Als der Graf wieder herauskam sah er erleichtert aus, dann gingen sie durch die Bahnhofshalle, sie passierten den internationalen Zeitschriftenladen, die Ess-&Fress-Glitzerwelt von Gosch Sylt, wo es auch in München die „ganz frischen Fische“ gab... und gingen auf den Seitenausgang der Bahnhofshalle an der Bayerstraße zu.
Rechts lockte die Leuchtreklame vom Starbucks Coffee. Sie schauten hinein: Nur Jungvolk! „Nee“, schüttelte Udo den Kopf, „da sind nur Kids drin, da würde kein Mafiosi, der etwas auf sich hält, je einen Fuß hineinsetzen. Wenn ich Dein „dunkel, irgendwie zwielichtig, gemein, fies“ jetzt korrekt interpretieren darf! Oder darf man Mafiosi jetzt auch schon nicht mehr sagen?“
„ Doch, doch“, sagte der Graf, „ich glaube schon“, und dabei schaute er skeptisch durch die Scheibe auf das Schild, auf dem die verschieden „flavoured coffees“ angepriesen wurden. „I gitt“, schüttelte er den Kopf, „und selbst wenn..., da kriegen mich keine zehn Pferde hinein!“
Udo stieß den Grafen in die Seite, „schau mal da, ganz links“, sagte er halblaut, „aber gaaanz unauffällig!“
Der Graf schaute und sah ein paar junge Männer vor dem Eingang eines weiteren Schnellrestaurants herumlungern: Es waren sechs offenbar gut durchtrainierte Männer im Alter wohl unter dreißig Jahren. Jeder von ihnen brachte ein „Kampfgewicht“ von sicherlich 100 Kilogramm bei einsneunzig Körpergröße auf die Waage, falls es denn ernsthafte Kämpfer waren.
Sie trugen verschiedene Trainingsanzüge (meist mit den drei Adidas-Streifen) sowie Hoodies oder Strickmützen, die tief ins Gesicht und über die Ohren gezogen waren. Die Jacken spannten allesamt um die Oberkörper, so muskulös waren sie. Sie sahen aus wie durchtrainierte Kopien des Comedians Thorsten Sträter, der sich als Boxer oder „Vollkontaktkämpfer“ verkleidet hatte.
Die Männer dieser Gruppe waren ganz offensichtlich keine Reisenden, die hingen da „nur“ ab. In der Kälte trippelten sie auf den Füßen, die Hände hatten sie in Jacken- oder Hosentaschen.
Die kamen dem, was der Graf und Udo sich vorgestellt hatten, von allen anderen auf dem Bahnhof am nächsten. Gleichzeitig sahen sie so aus, als ob sie im Zweifel gar nicht erst auf eine höfliche Frage warten würden. Die würden gleich zuschlagen und zwar ordentlich. Sie sahen nicht so aus, als ob sie sich beim Kampf an Regeln halten würden, eher wie Straßenkämpfer. Bei denen hätte auch der Ernstl vom Kiosk keine Chance gehabt, glaubten Udo und der Graf.
Als Udo und der Graf sich ihnen langsam näherten und dann das Schnell-Restaurant betraten, hörten sie im Vorbeigehen an der Gruppe, dass die Männer russisch (oder so ähnlich) sprachen.
Ohne sich abzusprechen, waren Udo und der Graf straks an Ihnen vorbei gegangen, nicht etwa direkt auf die Gruppe zu. Das hätten die als Aggression verstehen können. Und dafür waren beide dann doch zu schlau!
„ Hast du die gemeint?“, fragte Udo, als sie im Restaurant waren.
„ So in etwa.“
„ Aber die waren nicht dunkel.“
„ Aber zwielichtig, gemein und fies...“
„ Ja, fandest du? Und sehr kräftig!“, war da Bewunderung in Udos Stimme? „Und vor allem, haben die Waffen zu verkaufen?“
Der Graf zuckte mit den Schultern.
„ Fragst du sie“, wollte Udo wissen, „wenn wir da wieder hinausgehen?“
„ Bin ich blöd?“, fragte der Graf zurück, „meinst du ich will mir ein paar aufs Maul hauen lassen?“
„ Ich dachte, dafür sind wir hier?“
„ Dass ich ein paar aufs Maul kriege?“
„ Nein, natürlich nicht, aber um zu fragen.“
„ Fragst du sie denn?“, wollte der Graf wissen.
„ Ich kann kein Wort russisch!“, wollte sich Udo herausreden.
„ Die können schon deutsch, wenn sie wollen“, glaubte der Graf zu wissen.
„ Dann können sie mich auch missverstehen... also, ich hole mir keine Klatsche ab.“
„ Die werden schon nicht gleich zuschlagen.“
„ Dann kannst du ja fragen“, meinte Udo, „oder?“
„ Ich schlage vor, wir gehen zum anderen Eingang raus“, war die Erwiderung des Grafen.
Sie gingen durch das Schnellrestaurant. Der Graf war für dieses Etablissement eindeutig zu elegant gekleidet, von den Gästen wurde seine elegante Erscheinung neugierig angestarrt, wahrscheinlich hielten sie ihn für schwul. Allerdings passte sein Partner Udo mit seinem (für Münchner Augen) typischen „Kapitäns-Outfit“ so ganz und gar nicht in dieses Schema. Das mussten „die“ erst einmal verarbeiten.
Das Lokal selber fand der Graf einfach nur scheußlich: Alles war in Dunkelbraun und Ocker gehalten, sogar die Lampen strahlten trübes Licht in Ocker ab, ein paar an den Wänden auch karmesinrotes Licht – die Mischung war... nun ja, gewöhnungsbedürftig , die Sitze bestanden aus einem schlechten Lederimitat mit vielen Löchern, die Tische waren längere Zeit nicht abgeräumt, unter dem einen oder anderem Tisch standen verdächtige Lachen.
An den Wänden wurde für „besten Kaffeegenuss“ im Pappbecher oder für einen „Heißen Erdbeertraum“ für 2,19€ oder für die „leckeren Winterdesserts Caramel&Chocolate“ für 2,49€, geworben.
„ Nichts wie raus hier“, zischte der Graf, der penibel darauf achtete, dass sein schwarzer Pique-Mantel keinem Tisch zu nahe kam, geschweige denn ihn berührte. Die Flecken hätte er nie wieder entfernen können, befürchtete er. „Puh“, sagte er, als sie draußen waren, „das ist nichts für uns, oder?“
„ Nee“, bestätigte Udo aus vollem Herzen, „bestimmt nicht. Aber was sagen wir Hanna und Sarah?“
„ Dass es hier nichts für uns zu holen gibt!“
„ Und in den Kneipen rund um den Bahnhof?“
„ Da hängen im Zweifel dieselben Typen rum, wie dahinten vor der anderen Tür!“
„ Also keine Chance?“
„ Keine Chance!“, bestätigte der Graf, „also, glaube ich... Komm lass uns gehen, Sarah wartet bestimmt auf Dich.“