Der Krieg der Welten. H. G. Wells. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. G. Wells
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753196732
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machte ich halt.

      »Was gibt’s Neues auf der Weide?« fragte ich.

      Zwei Männer und eine Frau standen beim Tor.

      »Was?« rief einer der Männer, sich mir zuwendend.

      »Was es Neues auf der Weide gibt?« wiederholte ich.

      »Ja, sind Sie denn nicht gerade dort gewesen?« fragten die Männer.

      »Die Leute scheinen ja ganz verrückt zu sein wegen der Weide«, ließ sich jetzt die Frau vom Flur her vernehmen. »Was ist denn eigentlich los?«

      »Haben Sie denn nichts von den Marsleuten gehört?« fragte ich. »Von den Geschöpfen vom Mars?«

      »Mehr als genug«, sagte die Frau. »Danke«, und alle drei lachten.

      Ich fühlte mich beschämt und verärgert. Ich versuchte, ihnen mitzuteilen, was ich gesehen hatte, und konnte es nicht. Sie lachten immer nur über meine gebrochenen Sätze.

      »Ihr werdet noch mehr davon hören«, sagte ich und ging fort zu meinem Haus.

      Schon im Hausflur erschreckte ich meine Frau durch meine eingefallenen Züge. Ich ging in das Speisezimmer, setzte mich, trank etwas Wein, und sowie ich mich etwas gesammelt hatte, erzählte ich ihr, was ich gesehen hatte. Das Essen, das aus kalten Gerichten bestand, war schon aufgetragen, blieb aber unberührt auf dem Tisch, während ich alles erzählte.

      »In einem kann ich dich beruhigen«, sagte ich, um die Furcht, die ich in ihr geweckt hatte, wieder abzuschwächen. »Es sind die plumpsten Geschöpfe, die ich je kriechen sah. Sie mögen die Grube besetzt halten und alle Leute, die ihnen nahe kommen, umbringen; aber sie können nicht aus ihr heraus … Aber scheußlich sind sie!«

      »Bitte, nicht!« sagte meine Frau. Sie zog ihre Brauen zusammen und legte ihre Hand auf die meine.

      »Der arme Ogilvy!« sagte ich. »Zu denken, dass er da draußen tot liegt!«

      Meine Frau wenigstens fand meine Erlebnisse nicht unglaubwürdig. Als ich sah, wie die Totenblässe ihr Gesicht bedeckte, brach ich plötzlich ab.

      »Sie könnten hierher kommen«, sagte sie immer wieder.

      Ich bat sie, Wein zu trinken, und bemühte mich, sie zu beruhigen.

      »Sie können sich ja kaum bewegen«, sagte ich.

      Ich begann nun sie und mich selbst dadurch zu trösten, dass ich alles wiederholte, was Ogilvy mir über die Unmöglichkeit eines dauernden Aufenthaltes der Marsbewohner auf der Erde gesagt hatte. Besonderes Gewicht legte ich auf die Schwierigkeiten der Gravitation. Auf der Oberfläche der Erde ist die Schwerkraft dreimal so groß wie auf der des Mars. Ein Marsbewohner würde daher hier dreimal so viel wiegen, seine Muskelkraft aber würde gleich bleiben. Sein eigener Körper würde ihn daher drücken wie ein Bleigewicht. Wirklich war das die allgemeine Ansicht. Sowohl die »Times« wie der »Daily Telegraph« unter anderen Blättern übersahen, genauso wie ich, zwei diese Tatsachen offenbar umstoßende Erscheinungen.

      Wie wir inzwischen wissen, enthält die Atmosphäre der Erde weit mehr Sauerstoff oder, anders ausgedrückt, weit weniger Argon als die des Mars. Der kräftigende Einfluss von so viel Sauerstoff auf die Marsleute trug unstreitig viel dazu bei, der erhöhten Schwere ihrer Körper das Gleichgewicht zu halten. Und zum Zweiten übersahen wir die Tatsache, dass die technische Intelligenz der Marsleute sie vollkommen befähigen würde, sich im Notfall ohne jede Muskelkraft zu behelfen.

      Zu jener Zeit aber erwog ich diese Punkte nicht und übersah so die gefährlichen Möglichkeiten jener Eindringlinge. Durch Wein und Speise und die Notwendigkeit, meine Frau zu beruhigen, wurde ich selbst nach und nach beherzter und sorgloser.

      »Sie haben eine große Dummheit begangen«, sagte ich, während ich mein Weinglas ergriff; »sie sind gefährlich, weil sie zweifelsohne selbst aus Furcht ganz toll geworden sind. Vielleicht erwarteten sie nicht, hier lebende Wesen zu finden, gewiss aber nicht intelligente Lebewesen. Schlimmstenfalls bombardiert man die Grube. Dadurch werden sie alle zu Tode kommen.«

      Die immense Aufregung über die letzten Ereignisse hatte meine Auffassungskraft ohne Zweifel in einen Zustand großer Reizbarkeit versetzt. Ich erinnere mich jener Mahlzeit noch jetzt mit großer Deutlichkeit. Das liebliche Gesicht meiner Frau unter dem rosafarbenen Lampenschirm, wie sie mich voller Angst ansah, das weiße Tischtuch mit den silbernen und gläsernen Gerätschaften denn in jenen Tagen erlaubten sich selbst philosophische Schriftsteller so manch kleinen Luxus -, der purpurne Wein in meinem Glas, das alles sehe ich fotografisch genau vor mir. Ich selbst saß am Ende des Tisches, spielte mit meiner Zigarette, beklagte den Übereifer Ogilvys und verwünschte die kurzsichtige Furchtsamkeit der Marsianer. Ich ahnte nicht, dass dies die letzte normale Mahlzeit vor vielen seltsamen und schrecklichen Tagen sein sollte.

      8. Freitag Nacht

      Von all den merkwürdigen und erstaunlichen Dingen, die sich an jenem Freitag ereigneten, war für mich am seltsamsten das Verhältnis der Alltagsgewohnheiten unserer gesellschaftlichen Ordnung zu den ersten Anzeichen jener Ereignisse, welche diese gesellschaftliche Ordnung über den Haufen werfen sollten. Hätte man am Freitag Nacht mit einem Zirkel einen Kreis von fünf Meilen im Halbmesser rund um die Wokinger Sandgruben gezogen, man hätte nach meiner Überzeugung außer etwa den Angehörigen Mr. Stents oder der paar Radfahrer aus London, die tot auf der Weide lagen kein menschliches Wesen außerhalb dieses Kreises gefunden, dessen Empfindungen oder Gewohnheiten nur im geringsten von den Neuankömmlingen berührt wurden. Viele Leute hatten natürlich von dem Zylinder gehört; wenn sie Zeit hatten, sprachen sie wohl auch darüber; sicherlich aber machte die Geschichte längst nicht die Sensation aus, die etwa ein Ultimatum an Deutschland gemacht haben würde.

      In London wurde in jener Nacht das Telegramm des armen Henderson, das die allmähliche Aufschraubung des Geschosses beschrieb, allgemein für eine Ente gehalten, und sein Abendblatt telegrafierte an ihn um eine aufklärende Bestätigung; da aber keine Antwort von ihm eintraf der Mann war ja tot beschloss man, keine Sonderausgabe zu veranstalten.

      Selbst innerhalb des Fünf-Meilen-Kreises blieb die große Mehrheit der Leute gleichmütig. Das Betragen der Männer und der Frauen, mit denen ich sprach, beschrieb ich bereits. Im gesamten Umkreis gingen die Leute mittags und abends zu Tisch; Arbeiter besorgten nach dem Tagwerk ihren Garten, Kinder wurden zu Bett gebracht; junge Leute und Liebespaare lustwandelten in den Heckenwegen; Gelehrte saßen über ihren Büchern.

      Es mag sein, dass in den Dorfstraßen Gerüchte umgingen und in den Gaststätten ein neuer Gesprächsstoff auftauchte, dass ab und zu ein Bote, oder sogar ein Augenzeuge der jüngsten Ereignisse, einen Sturm von Aufregung, wildes Geschrei und erschreckte Zusammenläufe verursachte. Aber im Großen und Ganzen ging das alltägliche Treiben Arbeiten, Essen, Trinken, Schlafen weiter wie seit ungezählten Jahren als ob es keinen Planeten Mars am Himmel gäbe. Selbst auf der Bahnstation von Woking, in Horsell und in Chobham war das der Fall.

      Am Knotenpunkt von Woking sah man noch in später Stunde Züge halten und abfahren, andere wurden verschoben, Reisende stiegen aus und warteten, und alles ging in der gewohnten Weise vor sich. Ein Zeitungsjunge von der Stadt verkaufte, unbekümmert um Mr. Smiths Monopol, die Blätter mit den Neuigkeiten des Nachmittags. Das Klirren und Stoßen der Wagen und die gellenden Pfiffe der Lokomotiven vermischten sich mit seinem Geschrei: »Menschen vom Mars!«

      Gegen neun Uhr kamen ein paar erregte Leute mit unglaubwürdigen Berichten auf den Bahnhof, riefen aber keine größere Verwirrung hervor als etwa Betrunkene. Menschen, die in der Richtung London fuhren und durch die Wagenfenster in die Dunkelheit hinausbückten, sahen nur einen seltsamen flackernden, immer wieder erlöschenden und erneut auftauchenden Lichtschein vor Horsell schimmern, sahen eine rote Glut und einen dünnen Rauchschleier zum Himmel treiben; und sie hielten es höchstens für einen Heidebrand. Nur am letzten Stück des Weidelandes konnte man etwas Aufregung wahrnehmen. An der Gemeindegrenze von Woking brannten etwa sechs Landhäuser. In allen Häusern der drei Dörfer auf der Weideseite brannte Licht und die Leute wachten bis Tagesanbruch.

      Neugierige Menschenhaufen