Samruk - Alte Schwüre. Nina Heyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Heyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189659
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      Der Engländer betrachtete sie mit einem verschmitzten Lächeln, das Wenda leicht anrüchig erschien. Nicht, dass ihr das nicht geschmeichelt hätte.

      »Also, ich möchte einer verheirateten Frau wie Ihnen keineswegs zu nahe treten, aber Sie erinnern mich an Diana, die Göttin der Jagd. Diese feinen Gesichtszüge, die weiße Haut ... Wissen sie eigentlich, wer dieser Bursche hier ist?«

      Wendas verzückter Blick richtete sich nur kurz auf das marmorne Bild, bevor sie den Kopf schüttelte und wieder die grauen Augen vor sich fixierte.

      Die Göttin Diana ... du meine Güte ...

      »Bei diesem recht spärlich bekleideten Gesellen handelt es sich um Mithras, einen alten römischen Gott, der seinen Ursprung im noch älteren, altiranischen Glauben hat. Hier erlegt er gerade den Stier - übrigens auch in vielen anderen Kulturen ein beliebtes Opfertier - um die Welt zu erneuern. Aus dem Blut und dem Sperma des Stiers regeneriert sich alles Leben ...«

      Wendas Gesicht wurde heiß. Der Brite hatte das S-Wort gesagt! Und jetzt sah er sie mit diesem lüsternen Blick an. Wenda war in ihrem bisherigen Leben nicht mit vielen lüsternen Blicken konfrontiert worden, weshalb sie dieser Augenblick wohl ganz besonders verstörte. Nicht auf unangenehme Art und Weise musste sie sich eingestehen.

      »WENDA! WENDAAA!«, hallte es durch das Gewölbe. Nur einer konnte die Rücksichtslosigkeit besitzen, im Hause Gottes so zu brüllen. Wenda verdrehte die Augen.

      »Das ist Mr. Booner. Es tut mir leid, aber ich muss gehen.«

      Bevor er die ganze verdammte Kirche zusammen brüllt, dachte sie im Stillen.

      »Das ist wirklich sehr schade«, säuselte der Engländer und sah ihr mit einem Blick hinterher, den Wenda nur als »schmachtend« interpretieren konnte. Ein seliges Lächeln zog sich über ihr Gesicht, als sie langsam die Stufen erklomm. Ein netter junger Mann. Wirklich sehr nett.

      »Die Göttin Diana?! Was genau stimmt nicht mit dir?« Silas Bancroft verzog angewiedert das Gesicht, als er versuchte, die dicke, schlecht gekleidete Touristin mit einer Abbildung der römischen Göttin der Jagd zu vergleichen. Es war in etwa so, als versuche man, aus einem kurzbeinigen Schweinchen ein Topmodel zu machen. Sein Gehirn wehrte sich vehement gegen das Bild der pummeligen Amerikanerin, die auf einem Eisbärenfell für das Cover der Vogue posierte, aber es war, als würde man versuchen, nicht an rosa Elefanten zu denken.

      »Hast du gesehen, wie rot die geworden ist, als ich das Bullensperma erwähnte? Herrlich! Ich hätte ewig so weitermachen können.« Napier grinste frech vor sich hin, während er im Reiseführer den Grundriss der Kirche und der darunter befindlichen Gewölbe studierte.

      »Alles klar. Da hinten. Das ist der Altar. De Santi hat gesagt, dort sollen wir zuerst nachsehen. Andere Möglichkeiten gibt es ja auch kaum«, sagte Napier und stopfte den Reiseführer unliebsam in die hintere Tasche seiner Jeans.

      »Silas, den optischen Scanner bitte.« Napier streckte die Hand aus, in der kurz darauf mit lautem Klatschen ein handflächengroßes, schwarzes Rechteck landete. Sein Daumen betätigte den Schieber und ein Glasstreifen schob sich an einem Ende heraus.

      »Es ist eine Lupe, Napier. Wir sind hier nicht auf der Enterprise«, kommentierte Silas trocken und ging mit langen Schritten auf die hintere Wand der Kammer zu.

      Silas Bancroft kannte Napier seit fünfundzwanzig Jahren und schon auf dem Internat waren ihm seine Macken und Albernheiten auf die Nerven gegangen. Allerdings war er der Einzige gewesen, der Silas nicht mit Hohn oder Verachtung entgegentrat. Ganz im Gegensatz zum Rest seiner Klasse. Zu Prügeleien kam es nie. Das hätte die teuren Kaschmirpullover oder die gebügelten Seitenscheitel beschädigen können. Reiche Jungs, die einen Grund haben, auf jemanden wegen seiner Herkunft herabzusehen, lassen sich viel subtilere Dinge einfallen. Tote Mäuse unter seinem Kissen waren schnell zur Gewohnheit geworden (einmal war es sogar ein Eichhörnchen. Gott allein wusste, wo sie das aufgetrieben hatten) und Silas musste seine Bettwäsche dreimal öfter wechseln, als die anderen Jungen in seinem Schlafsaal.

      Beliebt war auch das Spiel, ihn beim Frühstück abzulenken, während jemand den Salzstreuer über seinem Teller leerte. Mehr als einmal ging er mit leerem Magen zum Unterricht.

      Napier war der Einzige, den die Geschichte der Familie Bancroft weder störte, noch sonderlich interessierte. Vielleicht lag es daran, dass er eines dieser Kinder war, die weder zu den Coolen gehörten, noch interessant genug zum Ärgern waren. Napier war der Klassenclown, der alles veralbern und, trotz seiner kurzen Beine, schnell genug rennen konnte, um keins auf die Nase zu bekommen. Er hatte es sich schnell zur Aufgabe gemacht, an dem großen, schlaksigen Jungen mit dem kalten Blick zu kleben, wie eine Klette. Den Grund dafür kannte er wohl nur selbst.

      »Ich habe keine Kameras entdeckt. Wir können anfangen«, sagte Silas mit einem letzten prüfenden Blick an die Decke. Napier kniete vor dem Altar nieder und begann die Oberfläche mit Lupe und Fingerspitzen zu untersuchen, während Silas eine Taschenlampe hervorzog, um die Seiten abzutasten. In den nächsten zehn Minuten störte sie niemand. Es war August, die Römer waren in Scharen ans Meer gefahren und da somit viele Läden geschlossen waren, verirrten sich bei der brütenden Hitze kaum Touristen in das Stadtinnere.

      Geduldig und immer mit einem Ohr auf Schritte lauschend, prüften sie jeden Zentimeter des Steins, bis Silas murmelte: »Hier könnte etwas sein. Bin mir nicht sicher. Ist schlecht zu erkennen.«

      Napier kam rüber und ging in die Hocke. Sein Gesicht näherte sich der Oberfläche, bis seine Nasenspitze fast den Stein berührte, der von Silas beleuchtet wurde. Ein feiner Riss, feiner als ein Haar, war gerade eben zu erkennen, wenn man das Licht im richtigen Winkel hielt.

      Napier staunte: »Das ist ein Meisterwerk. So exakt ... es sieht fast so aus, als hätten die damals mit Lasern gearbeitet.« Mit den Fingerspitzen folgte er der Linie und schon bald erkannten sie das Viereck, dass von Unbekannten in den Altar eingelassen worden war. Mit seinem Taschenmesser versuchte Napier, vorsichtig an einer Stelle den Riss zu erweitern, scheiterte jedoch.

      »Es ist fast so, als sei das Gestein verschmolzen. Wir müssen tief in die Trickkiste greifen, um das aufzukriegen. Aber bis heute Nacht wird mir was einfallen.«

      »De Santi sagte ausdrücklich, der Altar dürfe nicht beschädigt werden und niemand dürfe merken, dass etwas fehlt, also halte dich mit Sprengsätzen, Schlaghammer und Co. etwas zurück, ja?«

      »Ich hatte sowieso an etwas anderes gedacht. Ich falle schließlich nicht immer gleich mit der Tür ins Haus«, erwiderte Napier schmollend. Silas schien immer noch sauer zu sein, weil Napier bei ihrem letzten Auftrag etwas zu großzügig mit der Menge an Plastiksprengstoff umgegangen war, was dazu geführt hatte, dass ein ganzes Pariser Stadtviertel in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden war und Silas nur knapp entkommen konnte. Er hatte es um Haaresbreite zurück zum Van geschafft und die beiden hatten sich ohne die Beute aus dem Staub gemacht. Das machte ihren damaligen Auftraggeber zwar nicht besonders glücklich, aber das war nicht weiter schlimm. Drei Tage später wurde dieser vor einer seiner Villen wegen schwerer Steuerhinterziehung festgenommen. Da waren zwei kleine Diebe, die einen Auftrag vermasselt hatten, seine geringste Sorge.

      Napier schoss schnell noch ein paar Fotos vom Gewölbe, bevor sie sich wieder zur Treppe begaben. Ihm blieben noch sechs Stunden, um sich etwas Brauchbares einfallen zu lassen, das seinen besten Freund, wenn möglich, nicht in Lebensgefahr brachte.

      2.

      Nach seinem Arztbesuch war Umberto Teofilo de Santi in sein herrschaftliches Heim zurückgekehrt und geradewegs in sein Arbeitszimmer gegangen. Die Medikamente machten ihn müde und ließen sein von Falten durchfurchtes Gesicht noch älter wirken. Seine ehemals stattliche Größe schien mit jedem Jahr mehr zu verkümmern und an manchen Tagen wünschte er sich, es wäre vorbei. Doch der Tod würde ihm keine Erlösung bringen. Das wusste er.

      De Santis Anwesen lag abgeschieden und bot eine Wohnfläche von rund 1200 Quadratmetern. Hinter dem restaurierten Hauptgebäude erstreckten sich ein kleiner Park sowie die Stallungen, in denen sechs hervorragende Rennpferde vom Stallmeister und seinem Assistenten gepflegt wurden.