»Das Signal. Es ist weg!«, sagt einer von ihnen.
Die Vollstrecker sind bei unserem Baum angelangt, schieben Blätter zur Seite, einer kommt auf meine Seite und ich stehe direkt vor ihm. Hinter mir liegt Adam auf dem Boden. Der Vollstrecker schaut mich an, keinen Meter entfernt. Er schaut mir in die Augen, aber er sieht mich nicht. Ich bin unsichtbar für ihn.
Ich spüre die frostige Kälte und ich weiß, dass es die Kälte einer Bestie ist, die mich umgibt. Die andere mit den pechschwarzen Haaren, dem geschminkten Gesicht, ist wie ich. Wir sind beide nicht normal. Ist sie auch eine Verrückte?
»Das Signal kam von hier. Er muss hier sein«, sagt der Riese vor mir.
»Hier ist nichts. Es gibt kein Signal mehr. War bestimmt eine Störung«, sagt der andere. Er ist es. Der XXXL-Typ mit dem Riesenkinn, aus Kristens Haus. Ich spüre, dass er angespannt ist. Beide sind angespannt. Sie haben Angst. Vor mir? Vor uns? Ein neues Gefühl, das ich nicht einordnen kann, ob ich es gut finden soll oder nicht.
Der andere zieht an der roten Weste seines Kameraden.
»Komm, wir gehen zurück.«
»Warte, es ist hier, ich spüre es. Die Kälte ist nicht normal«, sagt er, schiebt den Busch ganz auseinander und macht einen Schritt auf mich zu. Wir stehen uns Auge in Auge gegenüber und als hätte ich es schon tausendmal zuvor getan, weiche ich seinem Körper, seinem nächsten Schritt aus, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, ohne die geringste Chance, dass er mich hätte berühren können. Ich fühle mich nicht mehr so stark, aber ich bin definitiv nicht mehr die gleiche Freija, die ich war, bevor ich Adam gebissen habe.
Ich lasse ihn nur wenige Zentimeter an mir vorüberziehen. Hinter mir steht die Schwarzhaarige. Wie hat sie es geschafft, lautlos von dem Baum herunterzukommen? Sie zeichnet seltsame Figuren mit ihren Armen in die Luft. Ihre Arme sind übersät mit leuchtenden Tattoos. Und als wären es Mauern, die sie aus dem Nichts erschafft, geht der Typ in rot auch um sie und Adam herum. Der andere folgt meinem Freund aus Kristens Haus und ich kann seinen Atem hören, sein Blut riechen, als auch er an mir vorbeizieht und ich mich wie eine Schattentänzerin lautlos um ihn herum biege, damit er mich nicht berührt. Die Schwarzhaarige lotst ihn vorbei und dann sind die beiden Vollstrecker in Richtung Ufer verschwunden. Dort werden sie meine Spuren finden.
»Zeit zu verschwinden«, nicke ich der Schwarzhaarigen zu.
»Du sagst es«, haucht sie.
Ich hebe Adam hoch und obwohl ich mich nicht mehr so stark fühle, merke ich sein Gewicht kaum. Dann verschwinden wir lautlos zwischen den Bäumen.
Kapitel 2.14
Die Helikopter ziehen tiefe Furchen in den Himmel, über dem Wald, in dem wir gehen. Sie suchen uns mit ihren Augen, mit ihren Lebensformscannern, die mehr sehen. Mehr, wozu ein menschliches Auge in der Lage ist. Vergebens. Sie werden uns nicht entdecken, so wie die Vollstrecker, die mir Auge in Auge gegenüberstanden und mich nicht gesehen haben.
Ich weiß nicht, wie es funktioniert, wie sie es macht, dass wir für unsere Verfolger unsichtbar sind. Wie sie Adams blutende Kehle nur mit ihren leuchtenden Händen geschlossen hat. Aber die Hauptsache ist sowieso nur, dass es funktioniert. Es ist genauso, wie die Luft anhalten auf Seegrund. Keine Ahnung wie das möglich war, wie ich das gemacht habe? Hauptsache ist, dass ich es konnte.
Nur jetzt bin nicht ich es, sondern die hübsche Schwarzhaarige, die schweigend in der eisigen Kälte neben mir hergeht und uns drei schützt und Adam das Leben gerettet hat.
Ich kann ihre Tattoos sehen und ich kann ihre Anwesenheit spüren. Die frostige Kälte und die unbeschreibliche Unsichtbarkeit, Geräuschlosigkeit, in der sie uns wie in einen undurchdringlichen Nebel einhüllt.
Ich folge ihr, laufe neben ihr her. Trage Adam über meiner Schulter. Spüre sein Gewicht kaum. Ich bin halb Mensch, halb Bestie, wie sonst soll das möglich sein? Die Tränen steigen aus meinem Herzen bis in meine Augen und die Schwarzhaarige sieht es und sie sagt nichts. Lässt mir Zeit, meine Gefühle und das Erlebte zu verarbeiten. Denn verstehen kann ich es noch nicht.
Eine Stunde, zwei, drei gehen wir. Stumm weine ich, bis keine Tränen mehr da sind. Bis mich die monotonen Schritte meiner Füße zurückgetragen haben zu meiner Mitte. Ein, zwei, drei weitere Stunden, bis wir keinen Helikopter mehr hören, bis wir keine Vollstrecker mehr zu fürchten brauchen.
Die Bäume um uns herum sind alt, knorrig, beobachten uns. Sie sind Zeugen der Zeit, der Vergangenheit. Was ist meine Vergangenheit? Was die der Menschen? Was von dem, das mir Adam erzählt hat, ist wahr? Hat er mir überhaupt etwas Wahres gesagt? Warum hat er sie vor mir versteckt? Verschwiegen, dass es sie gibt? Weiß er, was ich bin? Ich denke an die Zeichnungen in meinem Rucksack. Das weiße Buch, das ich an mich genommen habe.
Die Bäume können nicht sprechen. Leider. Aber die hübsche Schwarzhaarige kann es.
Die Stille und der Marsch, unser Schweigen hat ein Band der Vertrautheit zwischen ihr und mir gewoben, das tausend Worte nicht gekonnt hätten. Dafür, dass sie mir Zeit gegeben hat, bin ich ihr sehr dankbar. Und trotzdem. Jetzt geht es mir wieder besser und ich brenne darauf, zu sprechen. Mehr zu erfahren, jetzt, da wir uns in Sicherheit wiegen, will ich Worte mit ihr austauschen.
Ich will wirklich viel wissen. Wer sie ist? Warum sie bei Adam gelebt hat? Warum sie mir hilft? Wie sie das macht, dass sie uns nicht sehen können? Wie sie Adam geheilt hat? Wohin wir gehen? Wann Adam wieder aufwachen wird?
Ich breche die Stille entzwei wie einen dürren Ast.
»Wie ist dein Name?«, frage ich und meine Stimme krächzt wie die einer alten Frau. Ich räuspere mich und wiederhole meine Frage gleich noch einmal. »Wie heißt du?«
Sie schaut mich an und unsere Blicke huschen aneinander vorbei, umkreisen sich und finden doch zusammen.
Sie muss kichern und bevor ich eine Antwort von ihr bekomme, hat sie mich schon angesteckt und wir bleiben stehen und lachen ausgelassen und keiner weiß so recht warum.
»Also ich bin nicht so alt, wie ich mich anhöre«, grunze ich und aus meiner Nase läuft ein wenig flüssiges Nasenzeugs, das ich mit meinem Ärmel wegwische. »Ich heiße Freija«, sage ich dieses Mal gefasster und überlege, ob ich so tatsächlich heiße. »Also ich glaube zumindest, dass ich Freija heiße«, schiebe ich nach und sie muss schon wieder lachen. Sind wir betrunken? Nein, bestimmt nicht, ich sehe noch nicht doppelt.
»Ich bin Hope.«
Uff, was für eine Stimme sie hat. Ich habe so einen schönen Klang noch nie vernommen. Sie hat eine einfach unbeschreiblich schöne Stimme.
»Sag das nochmal!«, sage ich, nur um nochmal ihre Stimme zu hören.
Sieh zieht eine Augenbraue hoch. »Bist du taub?«
»Nein, natürlich nicht«, sage ich und setze Adam vorsichtig ab, sodass er im Gras liegt. Sie setzt sich im Schneidersitz neben ihn ins Gras und blickt zu mir hoch.
»Wie alt bist du?«, frage ich jetzt.
»17 und du?«
»Ich weiß es nicht wirklich. Ich schätze auch siebzehn oder so.«
Die hübsche Hope beginnt ihre schwarzen Haare nach Split zu durchsuchen. »Du bist ein ziemlich krasser Symbiont. Ich habe das noch nie gesehen. Aber du hast es nicht im Griff!«
Ich setze mich neben sie. »Ich bin was?«
Sie lässt von ihren Haaren ab und sieht mir direkt in die Augen. »Du weißt gar nichts, oder?«
»Ähm. Wahrscheinlich nicht so viel. Mir wurden die Erinnerungen genommen.«
»Weißt du, woher du die Teile hast?«
»Was