Kein Himmel ohne dich. Kerstin Teschnigg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Teschnigg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752913699
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Positive an der Sache ist, dass meine Oberweite etwas üppiger geworden ist, was ich ziemlich gut finde. Endlich habe ich einen ordentlichen Busen. Ich schüttle den Kopf. Dafür ist alles andere komplett formlos. Seufzend ziehe ich meinen Bauch ein.

      „Holly…Was machst du denn?“ Tyler zeigt genervt auf seine Uhr und schnappt sich seine Krawatte.

      „Ich bin gleich soweit“, entgegne ich und hüpfe noch einmal ins Bad um mich gesellschaftstauglich herzurichten. Ich bin wirklich blass und brauche etwas Farbe. Eigentlich bräuchte ich viel Farbe, aber ich mag das nicht, ich fühle mich dann so angeschmiert. Am Gang greife ich nach meiner kleinen Tasche und packe noch mein Lipgloss ein. Mein Blick fällt auf die Tabletten, die ich immer für Notfälle in jeder Tasche habe. Notfälle. Es gibt keine Notfälle mehr, denn in Wahrheit ist mittlerweile alles ein Notfall. Kurz überlege ich, doch dann schließe ich die Tasche und schlüpfe schnell in meine Pumps. Heute keine Tabletten. Ich brauche sie nicht. Das habe ich mir morgens vorgenommen und bis jetzt durchgezogen. Mir tut nichts weh, ich fühle mich gut und ich will einfach nur, dass es ein schöner Abend mit meinem Mann wird.

      „Gut siehst du aus“, lächle ich ihn an und rücke seinen Krawattenknoten zurecht.

      „Du auch Süße“, erwidert er mein Lächeln. „Können wir?“

      Ich nicke zufrieden.

      Ich nippe an meinem Wasser und sehe mich unauffällig um. Das erste Mal seit Monaten bin ich unter so vielen Menschen. Ich bin nervös und versuche nicht zu zittern. Ohne Tabletten ist also doch nicht so einfach, aber ich ziehe das durch. Die vielen Menschen die sich durch den Raum drängen, machen es mir nicht gerade leichter ruhig zu bleiben. Eine Kollegin von Tyler geht an mir vorbei und lächelt mich gekünstelt an. Ich lächle ebenso gekünstelt zurück. Tyler spricht mit einem Kollegen und sieht hin und wieder zu mir. Ich bin echt stolz auf ihn und total neugierig wie der Spot für eine große Outdoorfirma geworden ist. Wenn alles gut läuft, kann er mit einer Beförderung rechnen. Auch wenn ich das toll finde, weiß ich, dass er dann noch weniger Zeit für mich haben wird.

      „Alles gut?“, fragt er mich als er auf mich zukommt.

      Ich nicke bestätigend. „Ja sicher.“

      „Es geht gleich los, nimm da drüben Platz, da siehst du alles gut.“

      Ich nicke zustimmend.

      „Und drück mir die Daumen“, fügt er noch hinzu.

      Schnell greife ich noch nach seiner Hand. „Ich weiß, dass alles gut geht.“

      Er nickt und zwinkert mir zu, dann geht er los Richtung Bühne. Ich gehe zum Platz den er für mich vorgesehen hat. Mittlerweile bin ich auch ordentlich nervös. Es dauert noch ein bisschen, dann geht es los. Als er zu sprechen beginnt, bekomme ich vor Aufregung kaum Luft. Er macht das so gut. Ich könnte das nie. Dann läuft der Spot an. Ich bin begeistert. Er ist noch besser geworden, als ich dachte. So viel Abenteuer, Spannung in perfekter Harmonie mit Landschaft und Emotionen. Nicht nur ich, sondern auch sein Chef und was noch wichtiger ist, seine Auftraggeber, scheinen außerordentlich zufrieden zu sein. Ich kann förmlich spüren wie all die Last und Anspannung der vergangenen Wochen von ihm abfällt. Das lässt auch mich ruhiger werden, wenn die Werbestrategie nicht aufgegangen wäre, hätte das bestimmt keine Gute Laune gegeben. Nach der Präsentation gibt es noch ein Buffet bei dem ich mich bewusst zurückhalte. Womöglich springt mir sonst noch der Reißverschluss vom Kleid und ich möchte keine Peinlichkeit herausfordern. Wie befürchtet stehe ich die meiste Zeit allein herum. Ich habe mich nie mit den Kollegen meines Mannes auseinandergesetzt, darum kenne ich auch kaum jemanden. Tyler ist von Gratulanten umringt und muss scheinbar unzählige Fragen beantworten. Ich gönne ihm den Erfolg. Nach einiger Zeit stellt sich doch eine von Tylers Assistentinnen neben mich. Keine Ahnung was ich mit ihr reden soll, zum Glück beginnt sie ein Gespräch.

      „Echt toll geworden der Spot, nicht wahr?“, lächelt sie mich etwas verkrampft an, so als müsste sie Smalltalk mit mir führen.

      „Ja. Wirklich sensationell“, antworte ich und überlege was ich mit ihr reden könnte. Ich glaube sie heißt Samantha. „Tyler hat total hart dafür gearbeitet, ich bin echt stolz auf ihn“, füge ich noch hinzu.

      Sie nickt und nippt an ihrem Glas. „Ja das stimmt.“

      „Hast du auch an dem Projekt mitgearbeitet?“

      „Nein, Carolin war in seinem Team.“

      Ich sehe zu Tyler. Carolin. Genau. Er hat mir erzählt, dass sie die einzige Frau im Entwicklungsteam war. Sie steht neben ihm und genießt sichtlich den Erfolg. Sie hat den Arsch den ich gerne hätte. Blond. Langbeinig und ziemlich hübsch würde ich sagen.

      „Geht es dir gesundheitlich wieder besser?“, reißt mich Samantha aus meinen Gedanken.

      „Ähm…Ja…Besser“, stammle ich überrascht über ihre Frage. Ich dachte nicht, dass Tyler das hier jemandem erzählt hat.

      „Burnout, nicht wahr?“, fragt sie vorsichtig nach, was ihr etwas unangenehm zu sein scheint.

      Mir ist es allerdings noch unangenehmer. Noch nie hat mich jemand so direkt darauf angesprochen. Ich nicke zögerlich, obwohl ich mir gar nicht sicher bin ob es wirklich ein Burnout war oder ist. Nervenzusammenbruch würde es wohl eher beschreiben. Ja, ein Nervenzusammenbruch der mich dann in ein Burnout getrieben hat.

      „Arbeitest du nicht mehr als Krankenschwester?“

      „Nein. Ich habe auch schon vorher nicht mehr im Krankenhaus gearbeitet, sondern war in einem privaten Haushalt tätig.“

      Mehr kann und will ich dazu nicht sagen. Weil ich nicht darüber sprechen will. Weil es mich zermürbt daran zu denken. Weil ich von einer Sekunde auf die andere spüre wie sich eine schmerzliche Traurigkeit in mir aufbaut. Nervös zupfe ich an meinem Kleid.

      „Ach ja. Tyler hat einmal erwähnt, dass du dich um ein krankes Kind gekümmert hast.“

      Scheiße, ich will nicht darüber reden. Ich atme ein und halte kurz die Luft an. Dann sehe ich mich um und suche in der Menge Tyler. Wo ist er denn? Ich halte diese Fragerei nicht aus, außerdem will ich ihn endlich in den Arm nehmen und ihm gratulieren.

      „Ja genau“, sage ich schnell und lächle sie vermutlich ziemlich gekünstelt an. „Ich muss mal sehen wo Tyler ist, ich habe ihm noch gar nicht gratuliert.“

      „Natürlich“, meint sie als ich ihr schon den Rücken zugewandt habe.

      Ich schiebe mich durch die Menschenmassen und fühle mich von Minute zu Minute unbehaglicher. Tyler ist wie vom Erdboden verschluckt. Einer seiner Kollegen aus dem Team kommt an mir vorbei.

      „Entschuldige…Weißt du wo Tyler ist?“, frage ich ihn schnell.

      Er sieht sich kurz um, als ihm etwas einzufallen scheint. „Er wollte das Technikequipment wegräumen.“

      „Ach so. Und das ist wo?“

      „Raus auf den Gang, die vorletzte Türe rechts“, meint er und geht auch schon weiter.

      „Danke“, sage ich ihm noch hinterher.

      Ich gehe den Gang hinaus und bleibe kurz im menschenleeren Raum stehen. Einen Moment lang atme ich die Ruhe und kühle Luft ein. Da drinnen war es fürchterlich stickig und warm und die ganzen Leute, dann noch die Fragerei, keine Ahnung wann es aufhört mich so fertig zu machen. Dann gehe ich den Gang hinunter und bleibe vor der vorletzten Türe rechts stehen. Die Tür ist angelehnt und ich höre Geräusche und ein leises Kichern aus dem Raum.

      „Tyler?“ Ich öffne die Türe vorsichtig ein Stückchen.

      Ich stehe da und sehe wie versteinert auf das Bild welches sich mir offenbart, unfähig einen Ton von mir zu geben. Völlig neben mir versuche ich etwas zu sagen, aber die Luft in meinem Hals stockt und baut sich beklemmend immer weiter auf. Hysterisch schnappe ich nach Luft. Fast hätte ich etwas sagen können, doch da höre ich die Worte „Ach du Scheiße…“ aus dem Mund der Blondine mit dem wünschenswerten Arsch. „Tyler…Hör auf…“, fügt sie noch hinzu.