen aufrechten Gang, aber auch Menschenaffen richten sich zuweilen auf. Nur weil es die hiesigen Einheimischen mit den indonesischen Worten Orang Pendek als Kleiner Mensch bezeichnen, könnte es sich dennoch einfach nur um eine bislang nicht erforschte Affenart handeln. Immerhin benannten die Indonesier auch den Orang-Utan als ›Waldmensch‹. Und der ist definitiv ein Affe.«
»Selbstverständlich verstehe ich, dass Sie als Zoologin eine andere Sichtweise einnehmen, als ein Anthropologe wie ich. Aber ich war dabei, als wir auf der Insel Flores – gar nicht so weit entfernt von Sumatra – die Fossilien desjenigen Urmenschen fanden, der in der heutigen Wissenschaft als Homo floresiensis, also ›Mensch von Flores‹ geführt wird. Und obwohl dieser Fund Merkmale aufweist, die einem sehr frühen Hominiden ähneln, der vor weit über einer Million Jahre lebte, wurden die jüngsten dieser Knochen auf ein Alter von gerade einmal 12.000 Jahre datiert! Das bedeutet, dass dieser Urmensch die Inseln damals bereits mit dem modernen Menschen teilen musste. Doch wenn man den Einheimischen von Flores glauben mag, existierten dort sogar bis in die jüngste Vergangenheit noch immer solche Ebu Gogo, wie sie selbst sie nennen.«
Draußen war inzwischen die kurze Tropendämmerung in die Nacht übergegangen. An der Decke der Bar mühte sich ein träge rotierender Ventilator vergeblich, die stickig feuchte Luft ein wenig erträglicher zu machen. Dr. van Houten drehte den Laptop zu Deborah.
»Hier, sehen Sie! Das sind forensische Rekonstruktionen unserer fossilen Knochenfunde. So könnten unsere fernen Verwandten ausgesehen haben. Sie waren sehr klein, auch als Erwachsene nicht mehr als einen Meter groß! Daher auch der Spitzname ›Hobbit‹, welchen die Presse gerne für diesen Homo floresiensis verwendet. Wenn Ihnen solch ein Individuum im Urwald begegnet, können Sie es leicht auch für einen Affen halten.«
Deborah blickte auf den Bildschirm, runzelte die Stirn und seufzte.
»Ich sagte ja schon, dass ich manchmal selbst daran zweifle, was ich gesehen habe. Nur eines ist jedenfalls sicher: Es handelte sich um keine mir bekannte Spezies. Später nahm ich dann eine Stelle beim WWF an, um dabei zu helfen, die hier lebenden Tiger vor der Ausrottung durch Wilderer zu bewahren, aber in meiner Freizeit versuchte ich immer wieder, meine Begegnung mit diesem Geschöpf zu wiederholen. Leider erfolglos.«
»Kennen Sie die ›History of Sumatra‹ von William Marsden? Im frühen 19. Jahrhundert beschrieb er darin unter anderem ein Volk von ebenfalls sehr kleiner und affenartiger Erscheinung. Aber laut Marsden benutzten sie eine eigene Sprache, und einer von ihnen soll sogar mit einer Frau vom Stamm der Labun Nachkommen gezeugt haben.«
»Ja, ich kenne diese Geschichte. Aber William Marsden erfuhr vieles, was er aufschrieb, nur aus zweiter Hand, und sogar er selbst räumte eine zweifelhafte Glaubwürdigkeit in diesem Fall ein. Außerdem, da Sie mir schon mit uralten Büchern winken: Bereits Marco Polo erwähnt gegen Ende des 13. Jahrhunderts, dass auf Sumatra ›behaarte Menschen‹ leben würden, allerdings besäßen sie auch einen Schwanz, was doch wohl eindeutig für einen Affen spricht – oder, verehrter Doktor?«
Deborah konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, und selbst die bis dahin todernste Miene Dr. van Houtens verzog sich zu einem Lächeln.
»Ja, schon gut, ein Punkt für Sie, meine Liebe. Im Zusammenhang mit meinen Ebu Gogo geht mit mir schnell mal die Begeisterung durch. Aber die momentan wichtigste Frage betrifft Sie: Werden Sie mir helfen? Suchen Sie gerne nach einem Affen, während ich nach Hominiden Ausschau halte – aber ich bin sicher, dass wir beide das Gleiche finden. Was halten Sie davon?«
Deborahs Grinsen wurde noch ein wenig breiter.
»Wenn sich eine Gelegenheit zur Affenjagd bietet, werde ich sie, zum Teufel noch mal, auch ergreifen!«
»Also abgemacht?«
»Abgemacht!