Es war nicht meine Schuld. Thomas Spyra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Spyra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752919431
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      Er hatte dem Verwalter die Erlaubnis erteilt, dass alle Bediensteten, die nicht dringend gebraucht wurden, daran teilnehmen durften.

      Musik, Theater und akrobatische Vorführungen, ein abwechslungsreiches Programm hatte die Truppe auf die Beine gestellt. Zum Finale sangen alle vierzehn Mitspieler gemeinsam das Lied:

       Alleweil ein wenig lustig,

       alleweil ein wenig durstig,

       alleweil ein wenig Geld im Sack,

       alleweil ein wenig Schnupftabak,

       allzeit so, so!

       Man rede, was man will,

       ich aber schweig fein still!

       Alleweil ein wenig Geld im Sack,

       alleweil ein wenig Schnupftabak,

       allzeit so, so! ...

      

      «Fedor – sofort aufhören!», schrie der Impresario einen jungen Mann an, der durch sein schräges Gebrumme auffiel und verwies ihn der Manege.

      «Entschuldigung Herr Baron, aber der Fedor trifft leider immer die falschen Töne.»

      Streselitz lachte und klatschte: «Wäre vielleicht ein besserer Schweinehirte geworden, denn ein Sänger.»

      «Da habt ihr Recht! Ich lasse euch den Kerl für zwei Taler hier. Mit Tieren fing er bisher wenig an, aber er liest und schreibt ordentlich. Er hat eine schnelle Auffassungsgabe und lernt alles im Handumdrehen, nur nicht das Singen», lachte Holderlind.

      Streselitz betrachtete den jungen Mann näher, überlegte still für sich: Er ist groß und kräftig, kann bestimmt fest zupacken, außerdem strahlt er einen gutmütigen Blick aus.

      Der Prinzipal der Truppe setzt hinzu: «Fedor ist uns quasi in den Schoss gefallen. Wir fanden den Dreijährigen vor Jahren am Wegesrand neben seinen toten Eltern. Unsere Frauen haben sich des armen Würmleins angenommen. Nachforschungen haben ergeben, dass seine Leute, eingewanderte Siedler aus dem Salzburger Land, Straßenräubern zum Opfer gefallen sind. Niemand wollte den Knaben, und so wuchs er bei uns auf.»

      Er verschwieg allerdings, dass er die Familie gekannt hatte, ahnte, was geschehen war. Die Geschichte hatte er mit seiner Frau sowie den Gauklern und Musikanten abgesprochen.

      «Fedor sieht überhaupt nicht jüdisch aus», meinte Judith damals, als sie den Kleinen auf dem Arm wiegte, «mit seinen hellen Haaren und den braunen Augen.»

      Der Bub sollte es einmal besser haben, waren sich alle einig.

      «Ich nehme ihn, die zwei Taler ist er mir wert.»

      Überrascht schaute Holderlind den Baron an, damit hatte er nicht gerechnet.

      «Ist es dein Wunsch bei uns zu bleiben, Fedor», fragte die Baronin den jungen Mann, der verunsichert von einem zum anderen guckte, nicht begreifend, dass er glattwegs verschachert wurde.

      «Ja, glaube schon, ich weiß nicht, vielleicht – wenn ihr meint», stotterte Fedor.

      «Wilhelm Gustav, gib dem Direktor zwei Taler und dem Jungen drei zum Willkommen.» Entschied die Baronin kurz entschlossen. «Ich hoffe, ihr seid alle einverstanden.»

      Damit brach für den jungen Fedor Scholty ein neuer Lebensabschnitt an. Der attraktive achtzehnjährige Bursche, nach dem sich viele Mädchen umdrehten, wurde Schweinehirte auf dem großen Gutshof.

      «Schweinehüten macht mehr Spaß, als die Hopserei und das Gesinge bei der fahrenden Truppe», erklärte er jedem, der fragte, warum er nicht mit den Musikanten in die weite Welt gezogen sei. Die Meisten schüttelten mit dem Kopf, dies verstanden sie nicht.

      «Ihr könnt das nicht nachvollziehen, mein Dasein war bisher jämmerlich. Ich fühlte mich zu nichts nutze, ständig unterwegs und ohne ein festes Zuhause.»

      Sein neues Leben war kein Zuckerschlecken, Tiere waren für ihn unbekannte Wesen, insbesondere Schweine.

      «Nur Mut Junge, das bringe ich dir alles bei und in ein paar Jahren, wenn ich mein Altenteil genieße, übernimmst du die Herde», lächelte Karl. Der alte Schweinehirte war froh endlich einen Nachfolger zu haben.

      «Wie viele solcher Wildschweine habt ihr hier?»

      Karl kicherte, «Das sind Wollschweine, keine Wilden. Im Moment haben wir sieben Eber und fünfzig Muttersauen. Dazu etwa um die einhundertsechzig Ferkel sowie achtzig Jungschweine.»

      «Ich habe noch nie eine so große Schweineherde gesehen.»

      «Hier in Schlesien gibt es erst wenige Großgrundbesitzer, die sich mit der Schweinezucht beschäftigen. Die Mutter unserer Frau Baronin stammt aus Ungarn, da betreibt man die Zucht schon seit längerer Zeit.»

      Fedor nickte und Karl fuhr fort: «Der Familie Streselitz gehört das Anwesen bereits in der zweiten Generation. Der Vater des jetzigen Barons kam als Rittmeister mit den österreichischen Truppen der Kaiserin Maria Theresia 1734 nach Schlesien. Er schlug sich rechtzeitig auf die Seite des Preußenkönigs Friedrich und erwarb sich große Verdienste im Krieg, dafür wurde er geadelt. Zu dem Landsitz, hier in der schlesischen Kornkammer zwischen Oppeln und Breslau, gehören riesige Ländereien. Streselitz ließ in wenigen Jahren Schloss und Rittergut Mooreichen errichten.»

      Stolz zeigte der Schweinehirte dem jungen Mann den großen Gutshof. Mit fast zweihundert Schweinen, einhundert Kühen und zwanzig Pferden, ein stattliches Anwesen.

      Die Durchfahrt in den Vierseithof führte mittig durch das lange Stallgebäude. Daneben schloßen sich rechts die Scheune und links der Pferdestall, sowie die Remise und die Wirtschaftsgebäude an. Den Abschluss des etwa zweihundert Meter im Geviert großen Innenhofes bildete im Süden das Schloss der Herrschaften.

      Fedor war von frühmorgens bis spätabends mit den Tieren beschäftigt. Er sog das Wissen des alten Knechtes regelrecht in sich ein.

      Anfangs verstand er nicht, warum sich die Schweine, kaum dass er sie auf die Hutung scheuchte, im Schlamm wälzten. Karl erklärte ihm, dass sie so die Flöhe aus ihrer Wolle vertrieben.

      Die Tiere liebten es, wenn er sie zwischen den Ohren oder auf dem Bauch kraulte. Die Schlachttage waren für ihn katastrophal und er verdrückte sich regelmäßig, wenn der Fleischer kam.

      Als es wieder einmal so weit war, legte Karl seinen Arm um Fedor: «Es ist traurig, aber das Töten gehört dazu, Junge gewöhne dich daran. Hilf den Tieren, die haben Angst, hören und riechen was passiert. Sprich mit ihnen, du beruhigst sie damit und das Fleisch wird dadurch auch besser, zarter.»

      Fedor achtete auf peinliche Sauberkeit bei sich, sprang, selbst im Winter, wenn der kleine See gefror, nach Feierabend ins Wasser und benutzte die eigenhändig gebaute Schwitzhütte.

      «Irgendwann hast du vor lauter Schruppen keine Haut mehr dran. Man kann es auch übertreiben!», schüttelte sein Freund der Pferdestallbursche den Kopf.

      «Ich rieche lieber nach Seife, als nach Schweinekot.»

      Wenn er nach Feierabend in die Stadt fuhr, im schwarzgestreiften Anzug, weißem Stehkragenhemd, Fliege und weißen Handschuhen, vermutete niemand den Schweineknecht in ihm.

      Zwei Jahre später kam die fünfzehnjährige Lohnmagd Adelheid Hammer auf den Hof. Für ihr Alter war sie schon prima entwickelt, groß und schlank, etwas schlaksig noch, aber eine Oberweite, die fast das Mieder sprengte. Die blonde Haarpracht war zu zwei Zöpfen geflochten und hochgesteckt. Das runde von Sommersprossen übersäte Gesicht zierte ein roter auffälliger Schmollmund.

      Fedor verguckte sich in das hübsche Mädchen. Bei jeder Gelegenheit suchte er ihre Nähe.

      Am Sonnwendfest 1837 gab er sich einen Ruck und sprach sie endlich an: «Jungfer erlaubt ihr, dass ich euch