Daran mussten sie denken, wenn Udo und er wieder Einlass begehrten: Laptop und Wasserflasche waren hier in der Staatsbibliothek offenbar ein Muss, ohne war man offenbar ein Niemand.
Entlang der Ludwigstraße ging er zur U-Bahn-Station am Odeonsplatz und fuhr mit der U4 zur Theresienhöhe. Dort befand sich sein Lieblings-Saturn-Hansa-Markt mit einer riesigen DVD-Abteilung. Hier wollte er sich den Film „Der Schakal“ und vor allem einen anderen Film, an den er sich erinnerte, nämlich „Der Eiskalte Engel“ mit Alain Delon besorgen.
Im „Eiskalten Engel“ spielt Alain Delon einen (natürlich) eiskalten Profikiller – den brauchte er unbedingt! Irgendwie fühlte er sich ein bisschen wie Alain Delon, der einsamste Killer von allen. Aber auch der beste, auch wenn der am Schluss starb. Das würde er zu vermeiden wissen. Ganz bestimmt.
Der Verkäufer hatte erstens Zeit für ihn und war zweitens recht nett. „Der Schakal“ hatte er schnell gefunden, aber „Der eiskalte Engel?“, sagte er kopfschüttelnd, „Glaube ich nicht...“
„Wie“, fragte der Graf, „das ist doch ein Klassiker, den muss es doch geben?“
Der Verkäufer bat ihn zu einem PC und suchte lange, schließlich sagte er, „Nein, gibt es wirklich nicht, auf französisch hat es ihn mal gegeben, ist aber auch nicht mehr lieferbar. Ich dachte, er sollte auf Blue Ray neu erscheinen, aber da ist bei der Pressung irgendetwas schief gegangen, habe ich gelesen, jedenfalls wurde die ganze Charge vernichtet oder so... Nein, nicht lieferbar!“.
Er schaute den Grafen bedauernd an. Dann sagte er, „mal sehen, vielleicht gibt es eine DVD-Kassette, wo der dabei ist, kommen sie bitte mal mit.“ Er ging durch ein paar Regale, griff sich eine dicke Kassette und las den Inhalt. „Nein“, sagte er schließlich, „da ist er auch nicht dabei“, und dann dachte er einen Moment lang nach und empfahl schließlich, dass der Graf doch mal auf Ebay oder bei Amazon suchen solle, vielleicht habe er da ja Glück mit einer gebrauchten DVD? Und damit wandte er sich entschuldigend lächelnd einem anderen schon unruhig wartenden Kunden zu.
Im Hinausgehen fiel dem Grafen eine sehr rote Filmverpackung auf: „Leon der Profi“. Von dem hatte er neulich gelesen, dass das ein exzellenter Krimi um einen Killer und ein junges Mädchen sei, das zur Killerin ausgebildet werden wollte, weil sie den Mord an ihrem kleinen Bruder rächen wollte. 9,99 Euro las der Graf und nahm die DVD mit. Vielleicht war da ja eine Idee darin, die sie gebrauchen konnten.
Er nahm die U4 zum Hauptbahnhof, stieg dort in die U1 zum Rotkreuzplatz um, um dann die letzte Strecke mit der Straßenbahn bis zur Fasaneriestraße zu fahren.
22. März. Am Kiosk
Gegen 16.00 ging der Graf die paar Meter von der Straßenbahnhaltestelle schräg über die Leonrodstraße zu Ernstls Kiosk und bestellte sich einen Kaffee spezial.
Weil nichts los war, stellte sich Ernstl auch mit einer Tasse Kaffee zu ihm und fragte, ob Hanna und Sarah erzählt hätten, dass die mz da gewesen sei, und dass die jetzt wohl einen großen Bericht bringen würden über seinen Kiosk? Hoffentlich einen guten, denn Hanna befürchte ein Debakel, weil sie meinte, dass das schief gelaufen sein, bloß weil er zwei Würstchen mit Kartoffelsalat nicht verschenken wollte. Aber das sei doch schließlich auch Geld, oder? Der Graf verneinte, nein, Hanna hätte nichts gesagt und bejahte, doch, das sei sehr wohl Geld und wo komme man dahin, wenn er, Ernstl, alles verschenkte. Und drittes, das sei jetzt das erste, was er höre...
„Brauchen könnte ich ein bisschen Werbung ja schon“, sagte Ernstl, „in den letzten Wochen ist hier so gut wie nichts los. Die Helga, die braucht gar nicht mehr zurück zu kommen, das kann ich alles alleine erledigen, was hier an Arbeit anfällt. Gut, dass die Gewinnspanne bei Kaffee so hoch ist“, lachte er, um fortzufahren „und manchmal schreiben die ja auch ganz tolle Artikel über Geheimtipps von Restaurants oder so, da brummt der Laden dann hinterher für eine Weile ganz schön!“
„Ich drück´ dir die Daumen, dass das was Gutes wird“, sagte der Graf, und trank seinen Kaffee aus, „was kriegst Du?“
„Nichts, eine Einladung des Hauses“, antwortete Ernstl.
„Nichts da“, wies der Graf die Einladung ab „erst nichts einnehmen und dann noch verschenken wollen, das kommt gar nicht in die Tüte! Also?“
„Mensch“, meinte Ernstl, „wenn ich euch nicht hätte – Stammkunden und dann noch so nette. Dreifünfzig.“
Der Graf gab ihm fünf Euro und meinte: „Stimmt so, den nächsten kannst du dann ausgeben, okay?“
„Gemacht, Alter, danke!“. Ernstl haute dem Grafen auf die Schulter, dass der etwas einknickte. „Oh, ´tschuldigung!“, sagte er, „das war wohl etwas zu dolle, was?“, und grinste den Grafen schief an, „naja, ihr seid ja alle mehr Kopfmenschen als unsereiner.“. Und nach einem Moment fügte er hinzu: „Du, Graf, sag´ mal, kannst du Zigaretten für Hanna mitnehmen, die hat vorhin angerufen und ich wollte sie eigentlich selber vorbeibringen, aber nun hat Helga angerufen, ob ich mit ihr ins Kino gehe.“
„Na klar, gib her, was seht ihr denn?“
„Es ist Eddi Constantin-Nacht im MAXIM an der Donnersberger Brücke.“
„Das ist aber ´was für Alte. Eddi Constantine, wie lange ist das her, den haben wir doch als Jugendliche gesehen und da waren die schon uralt? Was gibt es denn?“, fragte der Graf.
Ernstl wühlte in einer Tasche seines unvermeidlichen (nicht mehr ganz) weißen Overalls und zauberte schließlich einen Zettel hervor. „Es gibt“, las er vor, „also „Serenade für zwei Pistolen“ und „Rote Lippen, Blaue Bohnen“ und „Eddie geht aufs Ganze“.“
„Also keinen Lemmy Caution und nicht Alphaville?“
„Das sagt mir nichts“, gab Ernstl zu, „aber in denen geht es richtig rund, da langt Eddi richtig zu – fast wie ich damals im Zelt.“ Dann lachte er, „War ´ne tolle Zeit! Und Helga freut sich auch schon so, da machen wir den Laden hier“, er zeigte auf dem Kiosk, „früher zu und amüsieren uns.“
„Na dann viel Spaß!“, wünschte der Graf, „gib mir noch die Zigaretten für Hanna, bitte.“
Mit einem „Klar, doch!“, verschwand Ernstl im Kiosk und tauchte gleich darauf mit einer Stange Phillip Morris wieder auf. „Sag der Hanna, einmal kann ich ihre Marke noch bestellen, dann gibt es sie nicht mehr.“
„Was?“, sagte der Graf, „sind die pleite? Das gibt es doch gar nicht.“
„Nein, die werden dann „Marlboro Silver“ heißen, klärte ihn Ernstl auf, „das soll einer verstehen, oder? Ich habe aber gehört, in Spanien soll es Phillip Morris weiter geben, nur hier nicht.“
22. März. Am Bahnhof
18.00 Uhr. Udo und der Graf fuhren am späten Nachmittag mit der Tram 21 von der Heideckstraße zum Hauptbahnhof. Dort stiegen sie aus und schauten sich erst einmal um: Der Bahnhof lag schräg rechts vor ihnen, rund herum um sie pulsierte das Münchner Stadtleben der Hauptverkehrszeit. Viele Pendler strebten aus der Innenstadt und aus den Straßenbahnen zu den Zügen. Der Graf und Udo folgten dem Strom durch den Haupteingang in die große Bahnhofshalle. Rechter Hand waren sechs oder sieben Schalter, an denen Reisende in kurzen Schlangen standen, um Fahrkarten zu kaufen, die Schalter auf der gegenüberliegenden Seite waren für S- und U-Bahnkunden reserviert. Mitten in der Halle warb ein Stand für die Reisebank; was immer die jungen Mitarbeiter dort verkaufen mochten, Udo und den Grafen interessierte es nicht. Am Stand „Ditsch“ erwarteten sie Currywurst á la „Dittsche“ (aus Hamburg), sie wurden enttäuscht, denn es gab dort nur Brot. Da hatte wohl ein cleverer Unternehmer sich den aus Funk und Fernsehen bekannten Namen von Ditsche „fast“ unter den Nagel gerissen – fast, aber nicht ganz... Es fehlte ein „e“.