Er warf den Kopf zurück und lachte laut auf - kläffte, wie Scarlett zornerfüllt fand, während sie fühlte, daß sie wieder rot wurde.
»Warum sagen Sie nicht, was Sie meinen?« fragte er so leise, daß in dem Lärm ringsumher nur sie es hören konnte. »Warum sagen Sie nicht, ich sei ein verdammter Schuft und kein Gentleman, und ich sollte machen, daß ich fortkäme, sonst würden Sie einen der tapferen grauen Jungens bitten, mich zu fordern?«
Eine patzige Antwort lag ihr schon auf der Zunge, aber sie bezwang sich und brachte liebenswürdig heraus: »Aber Kapitän Butler, wo denken Sie hin? Als wüßte nicht jeder, wie berühmt und wie tapfer Sie sind und was für ein ... was für ein ...«
»Ich bin von Ihnen enttäuscht«, sagte er.
»Enttäuscht ?«
»Ja. Bei unserem ersten, so ereignisreichen Zusammentreffen dachte ich bei mir selbst, ich hätte endlich ein Mädchen getroffen, das nicht nur schön, sondern auch mutig ist. Nun aber sehe ich, daß Sie nur schön sind.«
»Soll das etwa heißen, daß ich ein Feigling bin?«
»Allerdings. Sie haben nicht den Mut, zu sagen, was Sie meinen. Als ich Ihnen zuerst begegnete, dachte ich: da ist unter Millionen endlich ein Mädchen einmal nicht wie die andern Gänse, die alles glauben und nachplappern, was Mama ihnen sagt, einerlei, was sie dabei empfinden, die alle ihre Gefühle unter einem Strom von süßer Heuchelei verbergen; ich dachte, Miß 0'Hara ist ein Mädchen von seltenem Temperament, sie weiß, was sie will, und scheut sich nicht, es auszusprechen - oder Vasen zu zerschmeißen. «
»Dann«, sagte sie mit aufbrechender Wut, »werde ich Ihnen auf der Stelle sagen, was ich von Ihnen denke. Wenn Sie überhaupt eine Spur von Kinderstube hätten, dann wären Sie nie hergekommen und hätten nie mit mir gesprochen, dann hätten Sie gewußt, daß Sie mir aus den Augen zu bleiben haben. Aber Sie sind kein Gentleman! Sie sind ein unerzogener Flegel! Sie meinen, weil Ihre verdammten kleinen Boote schneller fahren als die der Yankees, hätten Sie ein Recht, tapfere Männer und Frauen, die alles für die heilige Sache opfern, zu verhöhnen ...«
»Halten Sie ein!« bat er lachend. »Sie fingen ganz hübsch an und sagten, was Sie dachten, aber nun kommen Sie mir wieder mit der heiligen Sache. Ich mag nichts mehr davon hören, und ich wette, Sie auch nicht. «
»Was, wieso ... roher ...« stammelte sie ratlos. Er hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, und schon kochte sie wieder vor Zorn, daß er sie so durchschaute.
»Ich stand dort in der Tür, ehe Sie mich sahen, und beobachtete Sie«, sagte er. »Ich beobachtete auch die anderen Mädchen. Die sahen alle aus, als wären ihre Gesichter aus einer einzigen Form gegossen. Nur Ihres nicht. In Ihrem Gesicht ist leicht zu lesen. Ihr Gesicht war nicht bei der heiligen Sache, sondern es war voll davon, daß Sie tanzen und sich amüsieren wollten und nicht durften. Sagen Sie mir die Wahrheit, habe ich recht?«
»Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen, Kapitän Butler«, sagte sie so förmlich, wie sie nur konnte, und raffte notdürftig die Reste ihrer Würde zusammen. »Wenn Sie sich etwas darauf einbilden, der große Blockadebrecher zu sein, so gibt Ihnen das noch lange kein Recht, eine Frau zu beschimpfen.«
»Der große Blockadebrecher! Das ist ein Witz! Bitte, schenken Sie mir noch einen Augenblick Gehör, ehe Sie mich in die Finsternis hi nabstoßen. Eine so reizende kleine Patriotin soll nicht im Unklaren bleiben über das, was ich für die Sache der Konföderierten tue.«
»Es liegt mir nichts daran, von Ihrem Heldentum zu hören!«
»Bei mir ist das Blockadebrechen kein Heldentum, sondern lediglich ein Geschäft. Ich mache Geld damit. Wenn das nicht mehr geht, nehme ich meinen Abschied. Was halten Sie nun davon?«
»Ich halte Sie für einen ganz gewöhnlichen Dollarjäger, genau wie die Yankees.«
»Genauso!« grinste er. »Die Yankees helfen mir beim Dollarjagen. Vor einem Monat bin ich mit meinem Boot schnurstracks in den Hafen von New York gefahren und habe eine Ladung an Bord genommen.«
Wider ihren Willen horchte Scarlett auf. »Wie, und die Yankees haben Sie nicht in Grund und Boden geschossen?«
»Sie Unschuldsengel, die Yankees dachten gar nicht daran. Es gibt eine Menge wackerer Patrioten in der Union, die gar nicht abgeneigt sind, den Konföderierten Waren zu verkaufen und dabei zu Geld zu kommen. Ich laufe New York an, kaufe bei einer Firma alles Nötige zusammen und bin wieder verschwunden. Wird mir dort der Boden zu heiß, so fahre ich nach Nassau, wohin die gleichen Patrioten der Union mir Pulver, Kanonenkugeln und Reifröcke bringen. Das ist bequemer, als nach England zu fahren. Manchmal ist es nicht ganz einfach, in Charleston oder Wilmington damit durchzukommen, aber Sie haben keine Ahnung, was ein bißchen Gold alles ausrichtet.«
»0h, ich wußte, daß die Yankees gemein sind, ich wußte aber nicht ...«
»Wozu vertuschen, daß die Yankees ein anständiges Stück Geld damit verdienen, daß sie die Warenbestände der Union ausverkaufen. In hundert Jahren kräht kein Hahn mehr danach. Daß die Konföderierten am Ende doch Prügel bekommen, steht fest, und warum sollten diese Leute dabei nicht verdienen?«
»Wir, Prügel?«
»Selbstverständlich. «
»Wollen Sie bitte gehen ... oder ich lasse meinen Wagen holen und fahre nach Hause, umSie loszuwerden.«
»Sie hitzköpfige kleine Rebellin«, sagte er und lachte über das ganze Gesicht. Dann verbeugte er sich und machte sich gemächlich davon, und sie blieb, bis zum Rande erfüllt von ohnmächtiger Wut und Empörung, zurück. Eine Enttäuschung brannte in ihr, aus der sie nicht klug wurde. Es war die Enttäuschung eines Kindes, das seine Träume in Stücke gehen sieht. Wie durfte er sich unterstehen zu behaupten, die Konföderierten würden Prügel bekommen! Dafür verdiente er, erschossen zu werden wie ein gemeiner Verräter. Sie blickte im Saal umher auf all die vertrauten Gesichter, die des Sieges ihrer Sache so sicher waren und so viel Tapferkeit und Hingebung ausdrückten; und dennoch kroch etwas wie ein kalter Schauer ihr ins Herz. Prügel? Diese Leute? Unsinn! Schon der bloße Gedanke war Verräterei.
»Was hattet ihr beiden da zu flüstern?« wandte sich Melanie an Scarlett, als ihre Kunden sich entfernt hatten. »Mrs. Merriwether hat die ganze Zeit über ein Auge auf dich gehabt, und du, Liebes, kennst ihre Zunge!«
»Ach, dieser Mann ist unmöglich ... ein ungezogener Flegel«, sagte Scarlett, »und die alte Merriwether laß nur reden. Ich habe keine Lust mehr, mich ihr zuliebe wie ein Lamm aufzuführen.«
»Aber Scarlett!« rief Melanie bestürzt.
Plötzlich verstummte der Lärm der Versammlung abermals, als Dr. Meade seine Stimme erhob, um den Damen seinen Dank dafür auszusprechen, daß sie so bereitwillig ihre Schmucksachen hergegeben hatten. »Und nun, meine Damen und Herren«, fuhr er fort, »möchte ich Ihnen eine Überraschung vorschlagen. Etwas ganz Neues, das bei einigen von Ihnen vielleicht Anstoß erregen wird, aber ich bitte Sie, daran zu denken, daß es um des Lazaretts willen geschieht und zum Besten unserer Braven, die dort liegen.«
Alle drängten erwartungsvoll zu ihm hin und versuchten zu erraten, was der würdige Doktor wohl Anstößiges vorschlagen könnte.
»Jetzt beginnt der Tanz, und als erstes natürlich eine Polonäse mit nachfolgendem Walzer. Jedem der folgenden Tänze, den Polkas, den Schottischen, den Mazurkas geht eine kurze Polonäse vorauf. Ich kenne wohl den stillen Wettbewerb umdie Führung dabei, und deshalb ...«
Der Doktor wischte sich die Stirn und warf einen besorgten Seitenblick in die Ecke, wo seine Frau unter den Chaperons saß. »Meine Herren, wenn Sie mit der Dame Ihrer Wahl eine Polonäse anführen möchten, müssen Sie auf Ihre Dame bieten. Ich bin der Auktionator. Der Ertrag geht an das Lazarett. «