Sie hatte schon lange darauf gewartet, nur seine umständliche Frage erheiterte sie.
Oft hatte sie sich überlegt, die Initiative zu ergreifen. Er war einfach zu schüchtern.
«Warte ab», hatte Annamaria, die Küchenmagd sie gebremst, «der kommt schon in die Gänge.»
Adelheid nahm die Beziehung in die Hand. Zwei Jahre später und hochschwanger führte sie den Bräutigam zum Altar.
Im achten Monat erlitt sie eine Fehlgeburt.
Endlich am 13. Januar 1840 wurde der langersehnte Stammhalter geboren. Freudestrahlend hielt Fedor den Jungen hoch.
«Hier seht, unser Friedrich!», damit präsentierte er seinen Sohn der Taufgemeinde.
Es war eine schwere Geburt, Adelheid hatte viel Blut verloren, zwölf Tage später starb sie im Kindbett.
Trotzdem blieb Fedor positiv, hatte für jeden ein gutherziges Wort, freute sich an dem Kind.
Die Jahre vergingen, Fedor war sehr nachsichtig mit seinem Sohn, verzärtelte ihn geradewegs. Versuchte ihn zum künftigen Schweineknecht zu erziehen. Dies misslang vollkommen. Friedrich war ein Eigenbrötler, ihm fehlte nicht nur die Mutter, sondern auch ein Vater, der ihm sagte, wo es lang ging. Der Junge hatte die große kräftige Statur seines Vaters, überdies die blonden Haare sowie die hellblauen Augen der Mutter geerbt, aber nicht deren Zielstrebigkeit und freundliches Gemüt. Friedrich war ein Verweigerer, lernte nicht in der Schule, war unzufrieden, schimpfte auf jeden und alles, beschuldigte immer die anderen.
Fedor diskutierte gerne nach dem Gottesdienst mit seinem Freund, dem Pater Reuther bei einer Tasse Kaffee, verschiedene Bibelstellen. Oft klagte er ihm sein Leid: «Ich weiß nicht, was ich mit dem Jungen noch anfangen soll, er arbeitet nichts Richtiges, hockt nur herum, ist zu jedermann ruppig.»
«Lass ihm Zeit, das wird schon», erwiderte der Pfarrer, «er braucht etwas länger zum Erwachsenwerden.»
«Du hast gut reden, wie lange noch? Andere sind mit Zwanzig schon verheiratet und tragen Verantwortung», Fedor hob resigniert die Arme: «Ich habe einen grantigen Nichtsnutz daheim rumhocken, dazu einen der stinkt wie ein Iltis. Er wäscht sich nicht, läuft nach der Arbeit weiter in den dreckigen Stallklamotten herum.»
«Hättest dir doch wieder eine Frau nehmen sollen, dem Jungen fehlte schlichtwegs die erziehende Hand und die Fürsorge einer Mutter.»
«Da hatt´ sich nichts gefunden, keine kann mir die Adelheid ersetzen.»
«Du gibst Friedrich immer noch unbewusst die Schuld an Adelheids tot. Lass los, leg alles in Gottes Hände. Es war der Wille des Herrn, der deine Frau so bald zu sich heimgeholt hat.»
«Du hast leicht reden, du hast kein Kind!»
«Stimmt! Trotzdem mach Frieden, vergib Friedrich, du hast nur den einen, nimm ihn so, wie er ist!»
Fedor sinnierte die halbe Nacht über das Gespräch. Er nahm sich vor, zukünftig mehr Verständnis und Geduld aufzubringen.
Mooreichen 1873 – Inge und Friedrich
Eine Familie in zerlumpten Klamotten kam mit ihren drei Kindern auf den Gutshof. Der junge Baron von Streselitz trat aus dem Pferdestall und fragte grob: «Was wollt ihr hier, für Bettler gib es nichts.»
Er hatte, nachdem sein Vater im letzten Jahr verstorben war, das Gut Mooreichen übernommen.
«Nein, werter Herr, wir betteln nicht! Braucht ihr vielleicht eine junge Dienstmagd? Hier unsere Älteste, sie heißt Inge, sie ist fleißig und folgsam.» Damit deutete er auf ein schmächtiges in schmutzige Lumpen gehülltes Mädchen.
«Nein bitte, ich will nicht! Lasst mich bei euch», bettelte die etwa Achtjährige.
«Kind, du must jetzt tapfer sein, es geht nicht anders», der Mutter liefen die Tränen über das Gesicht, «Wir können dich nicht mehr mit durchfüttern, sonst verhungern wir alle. Du bist doch ein großes Mädchen, sorge für dich selbst. Hier hast du es bestimmt gut!»
Inge schmiegte sich an die Mutter, der Vater packte unsanft ihre schmutzige Hand und zog sie fort: «Für fünf Goldmark gehört meine Kleine euch, ihr könnt mit ihr tun, was ihr wollt.» Zweideutig zwinkerte er dem Gutsherrn zu.
Mittlerweile war der Verwalter zu der Gruppe getreten.
«Herr Baron, nachdem die alte Resi gestorben ist, fehlt eine junge Magd in der Küche. Das Kind füttern wir, dann wird sie kräftiger.»
«Drei Mark, keinen Pfennig mehr! Schlagt ein!», angewidert hielt Streselitz dem Mann die Hand hin, der zögerte kurz und schlug ein.
«Peter zahl ihn aus und schick das Mädchen in die Küche!», hinter vorgehaltener Hand flüsterte er ihm noch zu, «Sieh zu, dass dieses Lumpengesindel schleunigst den Hof verlässt.»
Der Verwalter zählte die Münzen dem Mann auf die Hand, der packte sie in seinen Beutel und verließ rasch den Gutshof.
«Man weiß ja nie, große Herren überlegen es sich oftmals wieder anders», flüsterte er seiner Frau zu und trieb sie mit den Kindern zur Eile an.
Fedor, war im Februar 1873, unmittelbar Zeuge dieses Handels. Schüttelte den Kopf, wenn er daran dachte, wie traurig die Kleine sehnsüchtig ihren Eltern nachgeschaut hatte. In seinen Augen grenzte das schon an Sklavenhandel, er verstand Menschen nicht, die ihre eigenen Kinder verkauften. Das käme ihm nie in den Sinn.
Inge Sofia Rudnik fügte sich in ihr neues Leben ein, sie blühte auf. Die Arbeit gefiel ihr, die Küchenmamsell Alex erklärte ihr die Örtlichkeiten sowie ihre künftigen Aufgaben.
«Später bringe ich dir sogar etwas Lesen und Schreiben bei. Bei uns darfst du dies in der Küche lernen, so hat es bereits der alte Herr Baron angeordnet. So - sei’s drum, jetzt heißt es sich sputen, genug gequatscht.»
Sie schob der Jungmagd einen großen Korb Kartoffeln zu: «Bis Mittag müssen die alle geschält sein. Heute gibt es für die Dienstboten Bratkartoffeln mit Kraut.»
Das Essen für die Herrschaften bereitete die Küchenchefin Alex eigenhändig zu. Inge war für die bescheidenen Mahlzeiten der Angestellten zuständig.
Das Mädchen entwickelte sich langsam zu einer jungen Frau. Sie lernte fleißig.
«Inge, ich bin überrascht, wie fabelhaft du dich in den letzten Jahren eingelebt hast. Du wirst einmal eine exzellente Partie abgeben», neckte sie die Köchin.
Beim Ausleeren des Küchenabfalls auf dem Misthaufen bemerkte sie den Schweinehirten das erste Mal und wechselte ein paar belanglose Worte mit ihm. Sie dachte sich nichts dabei, war nur freundlich zu dem über zwanzig Jahre älteren Mann. Ab und zu begegneten sie sich im Hof. Legte er es darauf an, passte er sie ab? Immer hatte sie ein paar nette Worte für ihn, genauso wie zu jedermann.
Spät abends war sie, wie alltäglich, auf dem Weg zur Misten und zog davor ihre Schuhe aus, damit die nicht schmutzig wurden. Sie klemmte den Zipfel ihres langen Rockes hoch in den Gürtel, rannte den Brettersteig vom Dunghaufen rauf und leerte oben auf dem dünnen Brett balancierend ihren Abfalleimer aus. Bei dem Gestank schüttelte es sie jedes Mal, sie versuchte, die Luft anzuhalten. Eilig lief sie herunter, direkt zum Brunnen an der Scheune, wusch sich wie gewohnt die verschmutzten Füße und spülte ihren Eimer aus.
Sie roch ihn eher, als dass sie ihn sah. Er stand plötzlich hinter ihr, hatte sich heimlich angeschlichen. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück.
Friedrich packte sie mit seinen kräftigen Händen an der Schulter, drängte sie in Richtung Scheune.
«He Mädchen stell dich nicht so an! Du willst es doch auch!»
Sie versteifte sich und versuchte sich zu befreien: «Was will ich? Ich, nein, lass mich, ich muss in die Küche.»
«Was ist los mit