Ich bin so schnell, zu schnell für sie. Erst jetzt höre ich wieder Schüsse, erst jetzt bin ich wieder in ihrer Schusslinie, aber die Bäume am Ufer und die Schatten der Nacht beschützen mich. Stellen sich tapfer meinen Verfolgern in den Weg.
Ich breche, rausche durchs Unterholz und komme am Steg heraus. An dem Steg, an dem Adam und ich vorhin noch saßen, als die Welt noch in Ordnung war. Einen Moment, den ich nie vergessen wollte. Den ich jetzt garantiert nie mehr vergessen werde. Ich frage mich, ob ich so etwas schon einmal erlebt habe. Schrecklicher Gedanke.
Mein Blick geht nach rechts zu der Schlammschicht. Dort wo ich SIE mit Adam gesehen habe. Ich sehe die ersten Spuren meiner Flucht, als ich versucht habe, vor Adam wegzukriechen. Dort wo Adam vielleicht getötet wurde. Von mir?
Ich höre Vollstrecker. Einer von ihnen springt durchs Gebüsch und andere hechten hinterher.
Ich spurte abartig schnell den Steg entlang, springe über meine und Adams Klamotten, die hier liegen, wo wir sie ausgezogen haben und dann stoße ich mich ab.
Ich segle über das Wasser, bevor ich kopfüber eintauche. Der Rucksack bremst mich ab und zerrt an meinen Schultern, aber ich tauche unbeirrt hinab. Die Atmosphäre unter Wasser ist mir so vertraut und es geht so leicht, in die Tiefen des Sees zu gleiten, mich vor den Kugeln, die oben in die Wasseroberfläche einschlagen, in Sicherheit zu bringen. Es sind nur wenige kräftige Schläge mit meinen Beinen notwendig, bis ich ganz unten bin. Der See ist höchstens zwanzig, dreißig Meter tief. Aber tief genug. Es ist so einfach, auf seinem Grund entlang zu schwimmen und mich in einer Senke zwischen Pflanzen, die wie Fahnen um mich wehen, auf den weichen Boden zu setzen und zu warten. Zu warten, bis meine Lungen nach Luft verlangen. Die Tattoos leuchten immer noch. Die Bestien sind bei mir und ich weiß, dass sie etwas mit mir anstellen. Dass ich so schnell bin, so stark, so lange ohne Atemluft auskomme.
Ich hoffe, die Männer in rot denken, dass sie mich erwischt haben, dass mich eine ihrer Kugeln tödlich getroffen hat und meine Leiche nach oben schwebt. Ich hoffe, sie geben die Suche auf, bevor ich Sauerstoff benötige und wirklich wieder hoch muss. Ich hoffe inständig, ich muss nie wieder hoch. Zeit vergeht.
Wer ist sie? Warum hat Adam sie vor mir im Arbeitszimmer versteckt? Wieso habe ich nicht bemerkt, dass Adam und ich nicht die einzigen in seinem Haus waren?
So lange wie ich hier schon sitze, kann kein normaler Mensch unter Wasser bleiben. Nicht ohne Sauerstoffflasche. Bin ich normal? Entschieden nein. Die Tattoos leuchten noch immer.
Was war mit mir los, als ich Adam in die Kehle gebissen habe? Das war nicht ich. Ich bin nicht durstig nach Blut. Bin ich nicht?
Wer war ich in seinem Arbeitszimmer, als ich wie ein Insekt an der Wand entlang gerannt bin. So schnell wie ich gerannt bin, so weit gesprungen, das kann kein normaler Mensch. Ich bin nicht normal! Ich muss noch immer nicht hoch. Der Atemreflex, das enge Gefühl in meinen Lungen, will einfach nicht einsetzen, trotzdem bewege ich mich jetzt. Tauche am Grund weiter entlang, weiter weg von dem Steg, bis auf die andere Seeseite. Erst als ich dort ankomme, ist es soweit. Meine Lunge zieht sich langsam zusammen und gibt mir eindeutig zu verstehen, was ich jetzt dringend benötige. Ich fühle mich geschwächt und weil ich keine andere Wahl habe, tauche ich mit letzten Reserven bis an den Rand, bis ich wieder Schlamm mit meinen Fingern greifen kann.
In Zeitlupe hebe ich meinen Kopf aus dem Wasser, geschützt von dem Grünzeug der Uferböschung um mich herum. Der Sauerstoff tut gut, aber ich fühle mich trotzdem schwächer. Brauche wieder Blut? Nein!
Fühle mich nicht so übermenschlich wie vorhin, sondern? Normaler. Ich bin schwach.
Ich kann sie hören. Die Verfolger sind noch da. Irgendwo im Wald höre ich sie in der Dunkelheit, aber nicht hier in meiner Nähe. Der See ist zu groß und sie können unmöglich alles umstellen.
Wie eine kleine Eidechse schleiche ich mich aus dem Wasser, durch das Gras, hinauf Richtung Wald. Das Grün um mich herum beschützt mich. Ich kauere mich zwischen Büschen nieder und ziehe meine Jeans und das Top an, das ich von Kristen habe. Die Klamotten sind klatschnass, aber besser so, als im Bikini durch den Wald zu flüchten. Das Adrenalin pulst noch immer durch meine Adern. Ich bin eine Mörderin, eine Bestie. Ich schleiche am Waldrand entlang, weiter weg von meinen Verfolgern.
Ich fühle mich sicherer, mache mich bereit, tiefer in den Wald einzudringen, mich aus dem Schutz der Büsche zu lösen, als ich einen Ast knacken höre. Sie sind ganz nah, höchstens zehn, zwanzig Meter entfernt. Wie konnte ich sie überhören?
Ich robbe leise ein paar Meter weiter, an den Rand der Sträucher und dann bleibe ich geschockt liegen. Vor mir auf dem Boden liegt Adam. Blutverschmiert. Aber sein Brustkorb hebt sich und senkt sich. Langsam, sehr langsam, aber er lebt! Ich schaue ihn wie hypnotisiert an. Wie kommt er hierher?
Wo ist SIE?
Was habe ich ihm nur angetan?
Wie konnte das mit mir – mit ihm passieren?
Ich robbe neben ihn, bleibe flach im Schutz des Baumstamms neben Adam liegen und suche SIE.
Höre wieder, wie es knackt im Wald. Höre Männerstimmen leise miteinander sprechen.
Hoffentlich gehen die Vollstrecker einfach vorbei. Die Männer flüstern, aber ich kann hören, wie sie meinen Namen sagen. Sehe das Licht ihrer Lampen zwischen den Bäumen. Sie glauben nicht, dass ich tot bin. Warum nicht?
Ich bleibe wie eine Tote liegen und höre ihnen zu, wie sie näher kommen, meinen Blick ständig auf der Suche nach IHR. Ich könnte wegrennen, tiefer in den Wald hinein, aber ich bezweifle, dass ich es schaffen könnte und ich will Adam nicht zurücklassen. Er lebt!
Ich bleibe liegen wie gelähmt. Mir ist kalt und ich habe alle Mühe, meinen Kiefer ruhig zu halten, damit meine klappernden Reißzähne mich nicht verraten.
Die Vollstrecker kommen näher. Werden sie mich ohne zu zögern erschießen, so wie die Typen, die das Haus gestürmt haben? Mir ist so kalt. Unnatürlich kalt. Kann ich Adam retten? Er braucht medizinische Hilfe, ganz sicher.
Mir ist so kalt. Ich kenne diese Kälte! Es ist die Kälte der Bestien! Bestien in Reagenzgläsern, Bestien auf meiner Haut. Ich schaue an mir hinab. Hebe mein Top, bin bauchfrei. Das Tattoo ist an seinem Platz, leuchtet kaum. Trotzdem, wird sie womöglich gleich wieder in mir erwachen, damit ich Adam den Rest gebe? Kann ich die Käfigtür in mir verschlossen halten?
Ich schaue an mir hinab. Nichts. Das Tattoo rührt sich nicht. Ich atme durch. Aber die Kälte bleibt und es ist nicht meine Haut, die kalt ist, es sind nicht meine Tattoos.
Schnell geht mein Blick zu allen Seiten. Ich könnte schwören, dass eine Bestie in der Nähe ist.
Die Vollstrecker kommen jetzt ganz nah heran. Jetzt ist es definitiv zu spät, um zu flüchten.
Ich halte den Atem an und plötzlich bemerke ich SIE. Sie schaut mich an und mit einem Finger vor dem Mund, gibt sie mir zu verstehen, dass ich ganz ruhig bleiben soll. Ich hatte sowieso nichts anders vor. Die Männer stehen jetzt direkt vor dem Gebüsch.
»Hier muss er sein. Das Signal ist sehr stark«, flüstert der eine, so leise, dass ich ihn kaum verstehe.
Er? Signal? Ich verstehe gar nichts?
»Vorsichtig, ich habe keine Lust, von der Verrückten in Stücke gerissen zu werden«, wispert der andere.
»Wenn sie bei ihm ist, schieße ich sie in tausend Stücke.«
Ich zittere am ganzen Körper, schaue zu der anderen hoch. Sie sitzt ganz ruhig auf einem dicken Ast auf dem Baum. Vielleicht drei Meter über mir. Ihre langen, schwarzen Haare hängen seitlich von ihrem einfachen aber hübschen Gesicht wie ein seidener Vorhang herunter. Ihre moosgrünen Augen leuchten, sie hat sich geschminkt. Schwarz und braun und sie lächelt, den Finger vor ihren dunkelbraun geschminkten Lippen.
Es ist Nacht, aber die junge Frau scheint