Sie setzten sich mit einem Espresso dazu und tranken langsam. Dabei schauten sie sich das Publikum an. Nichts, nada, was ihren Vorstellungen von einem freischaffenden Waffenhändler am Bahnhof entsprach. Nach einer dreiviertel Stunde schauten sich enttäuscht an.
„Gehen wir einmal nach oben auf den Balkon“, schlug der Graf vor, „da haben wir einen besseren Überblick, so von oben.“
Sie fuhren mit der Rolltreppe die eine Etage hoch, schauten dort in den „Burger King“, und die „Coffee Fellows“ – aber auch da nur junge Leute, viel zu jung, als dass die beiden ihnen den Waffeneinzelhändler abnehmen wollten. Keine ausgebeulten Jacken oder Mäntel oder auch nur Jacken- oder Manteltaschen. So ein oder zwei Pistolen, die würden ja Volumen und Gewicht haben, das würde man doch sehen, glaubten sie. Und Wechselgeld – ach nein, die würden runde Summen verlangen, die man mit Scheinen bezahlen könnte, oder?
Sie standen schließlich an der Brüstung und schauten hinab in die Gleishalle. Wo es früher ein bisschen dunkel und muffig zugegangen war, glitzerte jetzt eine lichtüberflutete moderne „take away“-Welt.
Alles zum „Awaytaken“, zum Mitnehmen: Das waren keine Bahnhofsbuden von früher mehr, die Udo und der Graf noch im Kopf hatten, als sie mit der Tram hierher gefahren waren. Nein, das war alles Edelstahl, Glas und Licht! Richtig elegante Bahnhofs-Boutiquen!
„ Lich´ und Luf´ gib´ Saf´ und Kraf´“, dachte Udo insgeheim auf seine Hamburger Art. Ganz rechts die Semmeln am Höflinger-Stand, daneben die Würstchen von Rubenbauer, in der Mitte die belegten Brote von Brioche Dorée. Am zentral in der Gleishalle gelegenen Auskunftsstand der Bundesbahn gab es nichts – außer, dass die auf Auskünfte harrenden Reisenden auf einem roten Teppich stehend die eine oder andere Verspätungserklärung erhielten... Aber die standen auch auf der großen Anzeigetafel direkt über dem Bundesbahnstand.
Linker Hand sahen Udo und der Graf die Edelstahlbuden von Vinzenz Murr (Würstchen), Pizza Panini und Dean&David. Allesamt viel zu hell erleuchtet und wohl auch zu zentral, als dass „dunkle Gestalten“ sich da rumtreiben würden.
„ Du“, fragte Udo, „Graf, sag´ mal, wie stellst du dir denn so einen Heini vor, der hier mit Pistolen dealt?“
„ Gute Frage“, antwortete der, „weiß ich auch nicht. Vielleicht dunkel, irgendwie zwielichtig, gemein, fies...“
„ Mit einer Narbe im Gesicht?“
„ Ja, vielleicht.“
„ Den gibt es nicht, glaube ich“, sagte Udo, „hier nicht, aber da ist einer, der ist ganz dunkel.“
„ Wo?“
„ Da drüben.“ Udo nickte mit dem Kinn in die Richtung, „der Neger da.“
„ Darf man nicht mehr sagen!“
„ Was?“
„ Neger!“
„ Warum nicht?“
Der Graf zuckte mit den Schultern unter seinem eleganten Mantel, „das ist nicht mehr political correct .“
„ Sagt wer?“
„ Irgendwer? Jeder? Die!“
„ Und was soll man stattdessen sagen?“
„ Schwarzer?“, schlug der Graf vor.
„ Und dann ist der Schwarze kein Neger mehr? Bloß weil ich Schwarzer sage?“
„ Nein, der bleibt ja schwarz!“
„ Und warum ist Schwarzer jetzt besser als Neger?“
„ Weil das nicht diskriminiert!“
„ Was diskriminiert am Wort: Neger?“, wollte Udo wissen.
„ Vielleicht, weil das so dicht am Wort „nigger“ aus den USA ist?“, gab der Graf zu bedenken.
„ Aber das habe ich doch gar nicht gesagt - und auf Englisch schon mal gar nicht! Bin ja auch kein Ami... Und schon gar nicht aus den Südstaaten, ich komm´ ja aus Hamburg, das ist ein Nordstaat, wenn überhaupt.“
„ Nein, hast du nicht, also Nigger gesagt. Und wo ist der Kerl jetzt?“
„ Welcher?“
„ Na, der... der Neger“, grinste der Graf.
„ Du meinst den Schwarzen?“
„ Ja!“
„ Weiß nicht, weg!“
„ Meinst du denn, der hätte eine Pistole gehabt?“, fragte der Graf.
„ Nö, glaube ich nicht.“
„ Warum hast du dann damit angefangen?“
„ Weil du gesagt hast: Dunkel!“
„ Wenn ich mich richtig erinnere habe ich gesagt: Dunkel, irgendwie zwielichtig, gemein, fies... war er das?“, gab der Graf zu bedenken.
„ Nö, der hat eher recht nett ausgesehen“, lächelte Udo, „freundlich, eher so ein Onkel Tom Typ.“
„ Mensch, Udo, hör auf!“, stöhnte der Graf, „Wir sind hier auf einer „ mission “!“
„ Auf einer was?“
„ Mission! Wir haben eine Aufgabe!“
„ Ja, klar, aber siehst du hier einen einzigen, der auch nur in Frage kommen könnte?“, fragte Udo jetzt ernsthaft.
„ Nee, ehrlich gesagt, nein!“
„ Gehen wir mal wieder runter und schauen uns unten um?“
„ Ja“, aber erst einmal brauche ich ein Klo!“